Jetzt zum Nachlesen: Knut Webers Rede zur Eröffnung der BBK-Ausstellung

20.09.2016 | Stand 31.01.2017, 20:59 Uhr

Ingolstadt (DK) Knut Weber, der Intendant des Stadttheaters, hat am Samstag bei der Vernissage der Gemeinschaftsausstellung "Die Neuen" eine Rede über die Stellung der Kultur in Ingolstadt gehalten. Viele Leser haben sich gewünscht, diese bei uns nachlesen zu können. Dem Wunsch ist Weber nachgekommen und hat dem DONAUKURIER seine Rede zur Verfügung gestellt.

Liebe Künstlerinnen und Künstler, liebe AusstellungsmacherInnen, meine Damen und Herren,

seitdem ich in Ingolstadt wohne, sind meine Museumsbesuche seltener geworden. Das Angebot in dieser Stadt ist begrenzt und für Besuche in anderen Städten fehlt meist die Zeit. Was ich vermisse wurde mir wieder schlagartig klar, als ich zur Vorbesichtigung dieser Ausstellung die Harder - Bastei betrat. Es ist diese besondere Atmosphäre, die Bilder ausstrahlen, die Ruhe, die  eine Kontemplation ermöglicht. Museen sind, wie alle Orte der Kunst, Räume, wo der Mensch zu sich selber finden  und in einen offenen Dialog mit anderen treten kann, aber nicht muss. Wo der Betrachter in einen Dialog mit dem Künstler tritt, der durch seine Bilder anwesend ist. Ein Ausstellungsraum ist vielleicht kein sakraler Ort, ein magischer aber schon. Bilder sind für mich auch Anlässe für Geschichten, die ich in meiner Fantasie weiter spinne.

Erwarten Sie bitte keine kunstkennerschaftliche Analyse der heutigen Ausstellung. Das können andere viel besser und das liegt nicht in meiner Kompetenz. Aber ich finde die Bilder ausgesprochen anregend:

Was sind das für seltsame Rohre, die mich an die Eingeweide des Stadttheaters erinnern? Was verbindet sie und was fließt durch sie durch? Erwärmen sie ein Gebäude oder bereitet sich eine Explosion vor? 

Warum hat der Baum fünf Finger, oder ist das gar kein Baum? Wen umschließen diese Kleider und warum fehlen die Lebewesen, die, so mag man mit Glück vermuten, auch Tiere sein könnten?

Ein Gesicht zerfließt und ich frage mich, was dieser verschmitzte Onkel für ein Geheimnis verbirgt … Wohin die Treppen mich führen werden, weiß ich noch nicht; aber sie strahlen eine fast mathematische Eleganz aus, ich habe sie womöglich schon gesehen oder sogar betreten. Aber jetzt sind sie fremd und ich muss sie in einen neuen Kontext stellen und fast wird mir schwindelig.

Der Tod der Vögel erschüttert mich durch die eiskalte und glasklare Schönheit.
Und dann dieses Haus! Wer mag hinter diesen Fenstern wohnen? Wie stark sind diese Wesen, dass sie sogar ihre böse Energie so auf das Haus übertragen können, sodass das Haus selber lebendig und böse wird und bereit ist zum Angriff.

Wer sind diese wundersamen Alten, die im Herbst ihres Lebens im Spätsommer selbstvergessen tanzen? Bald werden sie vergehen. Sie hatten ein gutes Leben und feiern es heute. 

Bewegungslose Statik verwandelt sich durch organisches Material in Leben. Oder Wärme schafft Leben und auf Leben folgt der Tod, eine neue Erstarrung. Das Ensemble, durch weiße und blaue Schönheit so miteinander verwoben, dass es zum Sinnbild wird für unsere Existenz. 

Wer ist dieses seltsam unbewegte Wesen, das so gefühllos daher kommt, aber im Begriff ist, einen Stein zu werfen? Warum? Warum so? Was oder wer ist das Ziel? Ist es überhaupt ein Stein? 

Ich sehe hinter hellem Kinderlachen Abgründe, die mich an die Märchen der Gebrüder Grimm erinnern. Ich verliere mich in Strukturen von Reliefs, die mäandern auf starrer Fläche und ich ahne, dass das Leben triumphieren wird und gegenstandslose Farbigkeit löst Gefühlsverwirrungen und -zusammenstöße aus.

Und so bereichert mich diese Ausstellung in Ingolstadt; ich erfahre viele ernsthafte künstlerische Auseinandersetzungen zwischen dem Künstler und der ihn oder sie umgebenden Welt und werde aufgefordert, mich dazu zu verhalten, Geschichten weiter zu erfinden und zu erzählen – kurzum: ich werde durch neue Erfahrungen angeregt und herausgefordert und manche Bilder  werden mich nicht verlassen. 

