Schießsport
Jagd auf tönerne Frisbees

Tanja Ortner pflegt einen seltenen Sport: Die Neuburgerin ist eine erfolgreiche Wurfscheibenschützin

30.12.2021 | Stand 03.03.2022, 3:36 Uhr
Volle Konzentration: Tanja Ortner visiert ihr Ziel an. Gleich kracht's und die Scheibe zerplatzt in 1000 Stücke. −Foto: Bartenschlager

Für Menschen, die jagdliche Atmosphäre genießen, aber nicht auf Tiere anlegen wollen, die den Schießsport reizvoll finden, denen das Anvisieren von feststehenden Zielen jedoch nicht attraktiv genug erscheint, gibt es eine Alternative: das Wurfscheibenschießen.Von Josef Bartenschlager

Neuburg - Tanja Ortner greift sich ihre Browning und geht zum Schießstand. Sie betritt einen der vorgegebenen Punkte und setzt ihre gelbgetönte Brille auf, die Kontraste besonders gut hervorhebt. Der landschaftlich schönen Kulisse widmet sie wenig Aufmerksamkeit. Nun noch den Ohrenschutz, denn gleich wird es laut. Tanja Ortner schiebt eine Patrone in jeden der beiden Läufe und macht die Waffe schussbereit. Der Finger ist noch vom Abzug entfernt. Sie stellt sich in Position, einen Fuß vor dem anderen, den Oberkörper leicht nach vorn gebeugt, hebt die Browning und entsichert das Gewehr. Der Schaft liegt eng an der Wange und ist andererseits gegen eine bestimmte Stelle an der Schulter gepresst. So ist der Rückstoß kaum merklich. Ihr Zeigefinger krümmt sich jetzt um den Abzug. "Hoh", ruft Tanja Ortner, und ihr Trainer drückt den Auslöser für eine der zahlreichen Wurfmaschinen am Platz. Beim Wurfscheibenschießen ist es stets der Sportler, der bestimmt, wann die Scheibe fliegen soll. Der Flintenlauf folgt der Flugbahn und im passenden Moment drückt Tanja Ortner ab. Nachschuss. Die hellrote Scheibe zerplatzt. Tanja Ortner senkt das Gewehr und knickt den Lauf ab. Die Hülsen werden automatisch ausgeworfen. Ihr Trainer ist zufrieden. Ein puristisch eingestellter englischer Gentleman hätte eventuell eine Augenbraue gehoben, um dezent sein Missfallen auszudrücken. Nicht wegen der Technik; an der hätte auch er nichts auszusetzen gehabt. Sondern wegen des "Hoh", was hier gang und gäbe ist. Der korrekte Ruf lautet nämlich "Pull". Und was Wurfscheibenschießen angeht, ist England tonangebend.

Erst spät zu diesem Sport gefunden

Ihren Sport übt Tanja Ortner noch nicht so lange aus, obwohl sie familiär "vorbelastet" ist. Es war eine relativ späte Entscheidung im Leben der heute 49-Jährigen, eine Waffe in die Hand zu nehmen. Mit 40 machte die Neuburgerin ihren Jagdschein - womit sie in die Fußstapfen ihres Vaters trat - und dann brauchte sie noch eine ganze Zeit, bis sie zu ihrem Sport fand. Zunächst wollte sie eigentlich nur einige Übungsschüsse auf die Scheiben abgeben, doch dann packte sie das "Jagdfieber" auf die tönernen Gebilde - und zeigte Talent. Die Deutsch- und Englisch-Lehrerin an der Neuburger Paul-Winter-Realschule ist recht erfolgreich. Bei den Deutschen Meisterschaften im thüringischen Suhl erreichte sie im Sommer die Bronzemedaille in der Disziplin Jagdlich Trap.

