Wolfsburg (DK
Klagewelle und Imageverlust

VW richtet angeblich Rechtsressort im Vorstand ein – Nachrüstung von 3,6 Millionen Autos in Europa

09.10.2015 | Stand 02.12.2020, 20:42 Uhr

Wolfsburg (DK/AFP/dpa) VW muss wegen der Abgas-Affäre allein in Europa wohl 3,6 Millionen Fahrzeuge für aufwendigere Nachbesserungen in die Werkstatt rufen. Und wegen der drohenden Prozesslawine wird der Konzern voraussichtlich ein eigenes Rechtsressort im Vorstand schaffen.

Bei den in Frage stehenden Fahrzeugen werde „mit großer Sicherheit eine motortechnische Anpassung notwendig sein“, sagte ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums am Freitag in Berlin. Er berief sich auf das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) in Flensburg, das derzeit prüfe, welche Maßnahmen VW umsetzen müsse.

Bei den betroffenen Fahrzeugen handle es sich um Diesel-Autos mit 1,6-Liter-Motoren, ergänzte der Sprecher. Wie viele Fahrzeuge mit Zwei-Liter- und 1,2-Liter-Diesel-Motoren von dem Manipulationsskandal betroffen seien, konnte der Sprecher nicht sagen. Das KBA brauche wohl noch „einige Tage“, um die technischen Vorschläge von VW zu prüfen. Der Konzern hatte dem Bundesamt am Mittwoch Vorschläge und einen Zeitplan unterbreitet, wie und bis wann von den Abgas-Manipulationen betroffene Fahrzeuge nachgerüstet werden könnten.

Wie der Rechercheverbund aus „Süddeutscher Zeitung“, NDR und WDR unter Berufung auf Unternehmenskreise berichtete, plant VW als Reaktion auf die Affäre einen neuen Vorstandsbereich zu schaffen, der Gesetzesverstöße in Zukunft verhindern soll. Demnach laufen bereits Gespräche mit möglichen Kandidaten für das neue Amt. Insider rechneten damit, dass der neue Posten schon in den nächsten zwei, drei Wochen besetzt werden könnte. Der Konzern steht unter großem Druck, weil wegen der Manipulation von Abgaswerten hohe Straf- und Schadenersatzzahlungen vor allem in den USA drohen.

Nach dem texanischen Landkreis Harris County hat nun auch der US-Bundesstaat Texas die Landesgesellschaften von Audi und VW wegen des Verstoßes gegen Verbraucherschutz- und Umweltgesetze verklagt. Volkswagen habe seine Kunden absichtlich über Jahre in die Irre geführt, teilte der Justizminister und Generalstaatsanwalt des Staates, Ken Paxton, am Donnerstag (Ortszeit) in Austin mit. Wenn Firmen vorsätzlich das Vertrauen der Öffentlichkeit verletzten, müsse eine Strafe bezahlt werden. Von den US-weit rund 480 000 von den Manipulationen betroffenen Autos sind nach Angaben des Staates rund 32 000 in Texas verkauft worden. Harris County fordert wegen Luftverpestung durch mindestens 6000 in der Region verkaufte VW-Diesel vom Konzern mehr als 100 Millionen Dollar (89 Millionen Euro).

In Deutschland reichte unterdessen ein erster Anleger Schadensersatzklage gegen Volkswagen ein. Der Düsseldorfer Aktionär fordere eine finanzielle Entschädigung von rund 22 000 Euro für den vom Konzern verschuldeten Kursverlust, teilte die Düsseldorfer Kanzlei mzs Rechtsanwälte mit. Gleichzeitig beantragten die Anwälte beim Landgericht Braunschweig ein Kapitalanleger-Musterverfahren.

Einem Vorabbericht des Nachrichtenmagazins „Spiegel“ zufolge wird das Nachfolgemodell für den VW Phaeton, das Ende 2016 auf den Markt kommen sollte, gestrichen. Nur eine Version mit Elektroantrieb sei noch in der Diskussion. Einsparungen soll es auch beim Fußball-Sponsoring und beim Motorsport geben. Insgesamt werde VW in die Verlustzone stürzen. Der Konzern äußerte sich auf Anfrage nicht zu dem Bericht. VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh sagte: „Also wenn schon Phaeton, dann als Elektrofahrzeug mit 800 Volt, 15 Minuten Ladezeit und mit 500 Kilometer Reichweite.“

Keine Auswirkungen werde der Abgasskandal auf die VW-Investitionen in Spanien haben, sagte unterdessen der spanische Industrieminister, Manuel Soria, dem Radiosender „Cope“. Volkswagens neuer Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch habe ihm „garantiert“, dass die Investitionen Bestand hätten. VW will in sein spanisches Tochterunternehmen Seat rund 3,2 Milliarden Euro investieren.

Der Betrug mit Abgaswerten hat einer Umfrage zufolge schon verheerende Auswirkungen auf das Image des Autobauers in Deutschland: Nur noch 43 Prozent der Bundesbürger gaben in einer Umfrage des Verbands führender Kommunikationsagenturen GPRA an, sie hätten Vertrauen in Volkswagen, wie das Nachrichtenmagazin „Focus“ berichtete. Das sei der niedrigste Wert unter den in der Studie untersuchten Autoproduzenten. Vor zwei Jahren hätten noch 84 Prozent die Frage bejaht. Ähnlich hart trifft es dem Magazin zufolge Volkswagens Premium-Tochter Audi: Für die Ingolstädter verschlechterte sich der Wert im Vertrauensindex von 85 auf 52 Prozent.

Mitte September war bekannt geworden, dass VW in den USA Abgaswerte von Diesel-Fahrzeugen durch eine Software manipuliert hatte, die bei Tests auf dem Prüfstand zu einem niedrigeren Stickoxidausstoß als im Normalbetrieb führte. Die Software ist in insgesamt elf Millionen Fahrzeugen weltweit eingebaut.