Ingolstadt
Kegeln und Karaoke

In der Senioren-Residenz Elisa können Bewohner in Pilotprojekt altersgerechte Videospiele ausprobieren

18.09.2019 | Stand 23.09.2023, 8:38 Uhr
Spielekonsole für Senioren: Elisabeth Carl (links) steuert das Kegelspiel allein mit ihren Armbewegungen. Jens Brandis von der Entwicklerfirma RetroBrain assistiert ihr am Anfang dabei. −Foto: Brandl

Ingolstadt (DK) Elisabeth Carl hebt den Arm und holt mit einer sportlich-grazilen Bewegung nach oben aus.

Es macht den Eindruck, als wolle sie mit elegantem Schwung einem imaginären gegenüber die Hand reichen, doch die Seniorin sitzt auf einem Stuhl und blickt auf einen Fernsehbildschirm. Dort zu sehen: das Bild einer Spielekonsole. Eine lange Bahn, an deren Ende neun Kegel stehen. Carl hat sie soeben alle abgeräumt. Ein Handstrich genügt, und die virtuelle Kegelkugel landet einen Volltreffer. Die Umstehenden applaudieren kräftig, und Carl schmunzelt geschmeichelt. Anschließend setzt sie sich mit ihren beiden Mitbewohnerinnen vor dem Bildschirm zusammen und beginnt, Karaoke zu singen. "Die Gedanken sind frei" schallt es durch den Raum in der Seniorenresidenz Elisa an der Esplanade .

Die Konsole, die Jochen Binder von der Barmer und Jens Brandis von der Entwicklerfirma RetroBrain ins Elisa mitgebracht haben, unterscheidet sich kaum von herkömmlichen Geräten - mit einem Unterschied: Die Software ist auf die Belange von Senioren zugeschnitten und damit auch die mitgelieferten Spiele wie etwa Tischtennis, Tanzen und eben Kegeln. Außerdem können die Spiele bequem im Sitzen gespielt werden. Die nötigen Körperbewegungen zur Steuerung werden von einer Kamera erfasst.

Die Vorführung markiert den Auftakt zum Präventionsprojekt memoreBox für stationäre Pflegeeinrichtungen in Ingolstadt. Die Spielekonsole bietet demnach die Möglichkeit, die körperliche und geistige Fitness von Senioren spielerisch zu fördern. "Die therapeutischen Videospiele sollen den Alltag in der stationären Pflege bereichern und die Lebensqualität der Bewohner steigern", sagt Binder hierzu.

Wie das ankommt? Ziemlich gut, zeigt der Testlauf mit drei Damen. "Das Kegeln und das Singen waren schön. Ich würde das öfter machen", sagt Maria Arnthofer (kleines Foto links) begeistert. Ihre Erfahrung mit Videospielen hielt sich bisher in Grenzen. "Mein Enkel hat mir das vor Jahren mal gezeigt, aber gekauft habe ich mir so etwas nicht", räumt sie ein. Womit sie sich als Kind die Zeit vertrieben hat? "Ich bin auf dem Land aufgewachsen, da gab es nicht viel. Wir hatten einen Peitschenkreisel, Schusser und kleine Wagen zum Ziehen", erinnert sie sich.

Ähnlich war es bei Erika Helsper (kleines Foto). "Wir haben viel auf der Straße gespielt", sagt sie und zählt als Spielzeug auch den Peitschenkreisel sowie Puppen auf. Auch ihr hat das Spielen mit der memoreBox gut gefallen. "Vor allem die Fahrt mit dem Motorrad und das Tischtennis würde ich öfter machen. " Einmal habe sie sogar eine VR-Brille ausprobiert. "Mein Enkel hat mir das gezeigt", verrät die 87-jährige gebürtige Frankfurterin, die auch schon einen Computerkurs absolviert hat, wie sie sagt. Mit Bits und Bytes agiert sie in der Freizeit dennoch wenig. "Die paar Postkarten, die ich noch verschicke, kann ich auch mit der Hand schreiben", findet sie.

Einrichtungsleiter Dieter Schalamon findet das Projekt "super", wie er sagt. "Mir ist etwas Ähnliches vor fünf Jahren begegnet. Damals konnte man die Spiele aber noch nicht im Sitzen mit den Armen steuern, weshalb es meines Erachtens nur für Senioren mit ausreichender Fitness geeignet war", sagt er. Von den Bewohnern habe er positive Rückmeldungen erhalten. "Die haben sich das schwieriger vorgestellt", so Schalamon.

Das Projekt, das unter der Schirmherrschaft von Digitalstaatsministerin Dorothee Bär steht, werde nun ein Jahr lang mit der Barmer als Partner vorgestellt. "Wir wollen 100 Einrichtungen gewinnen, darunter zehn in Bayern", sagt Binder. Der Nutzen scheint nach einem bereits ausgewerteten Modellprojekt in Berlin und Hamburg offensichtlich: "Die Untersuchung zeigte, dass die Spiele eine präventive und gesundheitsfördernde Wirksamkeit erzielen konnten. Die Stand- und Gehsicherheit der Teilnehmer wurde gestärkt, Motorik, Ausdauer und Koordinationsfähigkeiten verbesserten sich", so Binder. Fast wie beim richtigen Kegeln.

Michael Brandl