München
Kaputte Welt

31.03.2015 | Stand 02.12.2020, 21:28 Uhr
Es leben die Symbole: Szene aus »Camino Real«. −Foto: JU/Ostkreuz/Kammerspiele

München (DK) Zwei riesengroße Plüsch-Teddybären lehnen an der Bühnenrückwand und blicken treuherzig auf das Geschehen. Symbole für den Wunsch nach einer heilen und vor allem lebenswerten Welt sollen sie nach dem Willen der Bühnenbildnerin Eva-Maria Bauer wohl sein.

Denn die Realität in dem ihnen zu Füßen liegenden Elendsviertel einer imaginären südamerikanischen Stadt ist alles andere als niedlich. In der Titel gebenden „Camino Real“, was ironisch „Königsweg“ als auch „Weg in die Wirklichkeit“ heißen kann, ist das Elend zu Hause: Arbeitslose, Fixer, Prostituierte, Zuhälter und reichlich finstere Gestalten beherrschen das Leben in dieser Straße. Dazu Frauen, die sich diesem Terror von Gewalt und Ausbeutung zu erwehren versuchen – und scheitern.

Diese Figuren sind jedoch nicht real; der amerikanische Erfolgsautor wollte in ihnen Doppel- und Wiedergänger von Don Quijote und Sancho Pansa, von Casanova und der Kameliendame Marguerite Gautier, von Lord Byron und anderen Roman- und Theatergestalten sehen. Soweit, so seltsam. Weshalb auch der Regisseur Sebastian Nübling kein aufrüttelndes Sozialdrama aus den Hinterhöfen der südamerikanischen Gesellschaft mit diesem 1953 in New York uraufgeführten Werk inszenierte, sondern ein mit Ästhetik durchwirktes Ballett. Ein von Angst und Verzweiflung kündender expressiver Tanz in den Abgrund, aus dem es kein Entrinnen gibt.

Lässig schlendernd und mit kumpelhaftem Blick ins Publikum kündigt Jochen Noch als Sheriff dieses Polizeibezirks die 16 Stationen dieses Spiels über (Alb-)Träume an. Doch von Horror keine Spur. In einer Choreografie der Emotionen wirbeln die Protagonisten über die Bühne, absolvieren streng ausgezirkelte Rituale von Herrschaft und Unterordnung, Zuneigung und Ablehnung als exzessives Körpertheater. Dies meist mit großen, leeren Plastiktaschen, die sowohl Schutz vor den Aggressionen der anderen Slumbewohner bieten als auch Symbole der Armut, der Suche nach Schutz und der unverschuldeten inneren Leere dieser Menschen in einer kaputten Welt sind.

Hat Tennessee Williams (1914–1983) dieses späte Stück – im Gegensatz zu seinen sozialkritischen Dramen – schon zu einer Abfolge von Traumgebilden montiert, so ist diese Aufführung auch noch ins Surreale gesteigert. Zweifellos eine interessante, aber auch gewöhnungsbedürftige Sicht auf dieses schwierige Stück. Und klar zu definieren sind die Bewohner der „Camino Real“ in dieser Inszenierung deshalb auch nicht. Zwischen Popanzen, Nachtmahrgestalten und tanzenden Psychokrüppeln sind sie angesiedelt. Seien es neben Sandra Hüller als ebenso verhärmte Sängerin wie seelisch verletzte Albtraumfigur Esmeralda die gespenstisch-blutleere „Kameliendame“ der Wiebke Puls oder Risto Kübar als monoton sein Schicksal beklagender, boxender Clown Kilroy „mit einem Herzen aus purem Gold, das so groß ist wie ein Kinderkopf“.

Reichlich irritiert über diese ins Symbolhafte und Desillusionierende umgesetzte Neuinszenierung spendete das Premierenpublikum freundlichen Applaus. Der Regisseur nahm die wenigen Buhs und Pfiffe mit mildem Lächeln entgegen.

Weitere Vorstellungen am 5., 16., 24. und 28. April. Kartentelefon (0 89) 23 39 66 00.