Pfaffenhofen
Kein Raub, sondern Demütigung

Bewährungsstrafe für Hooligan, der Bayern-Anhänger verprügelte und ihnen Fanschals abnahm

23.07.2020 | Stand 25.10.2023, 10:24 Uhr
Eine modellhafte Nachbildung der Justitia steht neben einem Holzhammer und einem Aktenstapel. −Foto: Volker Hartmann/dpa/Illustration

Pfaffenhofen - Er kann's einfach nicht lassen.

Schon dreimal war Kevin M. , 22, (alle Namen geändert) in Schlägereien mit Fußballfans verwickelt, zuletzt stand er deshalb in Pfaffenhofen vor dem Jugendgericht. Jetzt musste er sich vor dem Schöffengericht wegen Raub verantworten: Am 16. April nachts gegen 23 Uhr ist er am Pfaffenhofener Busbahnhof mit drei Spezln über zwei Bayern-Fans hergefallen, hat sie mit Fäusten und Tritten übel zugerichtet, um ihnen Fan-Schals und ein Bayern-Shirt abzunehmen.

"Ich bin auch Fußball-Fan", sagt die Staatsanwältin, "aber das verstehe ich nicht. " Man muss auch nicht verstehen, was Kevin, Mönchengladbach-Anhänger, in jener Nacht geritten hat. Er war an jenem Samstagabend mit drei Freunden in München, "was essen und trinken". Auf dem Heimweg war der Regio voller Bayern-Fans, die von einem Spiel in der Allianz-Arena nach Hause fuhren. Zwei von ihnen, Bayern-Schals um den Hals gewickelt und im FCB-Shirt, stiegen in Pfaffenhofen aus und warteten am Busbahnhof auf ein Taxi, als sie Kevin und dessen Freunde herankommen sahen. "Servus", begrüßte ihn Lukas, einer der beiden Bayern-Fans. Man kannte sich. "Nix Servus", erwiderte Kevin, "her mit dem Zeug. " "Spinnst du? ", entgegnete Lukas, 26, "wo ist dein Problem? " Falsche Frage: Kevin packt ihn an der Brust, drischt mit Fäusten auf ihn ein, und als er am Boden liegt, tritt er zu, auch gegen den Kopf. Sein Freund Jonas kommt Lukas zu Hilfe und wird ebenfalls mit Fäusten und Tritten traktiert. Da nutzt es ihm auch nichts, dass er bittet, von ihm abzulassen, weil für ihn Lebensgefahr bestehe: Nach einem schweren Unfall vor drei Jahren mit einem Schädelbasisbruch und Gehirnblutungen wurde ihm eine künstliche Platte eingesetzt. "Jede Erschütterung", sagt Jonas vor Gericht, "kann meinen Tod bedeuten. " Davon will Kevin in jener Nacht nichts gehört haben. Er entreißt den beiden die Fan-Schals, Lukas zieht sich der Not gehorchend sein Shirt vom Leib.

Die Hooligans rennen die Treppe runter zur Münchner Straße und stopfen dann die Beute in den nächsten Mülleimer. "Das war's dann eigentlich auch schon", beendet der 22-Jährige seine Schilderung. Die Namen seiner Spezln will er nicht preisgeben.

Richterin Katharina Laudien versteht das alles nicht. "Ich hab' mich provoziert gefühlt", klärt Kevin sie auf. Die Richterin: "Mögen Sie die Bayern nicht? " - "In dem Moment anscheinend nicht. " Warum er sich denn die Fan-Artikel erst mit Gewalt aneignet und sie dann wegwirft? Kevin nennt das ein "fan-typisches Verhalten": "Da wir alles erreicht haben, sie zu demütigen, haben wir die Sachen weggeworfen. " Bitte? Kann man jemanden demütigen, indem man ihm einen Bayernschal abnimmt? In Ultra-Fan-Kreisen ganz offensichtlich ein Vorgehen, das dort genauso geläufig ist wie diese Vokabel.

Kevin weiß, dass er vor Gericht ganz schlechte Karten hat. Seine letzte Verurteilung liegt gerade mal eineinhalb Jahre zurück, damals soll er an der Spitze von anderen Gladbach-Fans auf Stuttgarter losgegangen sein (der PK berichtete). Der Vorfall machte Schlagzeilen, weil die Polizei mit einem Großaufgebot die Massenschlägerei stoppen musste. Amtsrichter Ulrich Klose verurteilte ihn nach dem Jugendstrafrecht zu einem einjährigen Stadionverbot und schickte ihn zu einem Anti-Aggressionstraining. Offensichtlich mit mäßigem Erfolg.

Deshalb ist Kevin um Ausgleich bemüht. Im Gerichtssaal bittet er seine beiden Opfer um Entschuldigung und hält ihnen einen Briefumschlag mit jeweils 300 Euro und einen neuen Fan-Schal entgegen. Die Entschuldigung nehmen beide an, das Geld und den Schal lehnt Lukas ab: "Behalt' den Kram. "

Solche Aktionen wirken sich positiv auf das Urteil aus, zumal Kevins Verteidiger nachschiebt, man müsse seinem Mandanten ja auch zugutehalten, welche Überwindung es ihn gekostet hat, im Fan-Shop eines gegnerischen Vereins einzukaufen - eine Logik, die sich nicht jedem erschließen muss.

Kevins großes Problem: Er unterliegt inzwischen dem Erwachsenen-Strafrecht. Und das kennt bei Raub kein Pardon. Im Strafgesetzbuch heißt es. "Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft. "

Genau da setzt Kevins Verteidiger an: Sein Mandant habe keine "Zueignungsabsichten" gehegt, sondern wollte die Anhänger eines anderen Clubs demütigen. Er verweist auf ein Referenzurteil des Bundesgerichtshofs: Ein Rocker hatte einem Mitglied der rivalisierenden Gang die Motorrad-Kutte weggenommen, "um ihn zu demütigen". Das erfülle nicht den Straftatbestand des Raubs, entschieden die obersten Richter.

An diesem Urteil kommt auch das Pfaffenhofener Schöffengericht nicht vorbei. Es verurteilt den 22-Jährigen wegen Nötigung und gefährlicher Körperverletzung zu einem Jahr Haft auf Bewährung. Außerdem wird ihm ein Bewährungshelfer zur Seite gestellt.

Und damit er noch lange an "den Schmarrn, der so überflüssig war wie ein Kropf", denkt, so die Richterin, drückt sie ihm noch eine Geldbuße von 2000 Euro auf - zahlbar in 20 Monatsraten.

PK

 

Albert Herchenbach