Auch auf der Bühne des Theaters werden Geschichten erzählt – auf welche Weise auch immer. Vielschichtig und vielstimmig. 200 Menschen arbeiten täglich dafür, dass pro Tag 2 bis 5 Vorstellungen stattfinden, die die 150.000 Menschen, die pro Spielzeit unser Theater besuchen, unterhalten, zum Nachdenken, Fantasieren, Mitmachen oder zum Weiterspinnen animieren sollen. Und es gibt die Oper, Ballett und Tanztheater. Am Stadttheater treffen sich mittlerweile alle Generationen – zunehmend die Jungen und ganz Jungen. Und Dank des »Café International« auch verschiedene Kulturen. Die klugen Analytiker sagen jetzt natürlich: Ach wie süß! 200 Leute?! Und was tragen die zur Wertschöpfung bei? – Das stimmt, im Ganzen gesehen: wenig. Aber dennoch fließen die Subventionen direkt zurück in die Stadt: in die Hotellerie und Gastronomie, Freibäder und Fitnessstudios, Mieten und Lebensunterhalt. Und: Die Gaukler prägen den Flair einer Stadt. Sie bereichern die Stadt, die ohne sie nicht so lebenswert wäre.

Theaterleute haben und erzählen andere Geschichten. Nicht jeder würde sie vermissen, wären sie nicht mehr da. Aber mancher würde auch den FCI nicht vermissen. Oder das Schwimmbad. Stadtgemeinschaftliche Solidarität gilt für alle und nicht für Einzel-Interessen. Die Polizeieinsätze in Fußballstadien zahle ich auch, zähneknirschend. Diese Summen sind gigantisch – und es gehen im Jahr weniger Menschen in die Fußballstadien als in Theater und Konzerte. 

Was gibt es noch in dieser Stadt außer der Harder-Bastei und dem Stadttheater? – Eine Menge:

Es gibt ein professionelles Orchester, das GKO, und zahlreiche halbprofessionelle Orchester, Gesangsvereine und Musikgruppen.

Es gibt Bands und Probenräume, das „Kulturzentrum neun“ gewinnt zunehmend an Attraktivität nicht nur für die freie Szene. Der Bedarf ist größer als das Raumangebot. Platz wäre vorhanden - Geld für eine Erweiterung offensichtlich derzeit zumindest nicht. Es gibt ein Altstadttheater, das sich neu aufstellt, sich öffnet und sich regional und volkstheatral definiert. Es gibt ein Museum für Konkrete Kunst, ein Stadt- und ein Medizinhistorisches Museum, ein Bayerisches Armeemuseum, ein Bauerngerätemuseum, ein Bayerisches Polizeimuseum. Das Alf-Lechner-Museum, das Marieluise Fleißer Haus, Ateliers für Künstler und Kreative, den Kunstverein. Das Kreativzentrum „Batterie 94“ entwickelt sich zu einem Motor der alternativen Kreativkultur für die Stadt. 

Hochkarätige AUDI-Sommerkonzerte, Taktraumfestival. Literatur-, Jazz- und Bluestage und der „Oktober ist eine Frau“ finden statt – das kulturelle Leben der der Stadt scheint vielfältig und gesund zu sein. 

Wie entsteht also der Eindruck, dass dennoch etwas nicht stimmt? Dass die Kulturarbeiter das Gefühl haben, ihr Einsatz und ihre Arbeit werde nicht geschätzt und dass auf der anderen Seite Verwaltung und politisch Verantwortliche sich zu Unrecht angegriffen fühlen in dem Bewusstsein, doch viel, für einige vielleicht  zu viel, in Kultur investiert zu haben. Ein für Beobachter nahezu groteskes Beispiel mag die Kampagne „Achtung Kultur“ vs. „Kultur findet Stadt“ sein. Misstrauen auf beiden Seiten. Das aus  Misstrauen entstandene Unbehagen über Wertschätzung von Kultur, kultureller Arbeit und den Akteuren dieser Arbeit trifft auf ein völliges Unverständnis für den Vorwurf. Jetzt beginnt die gegenseitige Aufrechnung, was man für die Kultur tut oder wo die Defizite liegen.

