Ingolstadt
Kino im Kopf

Robert Gregor Kühn gastiert mit Kirchhoff-Monolog in Ingolstadt

26.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:46 Uhr

Zwischen Komik und Tragik: Robert Georg Kühn nahm das Publikum im Altstadttheater mit auf einen packenden Parforceritt zwischen Slapstick und voyeuristischer Nabelschau. - Foto: Wirtz

Ingolstadt (DK) Wie oft passieren Pannen im Theater? Requisiten fliegen unkontrolliert über die Bühne, die Technik streikt, jemand verpasst seinen Einsatz. Dann liegt es an den Akteuren, das Dilemma zu überspielen, doch geübte Theaterbesucher bemerken selbst den kleinsten Fehler.

Ganz anders ist es bei einer Striptease-Nummer, die am Freitagabend im Altstadttheater beginnen sollte. Dessen Ansager (Robert Gregor Kühn) unterhält das Publikum so gut, dass es schon fast vergisst, warum es eigentlich hier ist.

Die "post it - productions" haben das Altstadttheater für "Der Ansager einer Stripteasenummer gibt nicht auf" unter der Regie von Jörn Mensching mit rotem Scheinwerferlicht und einem einfachen schwarzen Holzstuhl für eine Nacht in ein Varieté verwandelt. Doch es hat nichts Schmuddeliges an sich, wie man es bei dieser Art von Abendunterhaltung zu erwarten vermag.

Stattdessen ist es ein Spiel mit Worten, eine Ode an die deutsche Sprache, der sonst jedwede Erotik abgesprochen wird. Während die Tänzerin Andrea - im wörtlichen Verwirrspiel auch schon mal Andreas genannt - mit ihrem großen Auftritt auf sich warten lässt, zieht der Conférencier also geduldig alle Register. Sekunden werden zu Minuten werden zu Stunden. In der Zwischenzeit lernt man vieles über Andrea, wie sie sich bewegt und was sie anhaben wird, aber auch einiges über den Ansager, seine Beziehung zu seiner Mamà und die Desillusionierung gegenüber seinem Beruf.

Robert Gregor Kühns Interaktion mit dem Publikum ist hervorragend. Man könnte meinen, hinter dem roten Vorhang würde tatsächlich gleich die lang angepriesene und vermutlich wunderbar erotische Tänzerin hervortreten. Der Mann mit dem Schnauzbart überbrückt die Wartezeit mit Witzen, setzt einem Bilder in den Kopf, die sinnlicher nicht erzählt werden könnten, macht doppeldeutige Bemerkungen. In höchst angespannter Atmosphäre wirken sogar Verdi oder die Bibel erregend. Und das alles nur mit Worten, das Kopfkino kann beginnen.

Die Erklärungen zur Beziehung zwischen Andrea und dem Ansager werden mit dem Verstreichen der Zeit immer konfuser. Und das letzte Drittel der Aufführung bedeutet für Robert Gregor Kühn eine enorme körperliche Anstrengung - auf Wildleder-Highheels hin und her stolzierend philosophiert er nun über Geschlechterdefinitionen und macht Mut, das konservative Schubladendenken abzulegen.

Obwohl der Monolog von Bodo Kirchhoff bereits 1994 erschienen ist, ist er mit der heutigen Genderdebatte aktueller denn je. Die Anonymität und Weitläufigkeit des Internets machen Pornografie heute rund um die Uhr verfügbar. Der dritte Teil des Erotikromans "Fifty Shades of Grey" läuft derzeit in den Kinos. Umso gewagter ist es, bei dem Erfolg eines erotischen Stoffes lediglich auf die Wirkung der Worte eines einzigen Schauspielers zu setzen.

Die Verzweiflung des Ansagers steigert sich bis ins Unermessliche. Wo bleibt Andrea? Er hat noch ein letztes Ass im Ärmel, das an dieser Stelle nicht verraten wird. Applaus für den unerwarteten Seelen-Striptease.