Ingolstadt
Klangvolle Gebetspreziosen

Incanto Corale singt hebräische Psalmvertonungen und deutsche Lieder in Ingolstadt

30.09.2018 | Stand 23.09.2023, 4:31 Uhr
Homogenes Klangbild: Der Projektchor Incanto Corale in der Kirche St. Matthäus. −Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Musik verbindet - über alle Nationalitäten und Konfessionen hinweg.

Dafür finden sich auch heute noch inzwischen weitgehend vergessene, aber umso bewegendere Beispiele. Wie etwa innerhalb der Vokalmusik der Frühromantik: Um den jüdisch-sakralen Gesang zu reformieren, bat Salomon Sulzer, geachteter Bariton, Gesangsprofessor und Kantor an einer Wiener Synagoge, seinen Freund Franz Schubert sowie etliche weitere Weggefährten, neue Stücke auf hebräische Texte zu komponieren - und betätigte sich auch selbst auf diesem Gebiet. Der renommierte Dirigent und Organist Franz Raml hat für sein Konzert mit dem Ingolstädter Projektchor Incanto Corale einige besonders interessante Raritäten aus dieser A-cappella-Sammlung wieder ausgegraben.

Schon bei den ersten Tönen von Sulzers "Abendgebet für Schabbat" füllen die rund 20 Sängerinnen und Sänger den Kirchenraum von St. Matthäus mit inniger Andacht, heißen würdevoll, majestätisch und freudig zugleich den Ruhetag als Braut und Königin willkommen, leuchten die feierliche Begrüßung klanglich wie dynamisch intensiv und sensibel aus. Schuberts Psalm 92 (seine einzige erhaltene Vertonung auf Hebräisch) entfaltet sich dagegen kraftvoll akzentuiert, frisch und beschwingt, fast volksliedhaft anmutend. Expressiv-leidenschaftliche Steigerungen, aus denen Solist Clemens Morgenthaler souverän seine kernig-hell gefärbte Baritonstimme herausstrahlen lässt, wechseln sich eindrucksvoll ab mit sanftem Verklingen. Zu einem immer dichter und subtiler sich verflechtenden Klanggewebe des Lobpreisens schwillt das Vokalensemble dann in Psalm 93 von Josef Fischhof an. In wohldosiertem Kontrast dazu setzt Clemens Morgenthaler - feinfühlig begleitet von Franz Raml am Flügel - Franz Lachners Psalm 26 zum Abschluss des ersten Themenblocks, indem er ihn als flehende, demütig klagende und doch unerschütterlich zuversichtliche Elegie gestaltet.

Gänzlich andere Facetten verleiht er hingegen Schillers "Sehnsucht" in einem Mittelteil aus deutschen Schubert-Liedern: Hier drängt er die Gefühle vorwärts, kostet das Schwanken zwischen frohem Hoffen, bedrohlichem Aufbrausen und genießerischem Schwelgen aus. Dem stehen die Chorlieder in nichts nach. "An die Sonne" und "Gott im Ungewitter" (Texte jeweils von Johann Peter Uz) wie auch die "Hymne an den Unendlichen", die sich allesamt an einen überkonfessionellen Gott richten, bieten den hörbar erfahrenen und langjährig aufeinander eingestimmten Vokalisten immer wieder Gelegenheit, in packender Artikulation wogend emporzusteigen, mystische Weiten der Natur zu eröffnen, Blitze und Donnergrollen zu entfachen, um letztendlich doch zu versöhnlichem Vertrauen in den Allmächtigen zu finden.

Französisch angehauchten, ja geradezu opernhaften Gestus und Charme versprüht der hochpräsente Kammerchor Incanto Corale schließlich in zwei Kompositionen des Pariser Kantors Samuel Naumbourg. Umspielt von Ulrike Neubachers kristallklarem, sphärischen Harfenjauchzen und der empathisch perlenden Klavierbegleitung von Franz Raml beim Dankpsalm 100, tritt das Vokalensemble unter weihevollem Frohlocken in Dialog mit den jubelnd-überschäumend gesungenen Koloraturen von Clemens Morgenthaler. Gemeinsam kreieren alle Musiker im Hochzeitsgesang "Pour Mariages" eine intim-beseelte Atmosphäre, wie man sie mit ihrem zärtlich wiegenden Rhythmus ähnlich wohl nur von Jacques Offenbachs berühmter "Barcarole" aus seiner Oper "Hoffmanns Erzählungen" kennt. Und Jacques Froméntal Halévys Psalm 122 präsentieren die Künstler zum krönenden Abschluss als opulente Huldigungsszene, die von der eindringlichen Friedensbitte zum großen Triumphmarsch anwächst.

Nicht zuletzt erhält diese stimmungsvolle "Stunde der Kirchenmusik" ihren besonderen Zauber auch durch die fesselnde Rezitation der Gesangstexte durch den Ingolstädter Schauspieler Jan Gebauer. Seine markante, von der Kanzel aus plastisch geführte, tief timbrierte Sprechstimme bereitet das Publikum auf die jeweiligen Darbietungen vor. Einen ganz eigenen Reiz zum romantischen Kolorit des Abends trägt obendrein die vom Chor mit Bravour gemeisterte, sicher nicht einfach zu lernende aschkenasische Aussprache bei. Klangvolle Gebetspreziosen, die man sonst selten zu hören bekommt - schon gar nicht in dieser aparten, schimmernden Vielschichtigkeit, mit der Incanto Corale sie zum Leben erweckt. Denn der für das Ensemble so charakteristische, leuchtend satte, reine, homogene Gesamtklang ermöglicht es Chorleiter Franz Raml in seiner schwungvoll und lebhaft ausgefüllten Doppelrolle als Gastdirigent und Pianist, seinen Sängern mit großer Ausdrucksstärke und Wandlungsfähigkeit auch kleinste Feinheiten sowie gefühlvoll ausgefeilte Details zu entlocken - was von den Konzertbesuchern mit lang anhaltendem Applaus belohnt wird.

Heike Haberl