München/Nürnberg
Jeder vierte Knast-Neuling ist drogenabhängig

22.08.2018 | Stand 02.12.2020, 15:50 Uhr
Hanf-Pflanzen (Cannabis) wachsen in einem Garten. −Foto: Oliver Berg/Archiv

Trotz Zellendurchsuchungen, Urinproben und Kontrollen von Besuchern: Drogen sind in Bayerns Gefängnissen im Umlauf. Die Nachfrage ist da, zahlreiche Gefangene sind bei Haftantritt abhängig.

Rund ein Viertel der Strafgefangenen in Bayern ist bei Haftantritt süchtig nach Drogen gewesen. Das geht aus neusten Zahlen des Justizministeriums vom März hervor. Demnach seien von 11 382 Insassen 2919 abhängig gewesen. Heroin oder Ersatzstoffe seien die meistverbreiteten Suchtmittel hinter Gitter, sagt Bertram Wehner von der Drogenhilfe Mudra in Nürnberg. Wie viele Insassen hinter Gitter abhängig werden, ist nicht bekannt.

„Drogen im Knast wird man nie verhindern können“, legt sich Wehner fest. Ähnlich sieht man das beim Justizministerium. „Man muss realistisch sein“, heißt es in einer schriftlichen Antwort. Schließlich habe ein nicht unerheblicher Teil der Gefangenen bereits bei seiner Inhaftierung mit erheblichen Drogenproblemen zu kämpfen. Wehner drückt es drastischer aus: „Wenn ein Gefangener Drogen will, dann kommt er dran.“

Wo es Nachfrage gibt, entsteht ein Markt. „Das ist genau wie draußen. Die Drogen, die dort im Umlauf sind, haben wir in kleineren Mengen auch im Gefängnis“, sagt der Vorsitzende des Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands (BSBD), René Müller. Und wie draußen mache derzeit Crystal Meth Probleme. „Die Reaktionen auf den Stoff sind verheerend. Die Mitarbeiter müssen mit besonders aggressiven Gefangenen umgehen.“ Heroin oder Ersatzstoffe sind eines der meistverbreiteten Suchtmittel in den normalen Gefängnissen, berichtet Wehner von der Drogenhilfe Mudra. „Bei den Jugendlichen geht es vor allem um Cannabis.“

Trotz Kontrollen von Besuchern an den Zugängen finden die illegalen Substanzen den Weg hinter Gitter. Sie werden am oder im Körper reingeschmuggelt. Manche kommen über die Mauern, „sie werden von außen drüber geworfen“, erzählt der BSBD-Chef. Sogar mit Drohnen wurde schon versucht, Drogen einzufliegen. Alkohol brauten Häftlinge in den Zellen oft selbst.

Mit Zellendurchsuchungen und Urinproben von Gefangenen lässt sich das Problem eindämmen, aber nicht bannen. „Wollen wir den komplett drogenfreien Knast?“, fragt Wehner. „Dann müssten wir ausschließlich Hochsicherheitstrakte bauen. Und selbst dann wird es wohl nie ganz gelingen.“

Das Justizministerium setzt bei der Bekämpfung des Suchtmittelmissbrauchs in Gefängnissen nicht ausschließlich auf Abwehr und Strafverfolgung. „Betroffene Gefangene sollen auf Dauer von ihrer Suchtmittelabhängigkeit befreit und in ihrer Einstellung nachhaltig stabilisiert werden“, heißt es. Externe Suchtberater besuchen die Betroffenen im Gefängnis, führen Gesprächsgruppen und vermitteln geeignete Therapieplätze nach der Haft. Die Idee: Gefangene sollen zu den Beratern mehr Vertrauen fassen können.

Der Freistaat finanziert derzeit rund 57 Stellen. Die Suchtberater kommen zum Beispiel von Drogenhilfestellen wie Mudra in Nürnberg oder von Condrobs in München. Für Süchtige ist das Gefängnis eine extreme Herausforderung, wie Birgitta Kraatz-Macek von Condrobs weiß. „Von einem Tag auf den anderen sind sie eingesperrt, wissen nicht, was auf sie zukommt. Und Suchtmittel dienen gerade in Krisensituationen dazu, Erleichterung zu verschaffen.“

Doch die Haft bietet auch eine Chance, die eigene Abhängigkeit zu hinterfragen. Viele sitzen ja wegen der Drogen im Knast: Sie wurden wegen Handel oder Beschaffungskriminalität verurteilt. „Sie denken dann seit Jahren das erste Mal auch wieder mit klarem Kopf nach - wo soll es denn mit meinem Leben hingehen?“, erzählt Kraatz-Macek. Viele werden hinter Gittern clean. Sei es freiwillig - oder weil Drogen im Vergleich zu draußen schwerer zu beschaffen und teurer sind.

Heroinabhängigen droht in Bayerns Gefängnissen kalter Entzug. Denn nicht jeder wird mit Ersatzstoffen unterstützt. „Das ist eine Quälerei - für den Menschen selbst und auch für die Angestellten“, kritisiert Müller vom BSBD. In der Justizvollzugsanstalt Nürnberg würden etwas mehr als zehn Menschen mit Ersatzstoffen unterstützt, bei rund 1100 Haftplätzen, erklärt Bertram Wehner. „Das ist sicher stark unterrepräsentiert“. Dennoch bewegten sich die Haftanstalten in die richtige Richtung, findet er. „Vor zehn Jahren war Substitution noch ein absolutes No-Go. Da hat sich viel getan“. Drogenprobleme seien früher verdrängt worden - die Haltung im Justizvollzug sei gewesen: „Drogen? Nö, bei uns gibt's keine Drogen!“