Ingolstadt
Jahrelang falsch abgerechnet?

Staatsanwaltschaft Ingolstadt ermittelt wegen Betrugsverdacht gegen einen Jugendhilfeträger

07.09.2020 | Stand 23.09.2023, 13:58 Uhr
Manche Familien werden mit ihren Problemen nicht mehr alleine fertig und brauchen Hilfe von außen - zum Beispiel bei der Kindererziehung. In solchen Fällen stellt das Jugendamt den Betroffenen jemanden zur Seite, der sie in dieser schwierigen Situation unterstützt. −Foto: dpa

Ingolstadt - Gibt es in der örtlichen Jugendhilfe einen größeren Betrugsfall?

Eine auf pädagogischen Gebiet tätige Gesellschaft steht gerade im Brennpunkt von Ermittlungen. Der Vorwurf: Über Jahre hinweg sollen falsche Abrechnungen gegenüber den Jugendämtern von Ingolstadt sowie von den Landkreisen Pfaffenhofen und Kelheim getätigt worden sein.

Zum Hintergrund: Manche Familien werden mit ihren Problemen nicht mehr alleine fertig und brauchen Hilfe von außen - zum Beispiel bei der Kindererziehung. In solchen Fällen stellt das Jugendamt den Betroffenen jemanden zur Seite, der sie in dieser schwierigen Situation unterstützt. Ambulante Hilfen heißt das im Fachjargon. In der Regel übernehmen Vereine oder Unternehmen diese Aufgaben - sogenannte Träger der freien Jugendhilfe.

Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt bestätigte jetzt gegenüber unserer Zeitung, es werde ein Ermittlungsverfahren gegen einen Mitarbeiter eines solchen Trägers geführt. Nach Recherchen des DK handelt es sich um jemanden aus der Geschäftsführung. Die Kripo Ingolstadt steckt noch mitten in den Untersuchungen und in der Auswertung der sichergestellten Unterlagen. Doch es zeichnet sich ab, dass der mutmaßliche Betrug über Jahre lief. Dabei soll laut Staatsanwaltschaft "bewusst wahrheitswidrig über die Qualifikation von Mitarbeitern getäuscht worden sein", wie es auf DK-Anfrage heißt.

Sprich: Der oder die unter Verdacht stehende Verantwortliche soll Stunden für Sozialpädagogen abgerechnet haben, die tatsächlich aber nicht von Fachkräften, sondern von Honorarkräften geleistet wurden, die zum Teil Quereinsteiger waren. Ein Insider erklärt, teilweise seien Handwerker eingesetzt worden, aber auch Kräfte aus verwandten Berufen wie Heilpraktiker oder Psychotherapeuten.

Eine betroffene Honorarkraft betont gegenüber unserer Zeitung, für ihre Arbeit sei mehr als doppelt so viel mit dem Jugendamt abgerechnet worden als sie erhalten habe. "Die haben mega verdient an uns. " Sie ist nun schon seit Monaten arbeitslos - so wie andere Leute, die für den Träger arbeiteten, ohne dass es je zu fachlichen Beanstandungen kam.

Als der mutmaßliche Abrechnungsschwindel aufflog, hat die jetzt unter Verdacht stehende Geschäftsführung schnell reagiert und die Zusammenarbeit mit den geringer qualifizierten Kräften beendet - womöglich auch auf Druck des Jugendamts Ingolstadt, wie Recherchen ergaben. Entsprechend groß war der Frust bei den Betroffenen, die sich als Opfer fühlen und denen auch die Familien leid tun, die plötzlich ohne ihre vertrauten Helfer zurechtkommen mussten.

