München
Jedes Dezibel zählt

Streit um Kirchenglocken in Langquaid bei Kelheim endet mit salomonischer Lösung: Dämmung ermöglicht weiteres Läuten

27.10.2016 | Stand 02.12.2020, 19:07 Uhr

Foto: DK

München/Langquaid (DK) Für den Richter ist es ein "Nachbarschaftskonflikt unter Christen": Das Ehepaar Beck aus Langquaid im Landkreis Kelheim hat gegen die evangelische Kirche geklagt, weil sie das Gebetsläuten stört. Nun haben sich beide Seiten auf einen Kompromiss verständigt.

"Ich bin selbst sehr gläubig", sagt Sandra Beck, während sie das Mikrofon umklammert, die Augen blicken in die Kamera. Die 43-Jährige hat die Geschichte ihres Leidens hier im Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in München schon mehreren Journalisten geschildert, doch nun, im Fernsehinterview kurz vor dem Prozessauftakt, bricht ihr dennoch fast die Stimme weg. "Aber momentan frage ich mich jeden Morgen, weshalb mich der Herrgott so prüft."

Diese Prüfung liegt ihrer Meinung nach im Glockengeläut des evangelischen Kirchturms, der 14 Meter von ihrem Haus entfernt steht. Das Geräusch sei derart laut und grell, dass sie es als "gesundheitsgefährdenden Lärm" empfinde. "Wenn Sie morgens aufwachen und die Glocken läuten, dann ist das, als ob neben Ihnen jemand eine Motorsäge startet", sagt Sandra Beck. Ganz anders sieht das Pfarrer Uwe Biedermann. "Bei mir rufen Leute an und beschweren sich, dass das Läuten zu kurz ist", sagt der Geistliche. "Um das Läuten in der Kirche zu hören, müssen wir sogar die Türen öffnen."

Der Streit um das Glockengeläut tobt seit Jahren und hat bereits das Landratsamt Kelheim und das Verwaltungsgericht Regensburg beschäftigt, das die Klage der Familie Beck abgelehnt hat. Der Verwaltungsgerichtshof aber hat die Berufung zugelassen - wegen der speziellen Umstände. Dabei gebe es eine langjährige Rechtsprechung, wonach "das herkömmliche tägliche Glockengeläut" hingenommen werden müsse, erklärt Richter Rainer Schenk zu Prozessbeginn. In Langquaid läuten die Glocken zu Gottesdiensten, was die Familie Beck nicht anficht. Anders sieht es beim werktäglichen Gebetsläuten aus, aktuell um 7, 12 und 18 Uhr, jeweils 60 oder 90 Sekunden lang. Dass sich dies "im Rahmen des Herkömmlichen" bewege, stehe außer Zweifel, sagt der Richter. Jedoch gelte es, "die Besonderheiten des Einzelfalls" zu berücksichtigen.

Damit meint er vor allem die Tatsache, dass der acht Meter hohe Glockenturm erst 2009 gebaut wurde, als der existierende Betsaal der Kirche umgestaltet wurde. "Es ist immer ein Alarmsignal, wenn ein neuer Glockenturm mit neuem Glockengeläut auf eine bereits vorhandene Wohnbebauung trifft", erklärt Rainer Schenk. Der Richter ist merklich bemüht, einen Vergleich zu finden - was sich nicht leicht gestaltet. Denn auf der einen Seite klagt Sandra Beck, dass ihre Kinder wegen des Läutens sich nur noch mit Kopfhörern durchs Haus bewegen. Überdies habe sie Lärmwerte oberhalb der Grenze von 85 Dezibel gemessen. Auf der anderen Seite verweist Pfarrer Uwe Biedermann darauf, dass diese Grenze bei den offiziellen Messungen eingehalten wurde. Und er betont, dass die Kirche den Nachbarn bereits entgegengekommen sei - unter anderem durch Schallschutzmaßnahmen und eine Verkürzung des Glockenläutens.

Lange sieht es so aus, als sollten die Streitparteien nicht zueinanderfinden, bis das Gericht doch noch einen Kompromiss herausarbeitet. So sieht die Einigung aus: Der Glockenturm soll abermals gedämmt werden, wodurch ein Sachverständiger eine Lärmverringerung um drei bis vier Dezibel erwartet. Im Gegenzug gesteht die Familie Beck der Kirchengemeinde zu, ihr Gebetsläuten für eine Dauer von 120 Sekunden und auch wieder am Samstag und Sonntag erklingen zu lassen.