Wendelstein
Karl Valentin, wie ihn keiner kennt

Franz Josef Strohmeier und Donato Deliano präsentieren weitgehend unbekannte Werke des Münchner Unikats

14.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:49 Uhr

Der Schauspieler, Sänger und Rezitator Franz Josef Strohmeier zeigt Karl Valentin in der Jegelscheune von einer ganz anderen Seite: nachdenklich, schräg, komisch und pazifistisch. - Foto: Unterburger

Wendelstein (HK) Gibt es tatsächlich Franken, die statt die Veitshöchheimer "Fastnacht in Franken" anzuschauen lieber in die Jegelscheune nach Wendelstein gehen, um "Karl Valentin und die laute Zeit" zu erleben? Man soll es nicht glauben. Ja, es gibt solche Zeitgenossen und es kamen gleich so viele, dass die Jegelscheune rappelvoll war.

Doch wer die bekannten Couplets des Komikers mit Liesl Karlstadt erwartet hatte, der wurde enttäuscht. Stattdessen gab es Valentin, wie man ihn nicht kennt. Franz Josef Strohmeier - Schauspieler, Sänger und Rezitator - und sein Pianist Donato Deliano boten eine großartige Revue, die unter die Haut ging. Sie zeigte den Volkskomiker von einer ganz anderen Seite: nachdenklich, schräg, komisch und pazifistisch.

Er wurde in eine Zeit hineingeboren, in der eine Weltkatastrophe nie gekannten Ausmaßes heraufdämmerte: die Zeit des Ersten Weltkrieges (1914 bis 1918).

Jedes der vier Kriegsjahre kündigte Deliano mit einer "Toneinspielung" an, indem er aus historischen Reden der damaligen Zeit zitierte. So rief Kaiser Wilhelm II. am 1. August 1914 mit markigen Worten aus: "Mitten im Frieden überfällt uns der Feind! So muss denn das Schwert entscheiden! Nun auf zu den Waffen!"

Auch das zweite Kriegsjahr war noch geprägt von der Arroganz des deutschen Kaisers. Da war die Rede von "Jeder Schuss ein Russ!" und Karl Valentin spottet: "Unser Kaiser kann sich unsere vielen Feinde nimmer auswendig merken!" Die "neuesten Schnadahüpfl" sind noch geprägt von Spott und Überheblichkeit. Man macht sich lustig über "Vater Zar", die französischen Uniformen, man singt über deutsche Tauben, die in Paris hin und her fliegen, "als wenn der Eiffelturm ein Taubenkobel wär" und: "Katzen sind ein falsches Vieh, noch viel schlimmer sind die Engländer!"

Deprimierend wirkt dagegen die Ansprache von Reichskanzler Theobald Bethmann-Hollweg im Jahre 1916. Die Versteigerungen nehmen zu und auch die Lebensmittelknappheit bedrückt die Menschen. In einem Prolog rät Karl Valentin, es sei besser zu kondolieren, statt zu gratulieren, denn viele Soldaten kämen nie mehr zurück: "Sie haben für uns gelitten und für ihren Kaiser gestritten. Gott möge uns helfen zum ewigen Frieden!"

Eher schon eine Durchhalteparole ist der Aufruf von Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, der 1917 behauptet: "Der Feind griff zur Niedertracht. Der gerechte Gott ist mit uns. Die deutsche Eiche wird dem Sturm trotzen!" Valentin dagegen ist Realist. Er spricht vom "Weltkriegsgetümmel", vom heimlichen Lebensmittelschmuggel und davon, dass die Feinde alte Männer und Kinder in den Krieg schicken.

1918 ruft Philipp Scheidemann von einem Fenster des Reichstages die Republik aus, was für Valentin schon fast eine Erlösung ist. Furchterregend und urkomisch zugleich ist das Lied "Ich komm von der Hölle rauf", das Strohmeier zur Melodie von "O Tannenbaum" singt.

Noch heute ist Valentins Vision beeindruckend, als er eine Rede an den Völkerbund, dem Vorläufer der Vereinten Nationen, hält. Geradezu visionär, aber halt auch typisch Valentin, ist seine Idee, dass die verfeindeten Mächte lieber doch ein Seilziehen veranstalten sollten. "Keine Blutstropfen werden vergossen, nur Schweißtropfen!" Der Sieger des friedlichen Kräftemessens solle die Kriegsgefangenen des Gegners bekommen, die dann unversehrt nach Hause zu ihren Lieben zurückkehren. "Gesunde, frohe Menschen kehren vom Krieg heim", so Valentins Vision. "Macht aus den kommenden Kriegen große Sportfeste zum Heil der Menschheit!"

Es war ein beeindruckender, außergewöhnlicher Abend fernab der Plattitüden von Veitshöchheim.