Heideck
Junge Mode für Menschen mit Down-Syndrom

Die Heidecker Schneiderin und Desingerin Andrea Schuster gleicht körperliche Unterschiede mit handwerklichen Kniffen aus

15.09.2020 | Stand 02.12.2020, 10:34 Uhr
Auch Kleidung ist eine Frage der Inklusion: Über einen von Andrea Schuster angepassten Hoodie freut sich Anja Meier. −Foto: Badura

Heideck - Anja Meier ist 28 Jahre alt, wohnt in Altenheideck und will ebenso schicke Kleidung tragen wie ihre drei Geschwister. Die decken sich seit einiger Zeit bei "hicup." mit junger Mode ein: Sweat-Shirts, Jacken und Hoodies.

"hicup." ist das Mode-Label, das die Heidecker Schneiderin und Desingerin Andrea Schuster vor zwei Jahren anlässlich ihrer Abschlussarbeit an der Modeschule ins Leben gerufen hat. Die Kreationen haben für Anja Meier aber meistens nicht die richtige Passform. Denn Anja ist eine junge Frau mit Down-Syndrom. Häufig sind sie die Kleidungsstücke zu groß oder die Ärmel zu lang.

Andrea Schuster setzt sich aber dafür ein, dass alle ihre Mode tragen können. Deshalb passt sie die verschiedenen Stücke speziell auf Anja an. Dafür hat sie längst auch eigene Methoden entwickelt. "Durch Falten und Nähte lässt sich da viel machen", sagt die 26-Jährige, die ihr Unternehmen auf dem elterlichen Hof in Heideck aufgebaut hat. Sie verfügt dort über einen Arbeitsraum mit vier Nähmaschinen und einen eigenen Kreativbereich.

Dort wird bei Anja nun immer wieder Maß genommen. Denn auch Kleidung kann eine Frage der Inklusion sein. Die Modeindustrie berücksichtigt Menschen mit Behinderung nämlich kaum. Erwachsene Menschen mit Down-Syndrom haben meist eine besondere, von der Norm abweichende Körperform. Das macht sich bei einer reguläre und konfektionierten Passform besonders bemerkbar. "Auch Menschen mit einer körperlichen Einschränkung sollen Kleidung tragen können, die ihnen gefällt und steht", sagt Andrea Schuster.

Laut einer Umfrage unter 75 Eltern und Betreuern von Menschen mit Down-Syndrom in Berlin stellen 90 Prozent solche Passformschwierigkeiten beim derzeitigen Bekleidungsangebot fest. Die größten treten bei langen Hosen, Pullovern, Jacken und Mänteln auf. Das Öffnen und Schließen von Verschlüssen ist für viele Menschen mit Down-Syndrom eine Herausforderung. Das gaben über 80 Prozent der befragten Eltern und Betreuer an. Auch Menschen mit Down-Syndrom haben die Probleme in Interviews bestätigt. Knöpfe sind dabei die größten Hindernisse.

Diese und andere modische Hindernisse zu beseitigen, hat sich Andrea Schuster zum Ziel gesetzt. Nach der Mittleren Reife an der Realschule in Hilpoltstein hat sie zunächst eine Lehre als Schneiderin absolviert und sich dann zur Bekleidungstechnikerin weitergebildet. Im Anschluss hat sie an der Modeschule in Mannheim zwei Jahre lang Modedesign studiert. "Ich wollte alles wissen, was Kleidung betrifft", erklärt sie ihre umfassende Ausbildung, die nun nicht nur Anja Meier zu gute kommen soll.

"Meine Erfahrung auf diesem Gebiet könnte ich auch anderen Menschen mit Behinderung zur Verfügung stellen", sagt Andrea Schuster. Sie will ihnen attraktive Kleidung bieten, die aktuellen Trends entspricht und dazu beiträgt sowohl Selbstbestimmung als auch Selbstbewusstsein zu heben.

Der Name von Andrea Schusters Modelabel ist übrigens auf eine Besonderheit ihrer körperlichen Verfassung zurückzuführen. Aufgrund einer flachen Atmung bekommt sie an vielen Tagen mehrmals Schluckauf. Englisch: "hicup". So ist das Label persönlich, außergewöhnlich und international. Gute Voraussetzungen für Aufmerksamkeit und Erfolg.

Neben ihrem Engagement für Menschen mit Handicap sucht Schuster auch den ökologischen Ausgleich. In ihrem Online-Shop setzt sie auf Produkte aus fair gehandelter Biobaumwolle und verarbeitet auch Stoffe, die anderswo aufgrund ihres Alters in den Müll wandern würden. So verleiht sie einigen ihrer Stücke einen originellen Vintage-Charme.

Anja Meier gefällt diese Arbeit. Zuvor hat sich Zeit ihres Lebens von der Mode ausgeschlossen gefühlt. "Beim Einkaufen musste ich ihr oft sagen: Das können wir nicht nehmen, weil es nicht passt", erinnert sich Anjas Mutter. "Oft mussten wir auch gekaufte Kleidung vom Schneider ändern lassen", sagt Manuela Meier. Denn Menschen mit Down-Syndrom sind kleiner als der deutsche Durchschnitt und haben meist kürzere Arme und Beine. Die Schultern sind schmaler, die Hüfte aber oft breiter als beim Konfektionsmittel. Alles in allem ergeben sich daraus spezielle Anforderungen an Bekleidung. "hicup." will sie erfüllen, damit sich möglichst viele Menschen wie Anja nicht mehr ausgeschlossen fühlen.

HK