Hochfilzen
Kämpfen, wo andere Urlaub machen

Zu Besuch bei den Ingolstädter Gebirgspionieren

07.05.2018 | Stand 23.09.2023, 3:10 Uhr
Die Brücke nimmt Konturen an: Über ein Bachbett im Hochfilzener Gebirgstal soll in Kürze ein Transportkonvoi geführt werden. Mindestens acht Tonnen muss die Behelfskonstruktion tragen können (oben). Die Vorbereitungen sind derweil mit dem Pionierpanzer "Dachs" getroffen worden (unten, Mitte). Im Bataillonsgefechtsstand erklärt Planungschef Major Christopher Hofmann die Lage (unten links), während Haflinger vom Tragtier-Ausbildungszentrum in Bad Reichenhall den Transport der Hölzer übernehmen.. −Foto: Bernd Heimerl

Bei ihrer Übung "Schwarzer Enzian" haben sich die Ingolstädter Gebirgspioniere auf dem österreichischen Übungsplatz Hochfilzen in wildromantischer Umgebung mit den neuen Anforderungen an die Kampfunterstützungstruppe vertraut gemacht: Es ist wieder Infanteriegefechtsausbildung gefragt.

MG-Geknatter im Morgengrauen, Kommandos, Bewegung im Unterholz. Der Feind ist mit dem ersten Lichtstreifen im Osten in kleinen Trupps in die eigenen Reihen eingesickert, greift nun von zwei Seiten an - ganz so wie früher im Wilden Westen die Indianer. Skalpiert wird hier zwar niemand, dennoch ist eine Viertelstunde später, als die Folgen dieses Scharmützels im Gebirgswald sichtbar werden, Betroffenheit angesagt: Acht Kameraden sind "gefallen", einige weitere "verwundet" und deshalb kampfunfähig. Auch wenn hier rund 100 Mann im Camp zusammengezogen sind: Solche Ausfälle wären in der Realität eines bewaffneten Konfliktes nur schwer zu verkraften, weil der für den Tag zu erwartende Auftrag kaum noch zeitgerecht zu erfüllen sein würde. Ein herber Rückschlag.

Zum Glück ist hier nur geübt worden. Geübt für den Ernstfall, den sich keiner wünscht. Soldaten des Ingolstädter Gebirgspionierbataillons8 sind auf dem Tiroler Übungsplatz Hochfilzen, der ansonsten vor allem vom österreichischen Bundesheer genutzt wird, 100 Stunden lang in weitgehend unbekanntem Terrain den Winkelzügen eines fast unsichtbaren (Übungs-)Gegners ausgesetzt. Das heißt: Kampfeinsatz selbst für eine Truppe, die eigentlich nur die eigenen Gefechtskräfte unterstützen, eher im geschützten Rückraum operieren soll.

Diese direkte Konfrontation ist ungewohnt und doch genau das, was nach der jüngsten Doktrin der Bundeswehr wieder angesagt ist: Die Armee unserer Tage muss nicht mehr allein logistisch aufwendige Auslandsmissionen schultern können, sondern auch wieder fit für die Landes- und Bündnisverteidigung sein. So wie früher halt. Der Pionier der Gegenwart soll also nicht nur Spezialist für technische Aufgaben sein, sondern er soll auch wieder kämpfen können - ganz so, wie es zu Zeiten des Kalten Krieges über Jahrzehnte gefordert war.

Die mit Ende des alten Ost-West-Konfliktes ausgegebene Friedensdividende ist aufgezehrt, ein bewaffneter Konflikt in Europa für viele westliche Regierungen und die Strategen der Nato seit dem forschen russischen Vorgehen in der Ukraine wieder denkbar. Deshalb muss in allen Teilen des deutschen Heeres, eben auch bei den Kampfunterstützungseinheiten, wieder mehr Infanteriegefechtsausbildung betrieben werden. Auch bei den Ingolstädter Pionieren.

Oberstleutnant Sebastian Klink, neuer Kommandeur der "Achter", steht seitlich eines Waldweges im Gestrüpp, beobachtet die Entwicklung eines Feuergefechts zwischen den Männern eines eigenen Aufklärungstrupps und wenigen Feinddarstellern, die soeben mit Gewehren das Feuer auf seine Leute eröffnet haben. Auch dieser Überfall hat sofort Ausfälle bewirkt. Ein Kamerad ist "getötet" worden, ein zweiter hat einen (simulierten) Armdurchschuss erlitten, muss erstversorgt und dann nach hinten geleitetet werden.

