Komponist Enjott Schneider: "Die Klassik muss kommunikativer werden"

11.08.2006 | Stand 03.12.2020, 7:38 Uhr

Ingolstadt (DK) Die Musik von Enjott Schneider kennt fast jeder. Denn Schneider ist einer der bekanntesten Filmkomponisten Deutschlands und hat etwa die Musik zu "Schlafes Bruder" oder zu der Serie "Marienhof" geschrieben. Aber Schneider hat auch eine andere Seite, er komponierte zahlreiche Orchesterwerke, Opern, Kirchenmusik und Kammermusik. An diesem Samstag wird im Rahmen der Orgeltage Schneiders Stück "Gethsemane" für Orgel und Trompete uraufgeführt. Der Professor an der Münchner Musikhochschule hat das Werk für seinen ehemaligen Studenten Franz Hauk komponiert. Hauk spielt das Werk nun zusammen mit Christoph Well im Ingolstädter Münster. Unser Redakteur Jesko Schulze-Reimpell unterhielt sich mit Enjott Schneider über sein neues Werk.

"Gethsemane" thematisiert den letzten Auftritt Jesu vor seiner Gefangennahme im Garten Gethsemane. Wie sind sind Sie darauf gekommen, gerade diese Passage zu verarbeiten?

Enjott Schneider: Franz Hauk hat mich gebeten, ein Trompetenstück zu komponieren. Da ich selber im Hauptfach Orgel und Trompete studiert habe, kenne ich natürlich die Literatur für diese Besetzung sehr gut. Die Stücke sind fast alle entsetzlich fanfarenmäßig laut und relativ oberflächlich. Ich habe lange überlegt, was ich machen kann. Für diese Art der Vorbereitung brauche ich immer mehr Zeit als für das eigentliche Komponieren, diesmal habe ich drei Monate nachgedacht. Dann kam ich auf die Gethsemane-Szene. Die Trompete gilt ja als Königsinstrument. Bach etwa setzt die Trompete immer ein, wenn es um Jesus als König geht. Ich mache es jetzt genau umgekehrt, versuche, die Trompete gerade nicht so strahlend und optimistisch klingen zu lassen. Dabei habe ich auch verschiedene theologische Textstellen aus der Bibel eingebaut – Texte, die mir halfen, nicht nur ein abstraktes Thema zu behandeln, sondern eine Art Szene zu schildern. So hört man etwa Tropfen fallen, wenn es um folgende Passage aus dem Lukas-Evangelium geht: "Es war aber sein Schweiß wie Blutstropfen, die fielen auf die Erde." Meine Erfahrung ist, dass erzählende Musik einfach besser ankommt.

Sie sind in sehr unterschiedlichen musikalischen Genres aktiv: Filmmusik, Oper, Kammermusik, und Sie sind auch ein Experte für Pop. Ist es nicht schwierig, zwischen diesen Stilen zu jonglieren?

Schneider: Experte für Popmusik bin ich eigentlich weniger. Ich habe über Popmusik promoviert, weil mein Doktorvater der Mittelalter-Experte Hans-Heinrich Eggebrecht war und ich in einem überschaubaren Zeitraum fertig werden wollte. Hätte ich über mittelalterliche Musik promoviert, hätte ich sicher fünf oder sechs Jahre gebraucht, so konnte ich in zwei Jahren fertig werden, weil Eggebrecht mich in Ruhe ließ. Ansonsten ist die Orgel von Jugend an mein zentrales Instrument. Später arbeitete ich auch als Filmkomponist. Das muss man aber so verstehen: Klaus Doldinger zum Beispiel ist ein Jazzer, der auch Filmmusik macht, Konstantin Wecker ist Liedermacher und komponiert ebenfalls Filmmusik. Ich bin eben ein E-Musiker, der auch Filmmusik macht.

Dennoch sind Ihre Werke ungewöhnlich unterhaltsam. Das klingt nach "Klassik light".

Schneider: "Klassik light" ist für mich ein Schimpfwort.

Der Begriff ist durchaus kritisch gemeint.

Schneider: Wenn ich komponiere, geht es mir um etwas anderes. Man kann das am besten mit dem Begriff der "musikalischen Vokabel" erklären. Mozart zum Beispiel hat sich in seinen Klavierkonzerten seine musikalischen Vokabeln erarbeitet, die er später in Opern wieder einsetzte. Im d-Moll-Klavierkonzert etwa ist schon seine Rache-Arie im "Don Giovanni" angelegt. Die musikalische Vokabel kann eine musikalische Wendung sein, ein prägnanter Rhythmus, eine harmonische Entwicklung. Meine Musik ist in diesem Sinne narrativ, inhaltsbezogen. Damit ist für mich die Mitteilsamkeit, die Nachvollziehbarkeit auf jeden Fall intendiert.

Sollte die zeitgenössische klassische Musik wieder unterhaltsamer werden?

Schneider: Das Wort "unterhaltsam" trifft das Problem nicht. Die Klassik muss kommunikativer werden. Der berühmte Elfenbeinturm ist leider tatsächlich allzu verbreitet. Wenn jeder durch den allgemeinen Innovationsdruck vermeidet, etwas zu formulieren, was jemand anderes schon formuliert hat, drücken sich am Ende alle nur noch in einer Art Geheimsprache aus. Man muss sehen, dass man eine gemeinsame musikalische Sprache spricht. Man darf sich nicht scheuen – was Bach etwa auch getan hat –, von anderen Komponisten Phrasen und Ideen zu übernehmen.

Was haben wir von "Gethsemane" zu erwarten? Ein leichtfüßiges, leicht fassbares klassisches Werk oder schwere Moderne? Immerhin gehen Sie ja von einer Zwölftonreihe aus.

Schneider: Ich komponiere aber nicht nach den Regeln der klassischen Zwölftonmusik. Wenn man versucht, verständlich zu schreiben, befällt einen immer wieder die Versuchung, in allzu glatten tonalen Wendungen zu komponieren. Durch eine solche Zwölftonreihe gelingt es dann, auch ungewöhnliche harmonische Entwicklungen in die Komposition zu bringen.

Haben Sie mit Franz Hauk und Christoph Well über die Interpretation des Werks diskutiert?

Schneider: Ich kenne Chris-toph Well schon über 20 Jahre. Mir ist seine Art zu spielen vertraut. Obwohl ich bei den Proben nicht dabei sein konnte, glaube ich, dass Hauk und Well mein Stück doch so spielen werden, wie ich es mir vorgestellt habe.

"Gethsemane" wird am heutigen Samstag um 20 Uhr im Ingolstädter Münster uraufgeführt. Karten gibt es an der Abendkasse.