München
"Keine Geheimnisse!"

Zwei Ausstellungen in München befassen sich mit dem Thema (Selbst-)Überwachung

24.03.2017 | Stand 02.12.2020, 18:25 Uhr

München (DK) Hier kommt keiner ungesehen herein! Wer die Ausstellungsräume der Eres-Stiftung betritt, wird ungefragt gefilmt und entdeckt sein Konterfei anschließend überrascht auf einer Art Weltkugel aus Bildschirmen. Der niederländische Künstler Matthias Oostrik setzt um, was zwei Ausstellungen im Titel versprechen: "No secrets!" ("Keine Geheimnisse!"). Eine Kooperation zwischen dem Stadtmuseum München und der Eres-Stiftung machte möglich, dass das Thema Überwachung in vielen Facetten vor Augen geführt wird - und wer sich nur einen Teil anschaut, versäumt womöglich die interessantere Hälfte.

In den Schwabinger Kellerräumen der Eres-Stiftung sind zehn Positionen von Künstlern zum Unter-Thema "Reiz und Gefahr digitaler Selbstüberwachung" zu sehen. So hat die britische Künstlerin Susan Morris rund um die Uhr ein Aktivitäts-Armband getragen und die gespeicherten Daten in einen Wandteppich umgesetzt, der als textiles Streifenmuster jetzt ihren Wach- und Schlafrhythmus dokumentiert. Damit entstand eine ästhetische Position zum Thema, das erst durch Hintergrundinformationen "lesbar" ist. Die Brisanz des Themas Überwachung dagegen zeigt eine Video-Installation von Hasan Elahi aus Bangladesch. Er wurde in Detroit vom FBI festgehalten, weil sein Name auf eine Liste von Terrorverdächtigen geraten war. Um diese Erfahrung der Befragung in Zukunft zu vermeiden, begann er, das FBI mit Fotodateien zu seinen Aufenthaltsorten zu überschwemmen. Er versucht somit, durch Fotos selbst seine Identität darzulegen, statt dies anderen zu überlassen.

Ist dies nun eine subversive Strategie oder eine völlige Hingabe an den Überwachungsstaat? Die Antwort müssen die Nutzer von Handys und Laptops selbst entscheiden. Und noch eines lehrt diese Ausstellung durch das Architekturmodell des Hauses von Mark Zuckerberg, Gründer von Facebook: Die Angst vor Überwachung ist auch eine Frage des Geldes. Zuckerberg kaufte die Anlieger-Grundstücke neben seinem Haus auf, um sein Privatleben zu schützen. Ein Wäscher im indischen Mumbay oder eine Flüchtlingsfrau aus dem Südsudan hat diese Probleme nicht. Diese Zusammenhänge zwischen Überwachung und Reichtum blenden beide Ausstellungen aus. Während in der Eres-Stiftung zeitgenössische Künstler einen individuellen Zugang zum Thema vorstellen, sucht das Stadtmuseum "Bilder der Überwachung" (so der Untertitel) zu zeigen und einen geschichtlichen Überblick zu geben. Und da beginnt man tatsächlich bei Carl Spitzweg und seinem "Nachtwächter", der 1875 das Recht hatte, verdächtige Personen auf den Straßen zu befragen und zu verhaften. Das idyllisch anmutende Ölbild ist der Einstieg in die Welt der Straßenbeleuchtung, der Nachtsichtgeräte, der Drohnen und Kameras - bis hin zur Agentenkamera im Feuerzeug.

Einen Ort der Überwachung in seiner ganzen Banalität zu zeigen, das war das Ziel der Fotografin Alessandra Schellnegger. Einen verregneten Nachmittag lang hielt sie mit der Kamera die schäbigen, verwohnten und verlassenen Räume der BND-Gebäude in Pullach fest. Die Aufnahmen sind fast eine Entzauberung dieser Agenten-Hochburg, weil kleinbürgerlicher Mief aus allen Ecken zu dampfen scheint.

Wie aber könnte man selbst eine Überwachung inszenieren? Die Kamera in der Hofeinfahrt zum Stadtmuseum liefert auf den Bildschirm im Museum nur nichtssagende Aufnahmen von vorbeifahrenden Autos. Wer wird sich in diesem Kino auf die bereitstehenden Stühle setzen? Subtiler ist die Modell-Stadt aus Elektro-Schrott, die Luca Pancrazzi in eine Stele gebaut hat. Von hier aus übertragen Kameras ihre Bilder auf Video-Monitoren unter dem Titel "15 Minuten später" - und der Betrachter kann sich fragen, was zuvor in diesen verlassenen Straßen passiert sein mag und wie leicht er sich täuschen lässt von Bildern, die nur eine Spielzeugwelt zeigen.

Dass mit den Bildern von Überwachungskameras auch auf Stimmenfang gegangen wird, zeigt das Plakat von Josef Schmid aus dem Jahr 2008 mit dem Titel "Was zählt ist Münchens Sicherheit". Das gezielte Schüren von Ängsten war im damaligen Wahlkampf heftig umstritten. Die Gegenposition vertritt Philipp Messner, der sich den Kamerabildern entziehen will. Er hat nach biometrischen Porträtfotos im 3D-Drucker eine Maske anfertigen lassen, die er über sein Gesicht legt, wenn er sich im öffentlichen Raum bewegt. Das individuelle Mienenspiel und der emotionale Ausdruck auf dem Gesicht werden damit unkenntlich gemacht, der Maschine wird ein von Maschinen gefertigtes Gesicht entgegengehalten.

Beide Ausstellungen zeigen, dass Künstler sich zunehmend mit den Fragen der Überwachung menschlicher Individuen und dem naiven Glauben, dass ein Algorithmus zwischen Terrorist und Tourist unterscheiden kann, auseinandersetzen. Angesichts einer immer höher anschwellenden Datenflut durch Handys und Kameras wäre der passende Schlussakkord für die Positionen der 30 Künstler wohl Goethes Zauberlehrling und sein Hilferuf: "Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los."

Bis zum 16. Juli in der Eres-Stiftung, Römerstraße 15, geöffnet dienstags, mittwochs und samstags von 11 bis 17 Uhr, sowie im Stadtmuseum München, St.-Jakobs-Platz 1, täglich geöffnet außer montags von 10 bis 18 Uhr.