Ingolstadt
Klare Kante

Publizist Wolfram Weimer redete bei Wirtschaftsempfang im DK-Forum

03.07.2019 | Stand 23.09.2023, 7:38 Uhr
Für Wolfram Weimer sind auch die Medien am aktuellen Zustand der Gesellschaft schuld. −Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) Passender hätte der Zeitpunkt nicht gewählt sein können: Während die Regierungschefs in Brüssel über die Spitzenposten verhandelten, veranstalteten die Industrie- und Handelskammer (IHK) München und Oberbayern, die Initiative Regionalmanagement (Irma) und das Virtual Innovation Forum (VIF) im DK-Forum des DONAUKURIER am Dienstagabend zum ersten Mal einen gemeinsamen Wirtschaftsempfang.

Ihr Thema: Europa. Als Redner hatten sie den renommierten Publizisten Wolfram Weimer verpflichtet, dessen mit unzähligen unterhaltsamen Anekdoten gespickten Vortrag den Titel "Europa - quo vadis nach der Europawahl" trug.

Vernetzung, das sei gerade in Zeiten der abflauenden Konjunktur, europäischer Herausforderungen wie dem Brexit und weltweiter Handelskonflikte das Zauberwort, darin waren sich die Veranstalter einig. Deswegen habe man sich auch dazu entschieden, einen gemeinsamen Empfang zu veranstalten, sagte Irma-Geschäftsstellenleiterin Iris Eberl. Und was symbolisiere Vernetzung besser als der europäische Gedanke? Die Europawahl und was darauf folgte, haben alle aufmerksam verfolgt. Er blicke sehr interessiert nach Brüssel, sagte Fritz Peters, Sprecher des Ingolstädter IHK-Forums. "Es drängt sich der Wechsel auf", sagte Thomas Bauer, der VIF-Vorsitzende. "Der Wechsel, nachhaltiger zu werden. " Dabei gebe es auch viele, die sich dem verweigerten. "Aber wenn man miteinander spricht, gehen Ängste langsam verloren", sagte er. Auch für Iris Eberl war die Europawahl eine "Nachhaltigkeitswahl".

Hauptredner Wolfram Weimer war da etwas anderer Meinung. "Nachhaltigkeitswahl trifft auf Deutschland zu, auf Europa eher nicht", sagte der frühere Chefredakteur von "Welt" und "Focus" sowie Gründer des Politikmagazins "Cicero". Er mache überall eine Polarisierung der Gesellschaft aus, wie man sie seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt habe, und einen Rechtsruck der politischen Mitte, der in den großen Nachbarländern Frankreich und Italien die Politik auf den Kopf gestellt habe - nicht zu vergessen Großbritannien: "Der Brexit ist ein historisches Fanal für den Rechtsruck", sagte Weimer, der wegen seiner klaren Kante auch gern gesehener Gast in Fernsehtalkshows ist. Und im Herbst werde man auch in Deutschland staunen, wenn bei drei Landtagswahlen im Osten jeweils die AfD stärkste Kraft sein und damit die Republik verändern werde, wie er vermutet.

Eine Ursache sind für Weimer die Medien: Zum einen, so meint der konservative Journalist, weil die meisten Vertreter seiner Zunft anders als die Mehrheit der Gesellschaft rot-grün geprägt seien. Und diese Diskrepanz hinterlasse bei vielen Menschen "ein ungutes Gefühl der Enthausung". Für Trump "der wird wahrscheinlich wiedergewählt") oder den Brexit hätten eben nicht die Verlierer, sondern die Mitte der Gesellschaft gestimmt.

Zum anderen werde in der "Mediendemokratie" die Wichtigkeit auf den Kopf gestellt: Die Bachelorerette-Siegerin sei etwa bekannter als der letzte deutsche Nobelpreisträger. Und das habe auch Konsequenzen für die Politik. Politiker wie Donald Trump, Emmanuel Macron oder Sebastian Kurz setzten ganz stark auf die Macht der Bilder und weniger auf Sachdebatten und seien damit erfolgreich. Der wichtigste politische Moment für Ursula von der Leyen ("Ich habe letzte Woche schon auf sie als Kommissionspräsidentin gewettet") sei ihr "Wetten, dass. . ? "-Auftritt gewesen, nach dem ihre Beliebtheits- und Bekanntheitswerte deutlich in die Höhe schossen.

Doch Weimer zeigte sich optimistisch. In offenen Gesellschaften gebe es immer wieder diese Pendelbewegungen. Und das Bürgertum sei ausreichend widerstandsfähig, um den Bedrohungen zu trotzen, so dass ihm um Europa nicht bange sei.

Am Ende wurde Weimer von den Zuhörern noch um weitere Prognosen gebeten, die er gerne abgab: Die Große Koalition werde bis zum Ende der Legislaturperiode halten ("Beide haben zu viel zu verlieren"), sollte es die Gesundheit der Bundeskanzlerin erlauben. Und die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer werde nach von der Leyens Weggang nach Brüssel ein Ministerium übernehmen, allerdings das Innenministerium. Denn er glaube, dass Horst Seehofer zurücktreten werde. Da war das Raunen doch groß.

Thorsten Stark