Ingolstadt
"Jeder Arme ist einer zu viel"

Sozialausschuss diskutiert über den ersten Armutsbericht der Stadt – CSU verteidigt die Zahlen

24.03.2015 | Stand 02.12.2020, 21:30 Uhr

Ingolstadt (DK) Während im Jugendhilfeausschuss vor allem über die Auswirkungen der Armut auf die Kinder diskutiert wurde, widmete sich der Sozialausschuss gestern allgemeineren Fragen zum Armutsbericht: Wie viel Einfluss hat die Politik auf den Wohlstand? Und wie tief sollte man ins Private eingreifen

Fast zwölf Prozent der Ingolstädter gelten als armutsgefährdet, rund sechs Prozent erhalten Grundsicherung, in einigen Stadtbezirken sind es besonders viele – das ist in Kürze der Inhalt des Armutsberichtes der Stadt. Die Vertreter der (mit den Freien Wählern koalierenden) CSU hoben nun im Sozialausschuss hervor, dass die Zahlen gar nicht so schlecht seien. „Jeder Arme ist einer zu viel“, sagte Konrad Ettl. Aber die Sechs-Prozent-Quote müsse man sich auch im Vergleich ansehen: Augsburg habe zwölf Prozent, Fürth und Nürnberg 13,5. „Das sind gravierende Unterschiede“, erklärte Ettl. „Und das ist hier so niedrig, weil wir in Arbeit investiert haben.“ Patricia Klein betonte, dass es der Stadt grundsätzlich sehr gut gehe, was auch dem Fleiß vieler hart arbeitender Menschen geschuldet sei. Und dass die Rahmenbedingungen dafür passten, sei ein Verdienst der Politik ihrer Partei: „Das ist unstrittig der Erfolg der CSU gewesen“, sagte sie.

Das wollten andere Stadträte so nicht stehen lassen. „Die sechs Prozent sind kein politisches Verdienst, das liegt an der Vollbeschäftigung“, sagte Thomas Thöne (SPD). Und vor allem an Audi: „Jeder Arbeitsplatz bei Audi zieht sieben Arbeitsplätze in der Region. Wir können nur hoffen, dass es so bleibt.“ Und Anton Böhm sagte zu Klein, sie wisse das vielleicht nicht, weil sie noch zu jung sei, aber die Konjunktur könne ganz schnell wieder einbrechen, so wie es zuletzt vor einigen Jahren gewesen sei.

Jürgen Siebicke (Linke) stimmte ihnen zu: „Wenn morgen der Volkskongress in Peking beschließt, nur noch chinesische Autos zu kaufen, dann ist hier Schicht im Schacht.“ Und er kenne einen Staplerfahrer, der in der „Sonderwirtschaftszone GVZ“, in der viele Firmen keinen Mindestlohn zahlten, hart arbeite und trotzdem viel weniger verdiene als Kollegen außerhalb des Güterverkehrszentrums. „Ist der jetzt weniger fleißig“, fragte er. Die Armut habe vor allem zwei Ursachen: zu niedriges Einkommen – und zu hohe Mieten. Normalerweise solle die Miete nicht mehr als ein Drittel des Einkommens ausmachen. „Da liegen wir weit drüber.“ Er forderte, in jedem Baugebiet mietpreisgebundene Wohnungen auszuweisen – und das Ziel auszugeben, jedes Jahr die Armut um ein bis zwei Prozent zu senken.

Gerd Werding (Freie Wähler) sagte, er stelle nicht in Abrede, dass einiges getan worden sei, aber auch er forderte weitere Maßnahmen. Er erklärte, man müsse bei den Kindern ansetzen: Die Stadt solle sie so früh wie möglich in Kindertagesstätten bekommen, gerade solche, deren Eltern oft Bedenken dagegen hätten oder gar nicht wüssten, dass ihre Kinder dort gefördert werden könnten. Außerdem brauche es in den Bildungseinrichtungen eine größere Durchmischung – „nicht wie an der Herschelschule, wo 85 Prozent einer Ethnie in einer Klasse sind“, sagte Werding.

Patricia Klein erklärte, der Ausbau der Kindertagesstätten sei sehr wichtig gewesen. „Aber ich halte es auch für wichtig, dass die Kinder mal zu Hause bleiben können. Wir dürfen es nicht übertreiben. Auch arme Eltern sind liebende Eltern.“

Christian Höbusch (Grüne) warb dafür, „die politische Flughöhe zu verlassen“. Im nächsten Sitzungsdurchlauf soll der Armutsbericht um detailliertere Daten ergänzt werden – dann könne man differenziert darüber reden. Und Dorothea Deneke-Stoll (CSU) erinnerte an die knapp vier Prozent der über 65-Jährigen, die Grundsicherung beziehen. Auf die solle die Verwaltung auch eingehen. Themen für die kommenden Ausschüsse gibt es also genug.