Kollektivstrafen sind unmenschlich

Kommentar

24.08.2016 | Stand 31.01.2019, 10:00 Uhr

Nun steht es also fest: Die russischen Sportler sind von den Paralympischen Spielen komplett ausgeschlossen. Die Genugtuung ist groß in vielen Medien, und Philip Craven, der Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC), der Held des Tages.

Als der "bessere Bach" wurde er bezeichnet, weil er im Gegensatz seines IOC-Kollegen Thomas Bach den Mut zu diesem einschneidenden Schritt aufgebracht habe. Eine Sternstunde für den sauberen Sport, ein starkes Zeichen im Sinne von FairPlay und eine Ohrfeige für Russland, das glaubte, mit staatlich organisiertem Doping die Medaillenchancen seiner Athleten pushen zu können. So wird es allgemein dargestellt.
 
Aber so eindeutig, wie sich die Lage auf den ersten Blick präsentiert, ist sie nicht. Und ob hier von einer "Sternstunde" gesprochen werden kann, muss sich noch erweisen. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Wer dopt, hat im Sport nichts verloren und gehört bestraft, unabhängig, ob er querschnittsgelähmt ist oder sich an zwei gesunden Beinen erfreuen kann. 
 
Nicht überraschend ist auch, dass Russland protestiert, und Richard McLaren, auf dessen Bericht letztlich der Rauswurf der paralympischen Sportler fußt, vorwirft, keinerlei Beweise vorgelegt zu haben. Das hat McLaren tatsächlich nicht, zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Er hat aber stets betont, über eine lückenlose Beweiskette zu verfügen, er dürfe aber nicht auf Details eingehen, nicht zuletzt, um Informanten zu schützen. Diese Argumentation lässt sich durchaus nachvollziehen, obwohl man schon gern Näheres wusste. Stimmt das nun mit dem ominösen Loch in der Wand, über das der Geheimdienst die Proben austauschte? 

Ungeachtet dessen: Der McLaren-Bericht liegt vor, die Anschuldigungen wiegen schwer und sie wollen ernst genommen werden. Eine Reaktion war unvermeidlich. Dennoch weist der McLaren-Bericht Schwachstellen auf: Die russische Seite wurde nicht einmal gehört. Der Kanadier hat ein Gespräch mit russischen Verantwortlichen abgelehnt. Für ihn wäre das nur "Zeitverschwendung" gewesen, wie er in einem Interview sagte. Da beginnt es kritisch zu werden: Jedes Gericht räumt dem Angeklagten die Möglichkeit ein, sich zu äußern. Das gehört zu den elementaren Rechten eines tatsächlichen oder vermeintlichen Delinquenten. Hier wurde es außer Kraft gesetzt.
 
Zudem hat sich der McLaren-Bericht mit Staatsdoping befasst, nicht mit individuellen Verstößen. Und damit geht es ans Eingemachte. Die Sportverbände haben eine Kollektivstrafe ausgesprochen. Ob ein Sportler nun tatsächlich gedopt war oder nicht, spielt keine Rolle. Wenn er das Pech hat, Russe zu sein, ist er draußen. Kein Rechtssystem der Welt, das diesen Namen verdient, kann Kollektivstrafen verhängen. Das ist unmenschlich. 
Nochmals: Doper haben bei den Paralympics oder anderen Sportveranstaltungen nichts zu suchen, aber man muss ihnen vor ihrer Bestrafung ihre individuelle Schuld auch nachgewiesen haben.
 
Man kann keinem Sportler, der sauber ist, der keine verbotenen Substanzen eingenommen hat, erklären, dass jahrelange Vorbereitung, Schinderei und ständige Motivation vollkommen umsonst waren. Dass er um seine Teilnahme, vielleicht sogar um seine Medaillenchancen gebracht wird, weil andere - nicht er - Mist gebaut haben. Gerade Sportler mit einem Handicap haben recht wenige Möglichkeiten, sich zu präsentieren und sich in einem positiven Licht zu zeigen. Wenn man ihnen diese Möglichkeit nimmt, sollte schon ein triftiger Grund vorliegen, den sie persönlich zu verantworten haben.
 
Ob durch den Ausschluss der russischen Mannschaft der paralympische Gedanke Gewinn zieht oder ob der Behindertensport - nicht nur dessen Leistungsbereich - an sich verliert, weil diese Entscheidung insgesamt demotivierende Signale aussenden kann, wird sich zeigen.