Kinding
Keine Leidenschaft für "Rumgeschnulze"

Bürgermeisterin Rita Böhm liebt ehrliche Musik ohne Liebesgeflüster und Märchen von der heilen Welt

20.04.2015 | Stand 02.12.2020, 21:24 Uhr

Auf dieser Geige spielt Rita Böhm natürlich nicht. Die Mini-Geige hat sie von Verwandten bekommen - quasi als Dank dafür, dass sie nicht mehr zur echten Violine greift - Foto: aur

Kinding (DK) Stellen Sie sich einmal vor, es ist Samstagabend, Sie sitzen zu Hause gemütlich im Wohnzimmer und schauen das große Frühlingsfest der Volksmusik. Florian Silbereisens Föhnfrisur sitzt wie gewohnt perfekt, ebenso das Grinsen in seinem Gesicht. In seiner schmissigen Art kündigt er den nächsten Star am Schlagerhimmel an. Die Kamera macht einen Schwenk über das Publikum, ein Meer aus Rosen und bunten Frühlingsblumen, eine leichte Akkordeonmelodie setzt ein und da steht sie im künstlichen Nebel auf der Bühne: Rita Böhm in einem funkelnden Kostüm in Aquamarin, die mit sanfter Stimme ihren neuen Hit „Haunstetten, meine Perle“ singt.

Klingt verrückt? Ist es auch! Denn wenn aus Rita Böhm eines niemals geworden wäre, dann Schlagersängerin. Einmal ganz davon abgesehen, dass die Bürgermeisterin der Gemeinde Kinding über sich selbst sagt, nicht singen zu können – die Welt der Schlager lässt ihr einen kalten Schauer über den Rücken laufen. „Dieses Rumgeschnulze und diese glatte, unehrliche Welt, das packe ich nicht!“, ruft sie und verzieht ihr Gesicht. Die Helene Fischers, Roy Blacks und sämtliche Schlagerstadel der Welt könnten ihr gänzlich gestohlen bleiben. „Das ist mir zu künstlich“, sagt die 59-Jährige bestimmt.

Bei Musik sei ihr wichtig, dass der Text „kein totaler Krampf ist“, sagt sie und lacht erneut. Chormusik, Klassik „und von mir aus auch mal eine Ruaßkuchlmusi“, das sei schon eher nach ihrem Gusto. „Musik, finde ich, kann wunderbar Stimmungen unterstreichen.“ Gerade deshalb sei die Weihnachtszeit ohne Musik ganz undenkbar für die gebürtige Haunstettenerin. „Zu Weihnachten gefällt mir Bach. Momentan, würde ich sagen, wäre es eher Zeit für das symphonische Blasorchester Beilngries – am liebsten live.“

Denn was sie daran begeistert, sind nicht nur die feinen Melodien, die ihre Stimmung genau passend unterstreichen, sondern auch das Können der Musiker. „Ich bewundere jeden, der ein Instrument spielen kann. Und ich habe höchsten Respekt davor.“

Nun könnte man meinen, Rita Böhm selbst sei es nie vergönnt gewesen, ein Instrument zu spielen – das stimmt aber nicht. In Wirklichkeit hat Rita Böhm nämlich selbst sieben Jahre Geige gespielt. „Ich bin auf das Gabrieli-Gymnasium in Eichstätt gegangen. Da war Geige oder Klavier Pflicht.“ Aus praktischen Gründen, um mit einem Leihinstrument auch zu Hause in Haunstetten üben zu können, wählte sie die Geige. „Ansonsten hätte ich mich vielleicht für Klavier entschieden. Da sind immerhin die richtigen Töne schon drin“, sagt sie lachend. Denn das Treffen der Töne habe sich bei ihr schwieriger gestaltet als sie gedacht hatte. „Ich habe schnell feststellen müssen, dass ich überhaupt nicht musikalisch bin“, gibt sie zu. Die Jahre des Fiedelns – „ein einziger Kampf für mich“, sagt die Kindinger Bürgermeisterin rückblickend.

Ob sie da nicht zu selbstkritisch oder vielleicht bescheiden ist? „Nein, leider nicht. Vor ungefähr 20 Jahren habe ich überlegt, dass ich es vielleicht doch noch einmal versuchen könnte mit der Geige“, erzählt sie. Der Vorschlag sei in ihrem Umfeld jedoch auf regelrechtes Entsetzen gestoßen. „Nicht nur meine Familie, sondern sogar die Nachbarn haben mich gebeten, es nicht zu tun.“ Sie grinst. Der Tag ihrer praktischen Abiturprüfung sei damit der letzte Tag gewesen, an dem sie eine Geige angefasst habe.

Recht viel Zeit sei danach in ihrem Leben ohnehin nicht für Musik geblieben: Nach dem Abitur zog Rita Böhm aus „in die Welt“, um in Weihenstephan Ökotrophologie zu studieren. Sie lernte ihren Mann kennen, heiratete, absolvierte in beinahe jeder freien Minute Praktika, schloss ein Referendariat ab, wurde Mutter und begann, während ihr Mann noch an der Universität promovierte, im Dienste des Freistaats Bayern in der Landesanstalt für Ernährung in München zu arbeiten – zusammengefasst sind das sechs Jahre, die puren Stress bedeuteten. „Das war eine schwere Zeit, wenn nicht die schwerste meines Lebens“, sagt Böhm heute.

Neben Arbeit und Familie habe sie da kaum etwas wahrgenommen. Erst im Jahr 1990, als Böhm das Amt der Bürgermeisterin der Gemeinde Kinding übernommen hat, sei der Knoten geplatzt. „Der Stress war nicht weg, aber anders – besser“, sagt Böhm. Und seither genieße sie es auch wieder sehr, in Konzerte zu gehen oder auch einmal bewusst eine CD einzulegen. „Und ansonsten bin ich ganz sicher, dass von mir in musikalischer Hinsicht rein gar nichts mehr zu erwarten ist“, erklärt sie beinahe feierlich.