Ihre jagdliche Heimat findet Tanja Ortner im Jagdschutzverein Neuburg. Um auf Wurfscheiben schießen zu können, muss sie freilich weitere Wege in Kauf nehmen, etwa ins rund 60 Kilometer entfernte Amerdingen. Dort befindet sich nicht nur die BJV-Landesjagdschule, sondern auch eine Schießanlage, die ihresgleichen sucht. Etwa einmal pro Woche macht sich Tanja Ortner auf den Weg. Kaum angekommen, begrüßt sie Bekannte, dann öffnet sie ihren Gewehrkoffer und baut ihr Sportgerät zusammen. Sie nutzt eine Browning Ultra XS im Kaliber 12. Zu ihrem Arsenal zählt auch eine Beretta im Kaliber 20, ein ausgesprochen elegantes Stück, das sie nur selten nutzt. Ihr Sportgerät vergleicht die Neuburgerin mit Laufschuhen: "Es muss von der Länge und von den Schaftmaßen her perfekt zu mir passen und auf mich abgestimmt sein."

Transport nur mit abgeknicktem Lauf

Sicherheit ist oberstes Gebot. Geladen werden dürfen die Waffen nur direkt am Schießstand. Nach dem Zusammenbau knickt die Sportschützin den Lauf nach unten: Auf dem Gelände dürfen die Sportgeräte nur so transportiert und auch auf den vorgesehenen Gewehrhalterungen abgelegt werden. Wer das vergessen sollte, wird unverzüglich ermahnt. Nicht einmal Gewehrriemen sind erlaubt. Eine vorgeschriebene Kleidung gibt es nicht. Tanja Ortner mag es leger und nur die Schießweste mit den vielen Taschen deutet auf ihre Leidenschaft hin. Starre Schießanzüge wären völlig fehl am Platz, denn die sollen ja die Bewegungsfreiheit einschränken - das Gegenteil von dem, was hier gefragt ist.

Heute will sich die Neuburgerin mit ihrem Trainer treffen. Auch er kommt eigens von etwas weiter entfernt angereist. "Wurfscheibenschießen ist ein Randsport", sagt er und man glaubt ein gewisses Bedauern herauszuhören. "Unser Sport gliedert sich in zwei Hauptrichtungen, in den rein sportlichen und den jagdlichen Schießsport", erklärt er. Beide unterscheiden sich im Wesentlichen von der Anzahl der Wurfscheiben, die zu treffen sind. Beim sportlichen Schießen sind es teilweise signifikant mehr "Tontauben". Dieser Begriff ist allerdings inzwischen verpönt, weil das Wort "Tauben" darin vorkommt. Man hat sich auf "Wurfscheibe" geeinigt. Diese ist einem Frisbee ähnlich, nur eben kleiner. Rillen halten das Teil stabil in der Luft. Die Scheibe besteht im Wesentlichen aus Steinmehl und Baumharz und ist biologisch unbedenklich. Das gilt ebenso für die Patronenhülsen, die sich auf photochemischem Weg selbst zersetzen. Problematischer sieht es mit dem Schrot aus, das meistens aus Blei hergestellt wird. Stahl ist zwar auch möglich, wird aber selten gewählt, weil es weniger Brechkraft entwickelt: Mit Bleischrot zerplatzen die Wurfscheiben sehr viel besser.

Mentale Fitnessgibt den Ausschlag

Vor dem nächsten Durchgang bespricht sich Tanja Ortner mit ihrem Trainer. Wie bei allen Sportarten, bei denen es darum geht, ein Ziel zu treffen, ist die mentale Fitness ausschlaggebend. Hier kommt erschwerend dazu, dass dieses Ziel beweglich ist und das Sportgerät - außer einem kleinen Korn - über keine Zieleinrichtung verfügt. "Die Sportler müssen einen rechtzeitigen Spannungsaufbau bei kontrollierter präziser Bewegung hinbekommen", erklärt der Experte. Bei Wettkämpfen trägt Tanja Ortner sogar eine Pulsuhr, die auch den Kalorienverbrauch misst.

Die Neuburgerin betritt erneut den Schießstand und konzentriert sich. Die geforderte Leistung bei Wettkämpfen ist hoch. "Die Deutsche Meisterschaft wird mit 90 Scheiben geschossen. Die Spitzenschützen liegen oft nur um eine Scheibe im Ergebnis auseinander. Da ist jeder Fehlschuss eine Tragödie", sagt sie. Nichts für sie. Falls ihr dennoch mal nach Tragik zumute ist, greift Ortner zu den "Jagd- und Wilderergeschichten" von Ludwig Thoma, der, jagdlich gleichfalls vorbelastet, nicht ohne Grund zu ihren Lieblingsautoren zählt.