Vielleicht sollte man zunächst eine Bestandsaufnahme machen und dann fragen: Was wollen wir denn? Anders gefragt: Wie wollen wir leben? Was bedeutet Kultur für den Zusammenhalt einer Stadt? Für die Lebensqualität der Bewohner? Für Sucher und Besucher einer Urbanität? Ist lebendige Vielfalt und ein reiches Kulturleben nur interessant und  wichtig für ein Unternehmen und diejenigen, die erwägen in dieser Stadt zu leben? Denn für die Angehörigen zumindest der Mittelschicht ist ein reiches kulturelles Angebot neben Schulen durchaus von Bedeutung. Oder ist das auch für die  Bevölkerung ein wichtiges Thema? Versteht man Kultur als Teil der Bildung? Versteht man unter einer dynamischen Stadtentwicklung ausschließlich die Steigerung von Wirtschaftskraft?

Verwechselt man Kultur mit Brauchtum? Was bedeutet die sichtbare Veränderung durch Zuwanderung und muslimische Flüchtlinge für eine Stadtkultur? Die Veränderung ist tagtäglich auf den Straßen Ingolstadts erfahrbar. Was will man tun? Wie wollen wir leben? Was ist die Reaktion? Stärkung des Brauchtums? Betonung des Nationalen und Ausgrenzung? Parolen? – Das ist nicht im Interesse von globalen Konzernen, die es ja auch in dieser Stadt gibt. Und auch nicht im Interesse der Allgemeinheit. Was also ist zu tun? Was sind denn unsere Werte, auf die wir uns besinnen könnten? Was definiert den „sogenannten“ Westen, die EU, jenseits von Wirtschaftsinteressen oder dem Euro? 

Es sind die in jahrhundertelangen Kriegen und Auseinandersetzungen entwickelten und durchgesetzten Werte der Französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Die Werte der deutschen Aufklärung. Humanität. Toleranz. Das Recht auf Demokratie und Bildung. Das Recht auf Wissen für alle, Männer und Frauen. Das Recht auf Freiheit, nicht nur des Reisens – daran seien die Mitbürger aus Sachsen oder Thüringen erinnert - sondern auch die  auf Auslebung der Sexualität. 

Deutschland hat sich die Freiheit hart erkämpft und die 68er Generation hat daran einen entscheidenden Anteil. Diese Freiheit ist tatsächlich bedroht und mir fällt kein wirkungsvolleres Gegenmittel ein, als Bildung und Kultur. Ich kann das nur zusammen denken. Die Investition in Bildung und Kultur spart spätere Sozialkosten in deutlich größerem Umfang. 

Wer heute darüber schwadroniert, das „Kultur sich rechnen muss“, dass privatwirtschaftliche Betriebe, wie Kinos ja auch ohne Subventionen existieren müssen, der hat den Sinn von Subventionen nicht begriffen: Es ist eine Investition in die Zukunft unserer Gesellschaft, bewahrt das Bewusstsein dafür, wo wir herkommen und ermöglicht eine interessenfreie Debatte über unsere Zukunft. Wie wollen wir leben? Wer Kunst und Kultur auf der einen Seite und Soziales auf der anderen – also Kitas, Schulen, öffentlichen Nahverkehr, Altersversorgung – gegeneinander auszuspielen versucht, ist entweder ignorant oder intolerant oder dumm. Letzterem könnte man durch Bildung abhelfen.

Wo denn findet eine Auseinandersetzung über Werte statt? In einer Gesellschaft, die gespalten ist zwischen naiver Willkommenskultur und Fremdenhass, ist das schwierig. Weil man blind ist gegenüber den realen Bedrohungen durch einen aggressiven Islam, den es eben auch gibt,  wird man zum willkommenen Helfer des Versuchs einer militanten und intoleranten  Machtübernahme. Und andererseits erwacht der längst verabschiedete und tot geglaubte völkische Drache zu neuem Leben und heißt jetzt: identitär.

Beide Bewegungen wachsen mit einer Schnelligkeit und Intensität, die erschreckt. Unsere Gesellschaft verändert sich und mit dem, was sich da am Horizont abzeichnet, will ich nicht leben. 

Was tun?

Bildung ist die eine Antwort. Aber welche Bildung? Houllebecq beschreibt in seinem Roman „Unterwerfung“ die schleichende Instrumentalisierung der Schulen und Universitäten durch religiöse Institutionen. Also geht es um eine aufklärerische und freie Bildungsarbeit – frei von Religion und Interessen von Konzernen. 

Kultur ist die andere Antwort: Warum wurden nach der Machtübernahme durch Islamisten als erstes Kulturgüter und Denkmäler zerstört? Warum versucht man, Erinnerung auszulöschen? Das freie Spiel der Fantasie und Gedanken? Weil diese Zerstörung die Zerstörung der Identität und des Selbstverständnisses eines Volkes und einer Gesellschaft bedeutet. Ohne Erinnerung keine Identität und keine selbstbestimmte Zukunft. Deswegen die Zerstörung von Weltkulturerbe und die Verhinderung von Bildung – die von Frauen ohnehin.

