Ingolstadt
Kaum Asthmatiker in Ingolstadt?

Laut AOK-Erhebung ist der Anteil der Patienten auf zweitniedrigstem Stand bayerischer Großstädte -Lungenarzt zweifelt das an

18.11.2020 | Stand 23.09.2023, 15:32 Uhr
Nebel in Ingolstadt - das kennt man: Inversionswetterlagen wie oft im Donautal verstärken die Auswirkungen von Schadstoffbelastungen. Lungenfacharzt Carsten Helbig zweifelt deshalb das Ergebnis einer AOK-Erhebung zu Asthma an. −Foto: Eberl (Archiv)

Ingolstadt - Ist die Luft in Ingolstadt besser als in Kaufbeuren?

Aus einer Datenauswertung im "Gesundheitsatlas Bayern" des Wissenschaftlichen Instituts der AOK könnte man das schließen. Danach hat Ingolstadt den zweitniedrigsten Anteil an Asthmatikern unter den bayerischen Großstädten, wie die Krankenkasse meldet. Der Landkreis Kaufbeuren weist mit bis zu 5,1 Prozent der Einwohner dagegen den höchsten Anteil in ganz Deutschland auf. Ist die Luft dort also schlechter als in der Auto- und Industriestadt Ingolstadt? Der Ingolstädter Lungenfacharzt Carsten Helbig (kleines Foto), der sich von Berufs wegen vorrangig mit Atemwegserkrankungen befasst, zweifelt die Zahlen stark an. Bei aufgrund von Diagnose-Codierungen erhobenen Auswertungen gebe es "erhebliche Ungenauigkeiten".

Asthma ist eine Volkskrankheit, etwa fünf Prozent der Bevölkerung leidet daran, so der Mediziner. Allein in seiner Praxis seien ein Drittel der Patienten wegen Asthma in Behandlung. Die anderen zwei Drittel teilten sich auf in Patienten mit der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung COPD und restliche Lungenerkrankungen wie Lungenfibrose oder Pneumonien.

Facharzt Helbig - er ist Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbandes Ingolstadt-Eichstätt - schätzt die Zahl der Asthmatiker in Ingolstadt deutlich höher. Gerade bei Atemwegserkrankungen wie Asthma Bronchiale spielen Luftschadstoffe eine große Rolle, so Helbig. Und da gebe es in Ingolstadt nicht nur die Raffinerie, sondern auch andere Einwirkungen. Das Donautal biete ideale Voraussetzungen für Inversionswetterlagen, "der Ingolstädter Hochnebel". Dadurch würden die Auswirkungen der Schadstoffbelastung aus dem sogenannten Hausbrand durch Kaminöfen der einzelnen Häuser, den Autoabgasen und Schadstoffbelastungen aus der Industrie verstärkt.

Betroffen von Atemwegserkrankungen sind nicht zuletzt Kinder. "Asthma ist die einzige chronische Erkrankung, die in der ersten Lebenshälfte beginnt", betont der Pneumologe und verweist auf Empfehlungen aus dem Europäischen Weißbuch Lunge, wo es heißt: "Kinder, die in unmittelbarer Nähe einer dicht befahrenen Straße aufwachsen, sind einem erhöhten Asthmarisiko ausgesetzt. " Neben der Außenluftverschmutzung spiele auch die Innenluftverschmutzung eine Rolle - etwa durch Schadstoffe in Baustoffen oder Schimmelbildung.

"Bei epidemiologischen Daten ist das wichtigste die Genauigkeit, mit der die einzelnen Daten erhoben wurden, die dann später zur Auswertung kommen", betonte Helbig, von unserer Zeitung nach der Einschätzung der AOK-Zahlen befragt. Eine Diagnose allein aufgrund der Krankengeschichte stehe im Gegensatz zu einer Diagnose, die zusätzlich auf dem Ergebnis apparativer Untersuchungen beruhe. Überdies sei die Diagnose Asthma Bronchiale eine Zeit lang auch auf der Liste der Diagnosen gewesen, die zu Ausgleichszahlungen aus dem Versicherungsfonds an die Krankenkassen geführt haben - morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich heißt das Fachwort dafür.

Von Krankenkassen erhobene Zahlen beruhen in der Regel auf der Anzahl der abgerechneten Diagnosen. Danach kommt Ingolstadt bei den bayerischen Großstädten mit einem Anteil von 3,4 Prozent der Asthma-Patienten an der Bevölkerung nach Regensburg, das mit 3,3 Prozent die niedrigste Häufigkeit der chronischen Atemwegserkrankung der Großstädte aufweist. Auf Platz drei steht Erlangen (3,7) vor Würzburg (4,0), München (4,2), Augsburg (4,4), Nürnberg (4,6) und Fürth (4,7). Der Bundesdurchschnitt liege bei 4,2 Prozent. Im Landkreis Eichstätt ist der prozentuale Anteil 3,48, in Pfaffenhofen 3,34. Neuburg-Schrobenhausen weist laut AOK 3,87 Prozent Asthmatiker in der Bevölkerung auf.

In einem Punkt sind sich die Kasse und Helbig einig: Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie sei es besonders wichtig, eine Asthma-Erkrankung gut unter Kontrolle zu haben. Bei einem gut behandelten Asthma sei nicht von einem erhöhten Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf auszugehen. Asthmatiker sollten ihr Cortisonspray auf jeden Fall weiternehmen, so Helbig. Darauf hat kürzlich auch die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) hingewiesen.

DK

Ruth Stückle