Der DK spricht mit jemandem, der früher für den Träger in der aufsuchenden Familienhilfe tätig war und aus verständlichen Gründen anonym bleiben will. "Ich habe gute Arbeit geleistet so wie andere auch - wir waren ein super Team", sagt die betreffende Person. "Ich habe viele Familien betreut und über Jahre hinweg viele Stunden geleistet. " Über die lange Zeit hinweg sei ein enges Vertrauensverhältnis zu den Familien entstanden, erklärt die Honorarkraft. "Nachdem alles aufgeflogen ist, sollte ich sang- und klanglos verschwinden und mich nicht einmal von den Familien verabschieden dürfen, die plötzlich alleine dastanden. Das war alles sehr traurig. "

Tatsächlich genossen die jetzt unter Betrugsverdacht stehende Person und die Gesellschaft in Fachkreisen einen guten Ruf: Daher nahmen die Jugendämter deren Dienste gern in Anspruch. Diese Aufgaben müssen auch nicht unbedingt nur Sozialpädagogen erfüllen, regelt das sogenannte "Fachkräftegebot" im Sozialgesetzbuch VIII. Dort heißt es: "Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen bei den Jugendämtern und Landesjugendämtern hauptberuflich nur Personen beschäftigen, die sich für die jeweilige Aufgabe nach ihrer Persönlichkeit eignen und eine dieser Aufgabe entsprechende Ausbildung erhalten haben (Fachkräfte) oder aufgrund besonderer Erfahrungen in der sozialen Arbeit in der Lage sind, die Aufgabe zu erfüllen. "

Es muss also nicht unbedingt ein Sozialpädagoge sein. Dies von Fall zu Fall zu entscheiden liegt in der Verantwortung des Trägers. Einer aus der Branche erklärt: "Wenn ich jemanden für einen Fall einsetzen will, dann frage ich zur Sicherheit beim Jugendamt nach, ob es möglich ist. "

Das Amt für Jugend und Familie der Stadt Ingolstadt arbeitet seit rund 20 Jahren mit dem fraglichen Jugendhilfeträger zusammen, teilt das städtische Presseamt mit. Die Fallzahlen würden variieren, die fachliche Qualifikation sei vertraglich festgelegt. "In der Regel wird die Leistung von Fachkräften mit abgeschlossenem Studium durchgeführt", heißt es in der schriftlichen Antwort. Ob das kontrolliert werde, wollte der DK wissen. "Mit den Trägern der freien Jugendhilfe ist vertraglich geregelt, wie das Fachkräftegebot einzuhalten ist", so die Antwort.

Weiter heißt es zu den strittigen Abrechnungen: "Größere Ungereimtheiten sind bis 2019 nicht aufgefallen. " Um welche Summen es geht, werde zurzeit rechtlich geprüft. Zur Frage, ob bereits Gelder zurückgezahlt worden seien, teilt die Stadt mit, entsprechende rechtliche Schritte seien eingeleitet worden. Der Träger sei weiterhin Kooperationspartner des Jugendamts.

Das ebenfalls betroffene Kreisjugendamt Pfaffenhofen hat sich abgesichert und in einer Leistungsvereinbarung mit den Trägern geregelt, dass bestimmte Anforderungen hinsichtlich der Qualifikation eingehalten werden müssen: Also dass beispielsweise nur Sozialpädagogen in der ambulanten Familienhilfe eingesetzt werden dürfen. "Wir setzen auf sozialpädagogischen Rat und fordern den ein", betont Christian Degen, Sprecher des Landratsamts.

Dementsprechend wurde auch mit dem Träger abgerechnet - obwohl tatsächlich keine Fachkräfte tätig gewesen sein sollen, wie sich jetzt abgezeichnet haben soll. "Darum hat das Landratsamt am 6. Juli Strafanzeige gestellt", so Degen. Es gehe um zwei Fälle, die Schadenssumme sei noch nicht bekannt. Die Fälle habe man "weitergeführt und auslaufen lassen". "Mit der Neuvergabe warten wir bis zum Abschluss des Verfahrens. " Laut Degen arbeite das Kreisjugendamt jedoch weiter mit dem Träger zusammen, allerdings nur im stationären Bereich.

Die Gesellschaft bietet laut Internet nicht nur ambulante Hilfen an, sondern verfügt auch über verschiedene stationäre Einrichtungen. Die Einträge auf der Homepage wurden aber nach der Anfrage des DK zum Ermittlungsverfahren sofort gelöscht. Der Name der unter Verdacht stehenden Person taucht aber noch auf. Sie hob auch ab, als der DK am Mittwoch anrief, verweigerte jedoch Angaben zu den Vorfällen und erklärte, einen Rechtsanwalt einzuschalten, um eine Berichterstattung zu verhindern.

DK

Suzanne Schattenhofer