Der Kreis schließt sich: Künstlerische Vielfalt und ein breit angelegtes Bildungssystem für Alle sind die Garanten für Demokratie und Freiheit. Der Präsident der TU München, Prof. Wolfgang Hermann, beklagte kürzlich in einem Interview auf BR2 die mangelnde Förderung von Kreativität von Schülern. Man brauche mehr kreativitätsfördernde Fächer, nämlich Musik und Kunst, weil Deutschland mehr kreative Menschen in der Zukunft benötige, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können. Eine spannende Aussage für den Präsidenten einer technischen Universität. 

Kommen wir zurück zum Konkreten und Regionalen. Auch in dieser Stadt gibt es fundamentalistische Prediger und rechtsnationalistische Bekleidungsgeschäfte. Ingolstadt ist eine große Stadt mit allen Problemen einer großen Stadt. Und vielleicht mit zu wenig Fantasie, wie man diesen Problemen und Themen, sofern man sie überhaupt erkennen will oder kann – begegnen möge.   Kunst & Kultur wollen den freien Atem und den offenen Blick, klagt  den freien Menschen ein im Sinne der europäischen Renaissance.  Es ist im überlebensnotwendigen Interesse unserer Gesellschaft, die Kunst und die Kultur zu stärken. Stattdessen steht sie wie die musischen Fächer in den Schulen mit dem Rücken zur Wand. Der algerische Autor Kamel Daoud sagte kürzlich, die eigentliche Kampfzone liege nicht auf dem militärischen Schlachtfeld sondern in der Kultur: Die Zerstörung von Kultur, Wissen und Vergangenheit ist Voraussetzung für autoritäre Systeme.  

Eine kluge Politik stärkt also die Diversität, die kulturelle Vielfalt in Form und Inhalt mit ideeller Unterstützung und viel Geld. Deshalb viel Geld, weil es die andere Seite der Wirtschaftsförderung ist. In einer Gesellschaft, die dieses Bewusstsein entwickelt, möchte ich leben.

In einer Stadt, die kulturelle Vielfalt fordert und mit erheblichen finanziellen Mitteln fördert, möchte ich leben.

Weil es hier um das Ganze geht und nicht um Partikularinteressen. Eine Kinderstadt hat den gleichen Stellenwert wie eine Existenzgründersubvention. Andererseits: Finanzielle Zuwendung hat schon so manchen Reißzahn gezogen. Ein gesunder Reißzahn lebt  nicht gerne im Zoo.

Mir ist natürlich bewusst dass sich die Stadt derzeit in einer schwierigen finanziellen Situation befindet. Aber die Grundlagen für spätere Strukturen werden heute geschaffen. 
Das heißt:

Jugendkulturelle Initiativen klug begleiten und fördern.

Das MKK so bauen und langfristig finanziell ausstatten, dass eine Ausstellungskonzeption ermöglicht wird, die regional verankert ist und international Aufsehen erregt.

Ein Existenzgründerzentrum bauen und ein europäisches Donaumuseum errichten, das internationale Faszination ausstrahlt. 

Kammerspiele bauen, die auf einem architekturqualitativen Niveau mit dem Hämer-Bau konkurrieren und heutigen ökologischen Standards entsprechen. 

Das „Kulturzentrum neun“ erweitern und die Städtische VeranstaltungsGmbH finanziell so ausstatten, dass eine qualitativ herausragende Arbeit ermöglicht wird. 

Interkulturelle Jugendarbeit auf großzügigste Weise ausstatten.

Und, last but not least, den Kulturkanal als das Herzzentrum von Kultur in Stadt und Region nicht ausbluten lassen, sondern mit Mitteln ausstatten, die eine Fortführung der Arbeit auf hohem Niveau garantiert. Das Überleben, nein: die demonstrative Unterstützung und der Ausbau des Kulturkanals wäre für mich das erste und ein wirklich aussagekräftiges Signal, dass die Stadt Kultur schätzt, will und fördert.

Und danach mögen sich alle, die zu einem guten Ergebnis für die Kultur beitragen wollen, sich zusammensetzen und überlegen, wie sie mit denen sprechen, die das nicht wollen.

Ingolstadt bietet ein reiches und vielfältiges Angebot. Aus meiner Sicht geht es jetzt darum, gemeinsam die Chance zu ergreifen und miteinander zu reden: Über die Zukunft der Stadt und der Kultur. Wie wollen wir leben?

Ich danke für die Einladung und Ihre Aufmerksamkeit.