München (DK) Bierleichen erwartet man morgens um vier auf dem Münchner Oktoberfest, keine Kathedralen. Aber der inzwischen international bekannte 37-jährige Fotograf Michael von Hassel (München
Kathedralen der Bierseligkeit

Die nächtliche Schönheit der Bierzelte auf dem Oktoberfest: Fotos von Michael von Hassel in München

22.09.2015 | Stand 02.12.2020, 20:46 Uhr

Sakrale Orte: Der Fotograf Michael von Hassel - Foto: Walter

München (DK) Bierleichen erwartet man morgens um vier auf dem Münchner Oktoberfest, keine Kathedralen. Aber der inzwischen international bekannte 37-jährige Fotograf Michael von Hassel (München/Berlin) fand fast sakrale Orte vor, aufgeräumt und menschenleer. Zu sehen sind seine 15 erregend stillen großformatigen Innenaufnahmen aller Münchner Festzelte in einer Ausstellung unter dem Titel „Oktoberfest Cathedrals“ in der Rathausgalerie am Marienplatz in München.

Freilich, von diesem (nicht nur) größten Gruppenbesäufnis der Welt ging schon immer eine ästhetische Faszination aus, die auch Nachdenklichkeit stiftete. Herbert Achternbuschs Film „Der Bierkampf“ von 1977 fing dies ebenso ein wie viele Fotoserien, die vom Monate dauernden Abbau und Aufbau der Wiesn berichten: Der unfassbare Aufwand für ein gerade mal zwei Wochen dauerndes Ereignis regt eben die Fantasie an.

Ähnliches gilt für Hassels auffallend farbintensive Aufnahmen, die bei einer Auflage von fünf Exemplaren 13 500 Euro etwa für das Foto „Augustinus“, das Augustinerzelt, kosten. Das Löwenbräu heißt übrigens „Lions Club“ und die Fischervroni „Fishing“.

Das Einzigartige der Zeltbilder, die fast in Fehlfarben teils rötlich, teils blau oder grün, aber meist goldgelb wie das zuvor in den Zelten ausgeschenkte Bier daherkommen, wird hervorgerufen durch die absolute Zentralperspektive aus erhöhtem Standpunkt und die aufwendige fotografische Technik. Bis zu sieben Negative werden übereinander projiziert. Die Abzüge sind mit dem schützenden Glas direkt verbunden. Die spezielle Druckform: Lambdaprint hinter nicht besonders spiegelndem Diamantweißglas kaschiert.

Aber auch die Aufnahme selbst, die hyperrealistisch, aber mit einer scheinbar synthetischen Farbgebung wirkt, ist raffiniert von dem autodidaktisch gebildeten Fotografen gemacht. Von Hassel fotografiert die Motive mehrmals mit extremen Belichtungszeiten. Dabei kommen bei jeder Belichtungssituation bestimmte Farben besonders gut heraus. Daraus schraubt er dann ein Bild zusammen, das intensiver wirkt als man es selbst mit seinen Augen an Ort und Stelle wahrnehmen würde. Dennoch bleibt der dokumentarische Aspekt wichtig, denn die einzelnen Fotoschichten bearbeitet er nicht besonders nach. Von Hassel, der sich ansonsten mit derselben Methode Aufnahmen aus dem Wald widmet, meint: Ich interpretiere Realität, aber ich verändere sie nicht. Er sei ein Foto- und kein Photoshop-Künstler, sagt er.

Bei den Oktoberfestzelten führt dies dazu, dass die schiere Größe, die monumentalen Konstruktionen und Strukturen von Tischen, Stützen, Trägern in den Vordergrund treten. Diese „Fliegenden Bauten“, die anderen Bauvorschriften als etwa gemauerte Gebäude unterliegen und vom TÜV abgenommen werden, avancieren in Hassels Fotografien zu so nie gesehenen Symbolen des alljährlichen Wahnsinns auf der Wiesn. Klar, Wiesnwirte lieben sie besonders. Viele haben die auf ihrer temporären Wahlheimat basierenden Kreationen zwischenzeitlich schon käuflich erworben.

Mit seinen durchaus auch dekorativen Bildern, die sozusagen eine intensivere Version unserer Wirklichkeit darstellen, eröffnet Hassel dem Betrachter einen anderen Blick, eine zeitlose, ja fantastische Seite eines meist beiläufigen Themas. Das gefällt auch der Kunstwelt. Auf der „Hot Art Fair“ in Basel gewann der Fotograf (gemeinsam mit drei Partnern) den Preis als bester zeitgenössischer Künstler. Galerien von Moskau über Berlin bis New York vertreten ihn. Und so darf man sich sicher sein, dass die bayerischen Biertempel noch nicht das Letzte sind, was man vom ihm sieht.

 

Rathausgalerie am Marienplatz, bis 11. Oktober. Katalog, Verlag TeNeues.