Pfaffenhofen
Kampf um den Bierpreis

Vor 100 Jahren stritten Bürgermeister und Brauer im Bezirk Pfaffenhofen erbittert, was ein Liter kosten darf

27.10.2020 | Stand 23.09.2023, 15:03 Uhr
Bierfuhrwerke gehörten einst zum Stadtbild - hier eine historische Aufnahme, die in den 1920er-Jahren vor dem Pfaffenhofener Rathaus entstanden ist. Vor 100 Jahren tobte zwischen Brauern und Bürgermeistern im Bezirk ein erbitterter, monatelanger Streit über die Gestaltung des Bierpreises, bei dem bis zu einer Entscheidung in München keine dauerhafte Einigung erzielt werden konnte. −Foto: Sauer/Repro

Pfaffenhofen - Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreichs begann die Zeit der politischen und wirtschaftlichen Organisation der neu gegründeten Weimarer Republik als Nachfolgestaat.

Die Kriegsfolgen belasteten die junge Republik und führten zu starken sozialen Problemen, die sich auch in Pfaffenhofen bemerkbar machten. Kurzzeitig sichtbar wurde die aufgeladene Nachkriegsstimmung in einem Streit um den Bierpreis für den Bezirk Pfaffenhofen, der 1920 eskalierte und über Monate hinweg Tagesgespräch war.

Die wiederholten Preissteigerungen bei zahlreichen Konsumgütern gefährdeten nach dem Ersten Weltkrieg die wirtschaftliche Existenz vieler Menschen. Sowohl bei Nahrungsmitteln, bei Kleidung und Schuhen oder auf dem Sektor der Energieversorgung erfolgten in kurzen zeitlichen Abständen Preiserhöhungen. Zugleich fanden viele Menschen keine adäquate Beschäftigung und gerieten aufgrund steigender Preise in massive Not. Die soziale Frage in Pfaffenhofen machte sich bemerkbar, der Mittelstand kämpfte ums Überleben. Es herrschte ein angespanntes Klima.

Für einige Brauereibesitzer der Stadt war die Situation schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts schwierig geworden. Schon seit der Jahrhundertwende hatten mehrere Besitzer von Braustätten wie der Franzbräu, der Jungbräu und der Salverbräu ihren Betrieb aufgeben müssen und waren von größeren Unternehmen aufgekauft worden. Dabei traten auch Münchener Großbrauereien wie der Paulaner-Thomasbräu auf, der 1917 die Sigl-Brauerei erworben hatte. 1922 entschlossen sich die Besitzer der vier Brauereien Hirschberger, Bortenschlager, Pfaffl und Wohlherr für eine Fusion zur "Brauhaus AG", um die bestehenden wirtschaftlichen Herausforderungen gemeinsam zu meistern. Die Bedeutung der Bierproduktion für die heimische Wirtschaft wurde in der steten Diskussion um den Bierpreis deutlich, der in der Presse entsprechend Raum gegeben wurde.

In den kritischen Jahren 1919 und 1920 legten Handwerksbetriebe wie Schuhmacher, Frisöre oder Schmiede in gemeinsamer Absprache die Preise für ihre Waren fest, um zu versuchen, die Krise zu meistern. Dies ging in der Regel ohne Konflikte über die Bühne. Anders verhielt es sich im Brauwesen. Ausgangspunkt des hier entstehenden Konflikts war eine auf Bitten vieler Bürger für den 4. Mai 1920 durch den Pfaffenhofener Bürgermeister Georg Grabmeir einberufene Versammlung der Bürgermeister des Bezirks. Auf ihr diskutierten die Anwesenden, darunter Privatpersonen, in Anwesenheit von Brauereivertretern und Wirten die Frage des Bierpreises. Die Debatte verlief sehr erregt, doch konnte unter der Federführung von Bürgermeister Grabmeir eine Einigung dahingehend erzielt werden, dass die Brauereien zustimmten, den Liter Bier für 80 Pfennige zu verkaufen.