Das gelingt nicht schnell genug, die ganze Gruppe liegt noch unter Feuer, hat die eigenen Mittel nicht ausgeschöpft, das lafettierte MG auf dem begleitenden Klein-Lkw viel zu spät zum Einsatz gebracht. Der Chef, der seine Truppe hier erstmals über mehrere Tage unter Belastung erlebt, ist nicht begeistert von diesem Szenario, wird diese Punkte abends in der Abschlussbesprechung ebenso wie einer der eingesetzten Schiedsrichter schonungslos zur Sprache bringen. Nichts soll, nichts darf beschönigt werden. Erst durch Kritik sind Fehler abzustellen.

"Wir sind einfach afghanistanisiert", sagt Klink zum DK-Reporter, der diese Übung im österreichischen Gebirgstal, wo sich touristische Bergwanderer sehr gut aufgehoben fühlen würden, zwei Tage lang beobachten darf. Will heißen: Die Pioniere der Bundeswehr sind es nun zweieinhalb Jahrzehnte lang gewohnt, ihre Expertise bei Auslandseinsätzen aus gut geschützten Heerlagern heraus einbringen zu können; auch außerhalb dieser Festungen oft unter Flankensicherung durch eigene oder befreundete Kampfverbände zu operieren.

Dass das nur bei gut koordinierten, übersichtlichen Einsätzen gut funktioniert und weniger bis gar nicht bei diffizilen, schnell wechselnden Lagen in einem großen, womöglich landes- oder europaweiten Konflikt, das muss erst wieder eingeübt, von manchem jungen Soldaten, der bislang ganz auf sein pioniertechnisches Fachwissen fixiert war, vielleicht auch erst richtig begriffen werden.

Die Armee ist wieder mal im Umbruch, muss sich erneut einem Richtungswechsel unterwerfen, den Rahmen neu abstecken. Die politische Führung und die militärischen Entscheider wissen das längst. Nun muss es sich auch noch bis in den hintersten Winkel der Truppe herumsprechen.

Als es an Aufgaben geht, die den Pionieren auf den Leib geschneidert sind, ist alles viel einfacher. Da stimmen die Abläufe, sitzen die Handgriffe. Ob es um die Bergung eines im Waldhang festgefahrenen Siebentonners geht, um die Absuche einer wichtigen Verbindungsstraße nach Sprengfallen oder den Bau einer Behelfsbrücke aus (freilich schon sauber gesägt und gestückelt zurechtgelegtem) Holz - hier sind die Soldaten einfach wieder in ihrem Element.

Beim Brückenschlag muss die Übungsleitung um Major Christopher Hofmann, der mit dem Stab einige Kilometer entfernt im Bataillonsgefechtsstand sitzt, sogar willkürliche Störmanöver einbauen, um den Zeitplan nicht zu stringent erfüllen zu lassen: Ein Stabsfeldwebel schlüpft in Zivilklamotten und macht als "ortsansässiger Bauer" ein Riesentheater an der Baustelle. Wenn das Baggern im Bachbett nicht sofort eingestellt werde, komme er mit Verstärkung wieder, droht er an. Tatsächlich taucht er etwas später mit einer ganzen Horde von Unterstützern wieder auf und stört die Arbeiten massiv. Die Brücke wird nun wohl erst anderntags fertig. So stand's ja auch im Drehbuch des Kommandeurs . . .

Dieser hat angesichts der grundsätzlichen Fähigkeitsnachweise seiner Männer auch Lob parat: "Du siehst, was sie geübt haben, wo sie stark sind." Bei der Gefechtsausbildung müssen er und seine Kompaniechefs und Zugführer die Untergebenen nun weiter trimmen und dieselben routinierten Selbstverständlichkeiten einfordern. Im Sommer steht eine weit größere Übung mit dem Gebirgsjägerbataillon231 aus Bad Reichenhall im Gebiet der Reiteralpe an, im November wird es ein noch weit umfangreicheres Manöver mit Nato-Kräften mehrerer Nationen in Norwegen geben. Oberstleutnant Klink ist sicher, dass es bis dahin deutliche Fortschritte geben wird.

Materialmäßig macht man sich bei den Ingolstädter Gebirgspionieren ohnehin kleine großen Sorgen. Die Ausrüstung, heißt es, sei angesichts der Kritik aus anderen Truppenteilen sogar vergleichsweise gut. "Die Fahrzeuge dort sind so alt wie ich", sagt der Personal- und Presseoffizier des Bataillons, Sebastian Nowotka (36). Das meint er ohne Häme. Die Lkw und Geländewagen vom Typ "Wolf" sind tatsächlich noch gut in Schuss. Da hat sich die Bundeswehr nun wirklich mal nicht verkauft.

Bernd Heimerl