London
Kompliziertes Genie

Vor 125 Jahren kam der Philosoph Ludwig Wittgenstein zur Welt

25.04.2014 | Stand 02.12.2020, 22:46 Uhr

Bescheiden, zurückgezogen und bedeutend: Ludwig Wittgenstein lehrte fast sein ganzes Leben lang in Cambridge. - Foto: Richards

London (DK) Als „das perfekteste Beispiel eines Genies im traditionellen Sinn, das ich je gesehen habe“, bezeichnete der berühmte Philosoph Bertrand Russell seinen Kollegen Ludwig Wittgenstein einmal. Er sei „leidenschaftlich, gründlich, intensiv und dominierend“. Kaum ein anderer Denker des vergangenen Jahrhunderts ist so viel diskutiert worden, hat so großen Einfluss gehabt. Am Samstag vor 125 Jahren kam er zur Welt.

Auf jeden Fall ist Wittgenstein eher ein sperriges Genie, als ein gewöhnlicher akademischer Philosoph. Dass er schließlich eine Laufbahn als Universitätsprofessor einschlug, ist eher überraschend – zu eigenwillig hat er sich sein Leben lang verhalten.

Ludwig Wittgenstein entstammt einer früh assimilierten jüdischen, reichen Industriellenfamilie in Wien. Den Wohlstand lehnte er allerdings ab. Kurz vor Beginn des Ersten Weltkrieges spendete er sein gesamtes ererbtes Vermögen und war somit für den Rest seines Lebens weitgehend mittellos. Ein Ingenieurstudium brachte ihn zur Philosophie, deren Gesetze er mit gleichsam technokratischem Ehrgeiz erforschen wollte. 1911 kam er nach Cambridge zu Bertrand Russell. Und er begann mit der Arbeit an seinem ersten bedeutenden Werk, dem „Tractatus Logico-Philosophicus“. Das bahnbrechende Werk, an dem Wittgenstein auch während seiner Zeit als Soldat im Ersten Weltkrieg weiter schrieb, wurde Anfang der 20er Jahre veröffentlicht und später als Doktorarbeit akzeptiert.

Der „Tractatus“ ist fast die einzige Schrift, die Wittgenstein zu Lebzeiten veröffentlichte. Aber sie hatte ungeheuren Einfluss. Wittgenstein versucht darin, die gesamte Philosophie, den gesamten Rahmen unserer Welterkenntnis aus den Gesetzmäßigkeiten der Sprache zu erklären. „Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen“, steht in dem Buch. Und: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“

Wittgenstein glaubte nun alle philosophischen Probleme gelöst zu haben und verließ die Universität, um Dorfschullehrer im kleinsten Dorf Österreichs, Trattenbach, zu werden. Aber die philosophischen Fragen holten ihn wieder ein. Er begann zu grübeln, hielt seine Erkenntnisse im „Tractatus“ für nicht mehr tragfähig und wollte die Fragestellungen der Sprachphilosophie noch einmal von Neuem angehen. 1929 kehrte er nach Cambridge zurück, erhielt dort einen Lehrauftrag und später eine Professur.

Legendär wurden Wittgensteins Vorlesungen. Denn ihm kam es weniger darauf an, seinen Studenten historische Bildungsinhalte zu vermitteln, als vielmehr mit ihnen zu philosophieren. Mit bohrenden, unerbittlichen Fragen näherte er sich einem Problem, das er monatelang mit höchster Intensität verfolgen konnte. In dieser Zeit schrieb er sein Hauptwerk, die „Philosophischen Untersuchungen“. Anders als andere Philosophen erstellte er darin nicht ein umfassendes Welterklärungsmodell, sondern gab den allmählichen Prozess des Philosophierens selbst wieder in hunderten von aphoristischen Bemerkungen.

Privat blieb Wittgenstein unscheinbar, fast beängstigend bescheiden. Er besaß fast keine persönlichen Gegenstände und vermied jeden Luxus. In späteren Jahren erklärte er einem Schüler einmal, dass es völlig egal sei, was man täglich esse, hauptsache es wäre jeden Tag das Gleiche. So ernährte er sich über längere Zeit hinweg ausschließlich von Porridge oder Brot mit Schweizer Käse. Die Öffentlichkeit scheute der Philosoph, Ruhm und Ansehen waren ihm gleichgültig.

Vielleicht hat Wittgensteins zurückgezogene Lebensweise etwas mit seinen sexuellen Vorlieben zu tun. Streng geheim führte er sein Leben lang Beziehungen mit jungen Männern.

Wittgenstein starb am 29. April 1951, kurz nach seinem 62. Geburtstag, an Prostatakrebs. Seinen Freunden ließ er als letztes Wort ausrichten: „Sagen Sie ihnen, dass ich ein wundervolles Leben gehabt habe.“