Rio
Kein Mitleid mit den Kolleginnen

Nach dem enttäuschenden Abschneiden der Speerwerferinnen kocht im Olympiastadion der Nominierungsstreit erneut hoch

19.08.2016 | Stand 02.12.2020, 19:24 Uhr

Rio de Janeiro (DK) Es war ein Debakel. Und es nutzte nichts, darum herumzureden. Das macht Christina Obergföll ohnehin nie. Aber den Seitenhieb kann sie sich dann auch nicht verkneifen nach dem letzten großen Wettkampf ihrer Karriere bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro. "Natürlich habe ich mir das anders vorgestellt, aber ich bin stolz, dass ich nach den ganzen Diskussionen im Vorfeld heute als beste Deutsche aus dem Wettbewerb gehe", sagt Deutschlands herausragende Speerwerferin des letzten Jahrzehnts, "leistungsfördernd waren diese Auseinandersetzungen um die Nominierung sicher nicht."

Die nicht nominierte Weltmeisterin Katharina Molitor saß zu Hause vor dem Fernseher, als die ihr vorgezogenen Kolleginnen in Rio chancenlos untergingen. Linda Stahl und Christin Hussong landeten unter ferner liefen, Ex-Weltmeisterin Obergföll erreichte zumindest die zweite Runde des Finales. Und dann legte sie nach: "Was da im Vorfeld passiert ist, war unterirdisch, damit meine ich nicht Katharina Molitor, sondern ihren Klub. Ein Verhalten unter der Gürtellinie, das muss ich mir nicht gefallen lassen angesichts meiner Karriere. Momentan habe ich nicht so viel Mitleid mit den anderen. Das soll aber jetzt gar nicht böse klingen", sagt die Offenburgerin. Es klang aber trotzdem böse. Und es war auch so gemeint. Katharina Molitor attackierte in der Heimat erneut den nominierenden Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) scharf: "Ich bin um eine Medaille gebracht worden."

Obergföll, Zweite von London 2012 und Dritte von Peking 2008, belegte mit 62,92 Metern den achten Rang. Linda Stahl, Zweite der Europameisterschaften, und Meisterin Christin Hussong hatten sich da schon längst ihren Trainingsanzug angezogen und den Rucksack gepackt. "Es war schnell vorbei, der Kampf um die Nominierung hat uns alle viel Körner und Energie gekostet", meinte Linda Stahl.

Molitor hatte versucht, ihr Olympia-Ticket vor dem Landesgericht und Oberlandesgericht Frankfurt einzuklagen und Obergföll den Startplatz streitig zu machen. Das Verfahren blieb aber ohne Erfolg. "Das war nicht schön und nicht leistungsfördernd", sagte Obergföll. Sie nehme Molitor ihr Vorgehen gar nicht übel, aber aus dem Leverkusener Verein habe es doch "sehr unpassende Kommentare gegeben".

Und sie redete sich im olympischen Frust in Rage. "Von den drei Mädels hat sich niemand um mich gekümmert in der Zeit." Denen sei das offenbar egal gewesen. Obergföll schlug vor, in Zukunft die drei bestplatzierten deutschen Werferinnen in der Weltrangliste zu nominieren. Ihr und Linda Stahl kann das egal sein, die Karrieren befinden sich im Zielbogen. Auf die Frage nach einer Zäsur im deutschen Speerwerfen reagiert Obergföll gereizt: "Was soll diese Frage? Verstehe ich nicht."

Christin Hussong reagierte überhaupt nicht. Und lief heulend an den Fragestellern vorbei. Auch im Stadion hatte sie bittere Tränen vergossen. Vor Olympia hatte sie 66,41 Meter geworfen, das wäre Gold in Rio gewesen. Sie kam aber nur auf klägliche 57,70 Meter, eines Olympiastarts unwürdig. Auch Linda Stahl musste vor der keineswegs überragenden Konkurrenz kapitulieren. Die Leverkusenerin kam auf 59,71 Meter. Die angehende Medizinerin hätte Katharina Molitor gerne dabei gehabt, sie ist im Schatten des Bayer-Werkes ihre Trainingskollegin. "Aber jetzt ist die Luft sowieso raus." Wie auch beim Rest der Mannschaft. Ex-Weltmeister David Storl scheiterte im Finale des Kugelstoßens ebenfalls kläglich. Selbst in den vermeintlichen deutschen Paradedisziplinen läuft aktuell nicht mehr viel zusammen. Es ist hohe Zeit für einen Neubeginn.