Königin der Fleischpasteten

22.02.2009 | Stand 03.12.2020, 5:10 Uhr

Pastetchen gefällig? Gary Martin als Sweeney Todd mit Marianne Larsen als Mrs. Lovett in der Münchner Inszenierung. - Foto: Zenna

München (DK) Es bekommt zarten Gemütern nicht immer gleichermaßen, dem Volk aufs Maul zu schauen – ob man sich nun ob des grausamen Gerechtigkeitssinnes im Märchen erschreckt oder sich über die plebejische Begeisterung für Brutalität und Verbrechen wundert. Letztere kennzeichnet das Musical "Sweeney Todd", das am Gärtnerplatz Premiere feierte und die Geschichte eines Ausgegrenzten und seiner brutalen Rache an der Gesellschaft erzählt.

Zu Unrecht verdammt, wird aus einem harmlosen Familienvater und Barbier ein brutaler Killer. Er schneidet Kunden bei der Rasur die Kehle durch und verwertet die Leichen dann zusammen mit der praktisch gesinnten Mrs. Lovett in deren Fleischpastetenladen. Dieser floriert entsprechend, in einem ausgehungerten London des 19. Jahrhunderts – aber als Sweeney sich endlich an dem Richter rächen will, der für sein Unglück verantwortlich war und nun auch noch seine Tochter gefangen hält, kommt es zu einer finalen Metzelei.

Man muss kein großer Moralapostel sein, um diesem Musical skeptisch gegenüberzustehen – es fließt im breiten Strom das Bühnenblut, die schiere Mordslust findet im Libretto keine Reflexion und der kollektive Kannibalismus sprengt geradezu lustvoll jede Grenze des guten Geschmacks. Menschenfleisch auf Tellern gibt es im Theater auch andernorts – beispielsweise bei der "Rocky Horror Show" oder Shakespeares "Titus Andronicus". Das überaus effiziente Vorgehen von Sweeney setzt aber doch neue Höchstmarken und scheint – denkt man an die Kannibalen von Rostow oder Rotenburg – so makaber wie zeitlos aktuell. Das Musical gibt immerhin Ansatzpunkte zur Überzeichnung und Konterkarierung des brutalen Geschehens – und wahrscheinlich liegt es daran, dass die Regie (Christian von Götz) an diesen Punkten nicht ausreichend Mut bewies, wenn der Abend eigenartig mau bleibt. Götz begeistert sich für zweifellos ästhetische Szenen mit umsinkenden Bräu- ten oder regenschirmbewehrten Passanten, was aber vom Kern des Stückes eher ablenkt. Dort, wo die moritatenhaft ausufernde Handlung nämlich ins Skurrile driften darf, hat das Musical plötzlich Biss.

Hier dominiert zweifellos Marianne Larsen als bezaubernde Schlampe Mrs. Lovett. In fataler Kombination von herzhaftem Zupacken, Gewinnstreben, Pragmatismus und der Suche nach dem kleinen Glück entsteht eine preiswürdige Charakterstudie von stupender Schlüssigkeit. Dass Larsen auch musikalisch überzeugt, macht ihre Auftritte zu umjubelten Höhepunkten des Abends.

Ihr Partner Sweeney (Gary Martin) hat musikalisch wie mit der deutschen Übersetzung etwas zu kämpfen und scheint die abgründige Eindimensionalität seiner Figur nicht wirklich ausfüllen zu können. Auch er hat seine besten Momente in der parodistischen Überzeichnung – so im kannibalischen Duett "Wie wär’s mit Kaplan". Sein Töchterlein Johanna (Thérèse Wincent) und ihr Verehrer Anthony (Julia Kampusch) hingegen geben runde, schlüssige Rollenporträts und können sich als Opernsänger auch ganz gut auf den Musicalton einstellen.

Schöne Nebenfiguren entstehen mit Mario Podrecnik als konkurrierendem Friseur Pirelli, der mit schnellem Schnitt zum Schweigen gebracht wird (dieses Mordopfer kostümiert Ausstatterin Karin Fritz im Moshammer-Look), und dem tragisch endenden Gossenkind Tobi (Florian Simson). Andreas Kowalewitz als umsichtiger musikalischer Leiter ist um dieses melodiearme, wenig ein- gängige Musical nicht zu beneiden – Stephen Sondheim selbst hat es einmal als "schwarze Operette" bezeichnet. Am Premierenabend war eher ein blutig roter Groschenroman mit Musik zu sehen und hören.

Weitere Vorstellungen am 27. Februar, am 3., 8. und 9. März sowie im Verlauf der Spielzeit.