Doch schon nach wenigen Tagen stellte sich heraus, dass die getroffene Vereinbarung nicht von Dauer sein würde. Ein beginnender Federkrieg im Bezirksamtsblatt machte die zunehmende Konfrontation zwischen Bürgermeistern und Brauereibesitzern deutlich. Die "vereinigten Brauereien von Pfaffenhofen und Umgebung" distanzierten sich in einer Erklärung wenige Tage nach der Versammlung von der Festlegung auf 80 Pfennige und beschlossen einen Preis von einer Mark je Liter. Zudem riefen ihre Vertreter eine neutrale Schiedskommission zur Klärung an. Von Erpressung seitens der Bürgermeister war die Rede, gegenseitige Vorwürfe heizten die Stimmung weiter an.

Die Brauereivertreter zweifelten an der Rechtmäßigkeit der von einem "Ausschuß der Bürgermeister" ohne Namensnennung einberufenen Versammlung, zu der jedermann Zutritt gehabt hatte. Damit bekam die Zusammenkunft in ihren Augen den Charakter einer Volksversammlung. Zudem seien die Argumente der Brauer wegen der gestiegenen Preise für Hopfen und im Zwischenhandel nicht gewürdigt, sondern ohne ernsthafte Wahrnehmung durch die Gemeindevertreter ignoriert worden. Auch war die Stellungnahme der Landespreisstelle als Schiedsgericht nicht abgewartet worden und nur so der niedrige Preis zustande gekommen, den die Brauer jedoch nicht mittragen könnten. Daher protestierten sie gegen dieses "Vorhaben der Erpressung eines Preises" unter dem Selbstkostenpreis und appellierten an den Verstand der "unbefangenen, nicht verhetzten Einwohner unserer Stadt".

Die Gegendarstellung der Bürgermeister ließ nicht lange auf sich warten. Grabmeir als Sprecher der Gemeindevertreter verwies darauf, dass sich die Brauer anfangs nicht an einer Preiserhöhung beteiligen wollten. Offenbar unter Beeinflussung des Hopfenhandels mit seinen großwirtschaftlichen Interessen seien die Brauer "bereitwillig" umgeschwenkt. Er hielt ihnen vor, Vertreter der Großbrauereien und einen auswärtigen Kommerzienrat aus Neuburg zu Rate gezogen zu haben, und richtete an sie die Frage, warum sie sich nicht selbst vertreten hätten.

Der für die Brauer Stellung beziehende Neuburger Unternehmer und Kommerzienrat Gustav Adolf Ritter von Philipp hatte die Anhebung des Bierpreises für in Ordnung befunden, während der von Grabmeir zu Rate gezogene Preisprüfer Höfner eine gegenteilige Aussage machte. Der Pfaffenhofener Bürgermeister als Sitzungsleiter lehnte, nachdem er als Hetzer bezeichnet worden war, jede Verantwortung für das weitere Vorgehen der in seine Augen "wortbrüchigen" Brauer ab.

In einer letzten Stellungnahme im Amtsblatt stellten sich die Bürgermeister des Bezirks hinter den Pfaffenhofener Bürgermeister Grabmeir. Es habe weder Druck noch Erpressung seitens der Gemeindevertreter gegeben. Die Bürgermeister zweifelten an der Fähigkeit der Brauer, ihre Interessen selbst vorzubringen und zu vertreten, da sie einen auswärtigen Vertreter benötigten, der sie zu der durch nichts zu begründenden Preiserhöhung anstiftete.

Die Klärung des Konflikts sollte erst Monate später erfolgen, als eine Versammlung der bayerischen Bierbrauer in München endgültig Klarheit schuf. Ab dem 1. Oktober 1920 durfte nach einem dort gefassten Beschluss in ganz Bayern ausschließlich achtprozentiges Bier gebraut werden, das einheitlich für 1,50 Mark je Liter verkauft werden sollte. Dies wurde auch im Bezirk Pfaffenhofen respektiert und die Wogen glätteten sich alsbald. Die wirtschaftliche und soziale Lage blieb dessen ungeachtet weiter angespannt und sollte in die Hyperinflation des Jahres 1923 mit einer bis dahin nicht gekannten Teuerung münden: Ein Liter Bier kostete damals 3,5 Milliarden Mark.

PK

Andreas Sauer