stadtgeflüster
Jetzt neu: Der Text zum Einschlafen

17.02.2020 | Stand 02.12.2020, 11:56 Uhr

Lange vor Erfindung des Online-Journalismus, als in den Zeitungsredaktionen noch vereinzelte Berufskollegen anzutreffen waren, die mit der Schreibmaschine auf Papier (!

) ihre Manuskripte tippten, da pflegte der Nachwuchs sich als Arbeitskraft den Verlegern mit der Qualifikation anzuempfehlen, er verfüge über eine "flotte Schreibe". Sollte heißen: Der junge Mann oder die junge Frau, die Einlass ins professionelle Verlagswesen begehrten, verstünden so locker zu formulieren, dass ihre Texte zwar jedes unnötigen Tiefgangs entbehrten, jedoch dem Leser das gute Gefühl vermittelten, angenehm unterhalten zu werden, und das sei ja wohl die Hauptsache. Dergestalt sollte schon mal der Boden bereitet werden für das Volontariat einer publizistischen Nachwuchskraft, die ihre angeblich so flotte Schreibe alsbald in den Dienst der Redaktion zu stellen hatte.

Auf einen solchen hoffnungsfrohen jungen Menschen konnten später bei genügend Durchhaltevermögen extreme Herausforderungen warten, die nur mit äußerster sprachlicher Disziplin zu bewältigen waren, vom Starkbierfest in Gerolfing über den Ettinger KAB-Kappenabend bis zur Neujahrsrede des Oberbürgermeisters. Eherne Grundregel: So langweilig kann eine Haushaltsdebatte des Stadtrats gar nicht sein, dass dem Leser bei der Lektüre des Zeitungsartikels am nächsten Tag die Augen zufallen dürfen.

Gleich dem Pfarrer, der über alles predigen darf, nur nicht über 20 Minuten, kann ein Journalist über alles schreiben, solange er die Leser nicht langweilt. Um treue Abonnenten am frühzeitigen Einnicken zu hindern, empfiehlt es sich für den Schreiber, zu Beginn seines Beitrages bestimmte Begriffe zu meiden, etwa Parkdurchwegung, Planfeststellungsverfahren, Nachhaltigkeit, Höhenfreimachung, Schlüsselzuweisungen oder integriertes Gesamtkonzept. Im Idealfall muss der Leser so gepackt sein von der spannenden Schilderung des politischen Geschehens im Sitzungssaal, dass er bis zur letzten Zeile des Artikels dranbleibt. Es bedarf freilich einiger journalistischer Könnerschaft, auch nach mehreren Anträgen Thomas Thönes zur Geschäftsordnung noch den Spannungsbogen aufrechtzuerhalten.

Umso mehr verblüfft ein neuartiges Geschäftsmodell, das aus Berlin gemeldet wird. Ein Start-up-Team junger Autoren verdient dort sein Geld mit der Schlaflosigkeit der modernen Stressgesellschaft. Eine App mit speziell eingelesenen Erzählungen soll den geplagten Kunden am Abend dazu verhelfen, endlich in den ersehnten Schlummer zu sinken. Oberste Maxime für die Textproduzenten: Bloß keine Aufregerthemen! Auf keinen Fall Sex and Crime, Naturkatastrophen oder irgendwas über AfD, AKK und das Tempolimit! Dafür: Sanfte, ereignislose Naturschilderungen, die den Hörer binnen Minuten hinübergleiten lassen ins Reich der Träume, wo die Welt. . . friedlich. . . chrrr, chrrr, chrrr.

rh