Kommentar: Bei den Impfstoff-Lieferungen am falschen Ende gespart?

28.01.2021 | Stand 23.09.2023, 16:44 Uhr
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Für alle, die es mit der europäischen Idee halten, ist es ein Trauerspiel - und für die anderen Wasser auf die Mühlen.

 

Der Impfstoff-Fabrikant Astrazeneca behauptet, keine verbindliche Zusage gegenüber der EU gemacht zu haben, wann wie viel Vakzin geliefert werden kann. Aber man gebe sein Bestes. Brüssel verweist indes auf die Zahlung von 336 Millionen Euro an den Konzern, um die Entwicklung und vor allem eine rasche Produktion zu unterstützen - und pocht deshalb auf schnelle Lieferungen.

Und so wird man derzeit Zeuge eines Feilschens um die Deutungshoheit, das niemanden näher an einen Piks bringt und an dessen Ende das Vertragswerk nun veröffentlicht werden soll. Das ist richtig und wichtig - und ein Eingeständnis. Denn der jüngste Streit wäre mit mehr Transparenz gar nicht entstanden.

Sollten Verträge von solcher Bedeutung, die Milliarden Euro an Steuergeld betreffen, nicht grundsätzlich öffentlich sein? Wenigstens auf entscheidende Passagen muss der europäische Steuerzahler ein Recht haben. Daran, dass solche Dokumente immer wieder Verschlusssache sind, haben in erster Linie die Konzerne ein Interesse. Potenzielle Kundschaft soll ja schließlich nicht wissen, wer welchen Preis für Vakzine gezahlt hat.

Grübeln lässt einen, dass mit Biontech-Pfizer schon ein anderer Anbieter der EU kühl bedeutet hat, dass es aufgrund von Umbaumaßnahmen in einem Pfizer-Werk länger dauern wird, bis der bestellte Impfstoff geliefert wird. Auch wenn es eine - durchaus begrüßenswerte - europäische Impfstoff-Beschaffung gibt, ist dies vor allem für Deutschland bitter: Biontech als deutsches Unternehmen wurde mit deutschen Steuermitteln gefördert. Im Akkord geimpft wird anderswo.

So drängt sich also ein Verdacht auf: Impfstoff-Produzenten sind letztlich Firmen, die Profit machen müssen. Tatsächlich ist heute bekannt, dass andere Nationen bereit waren, mehr pro Dosis zu bezahlen als Europa - und das oft sogar früher. Und so wird in den USA, Kanada oder - und das ist peinlich für die EU - Großbritannien munter gepikst. Betrachtet man die immensen Kosten, die der Kampf gegen Corona verursacht hat, spart Europa am falschen Ende - und steckt deshalb trotz des teils verwerflichen Auftretens der Unternehmen in Erklärungsnot.

Christian Tamm