DKSchießplatz AmerdingenDer Schießplatz in Amerdingen zählt zu den größten und schönsten in Deutschland. Ursprung ist ein ehemaliger Steinbruch; Graf Stauffenberg hat das Gelände durch seinen Forstmann Anton Blum weiter entwickeln lassen. Seit 1960 wird hier mit Blei geschossen. Das Areal umfasst rund sechs Hektar und weist verschiedene natürliche Szenarien auf: Freiland, Wald und Hügel. Insgesamt sind rund 80 Wurfmaschinen installiert, die über moderne Computertechnik bedient werden können. Es gibt aktuell zwei Trap- und zwei Skeet-Anlagen, einen Jagd-Parcours und einen Compak-Parcours, also einen etwas kleineren Jagd-Parcours. Das Gelände ist im Besitz des 1991 gegründeten Wurfscheiben Clubs Amerdingen, dessen Vorsitzender Jakob Pollithy ist. Ein zweiter Verein ist hier ebenfalls ansässig, der Schießclub Graf von Stauffenberg e.V.Auf der Anlage werden Wettbewerbe und Meisterschaften ausgetragen; ebenso dient sie zur Schießausbildung von Jägern und Förstern. In unmittelbarer Nähe liegt die BJV-Landesjagdschule. Öffnungszeiten sind mittwochs von 13 bis 18 Uhr, samstags von 13 bis 18 Uhr und sonntags von 13.30 Uhr bis 16 Uhr. An Freitagen ist die Anlage nur für den Jagdparcours und nur nach Vereinbarung geöffnet. Interessierte können hier nach Voranmeldung diese Art von Schießsport kennenlernen, sich eine Flinte leihen und unter Aufsicht und qualifizierter Leitung schießen. Weitere Infos im Internet unter www.wurfscheiben-amerdingen.de. DKDer SportBeim Wurfscheibenschießen gibt es zahlreiche unterschiedliche Nuancen beim Ausüben und bei den Regeln. Zunächst wird zwischen sportlichem und jagdlichem Schießen unterschieden. Hier geht es hauptsächlich um die Zahl der Scheiben, auf die geschossen wird. Beim jagdlichen Schießen sind es weniger. Eine weitere grundsätzliche Unterscheidung findet sich in den Bezeichnungen Trap und Skeet wieder. Beim Skeet werden die Wurfscheiben von zwei verschiedenen Punkten in fest vorgegebene Richtungen abgeschossen. Der Begriff ist wahrscheinlich vom altnordischen Wort skot - Schuss - abgeleitet. Beim Trap fliegen die Scheiben von einem festen Punkt aus in verschiedene Richtungen. Das englische Wort bedeutet Falle. Früher wurden Vögel, vor allem Tauben, aus Käfigen freigelassen, während die "Jagdgesellschaft" in unmittelbarer Nähe mit ihren Flinten schon bereitstand. Weil das mit jagdlichen Gepflogenheiten nichts zu tun hatte, ersetzte man die lebenden Tauben durch solche aus Ton. Im Schlosspark Plaue findet sich die wohl älteste erhaltene Anlage, die um das Jahr 1900 errichtet wurde. Beide Disziplinen - Trap und Skeet - sind olympisch. Außerdem gibt es Doppeltrap, bei dem zwei Wurfscheiben gleichzeitig abgeschossen werden, sowie den Jagdparcours, der als Königsdisziplin gilt und bei dem die Jagd auf Niederwild simuliert wird: Es gibt keine vorgegebenen Abschusspunkte und keine berechenbare Flugbahnen. Hier ist Reaktionsschnelligkeit ausschlaggebend. bajWaffen und KaliberGeschossen wird mit Flinten. Diese Bezeichnung steht für Gewehre, die mit Schrot schießen, im Gegensatz zu Büchsen, aus denen Kugeln abgefeuert werden. Die Flinten sind doppelläufig. Man unterscheidet Querflinten, bei denen die Läufe nebeneinander, und Bockflinten, bei denen die Läufe übereinander liegen. Sportschützin Tanja Ortner nutzt eine Bockflinte. In der Regel sind Flinten für das Kaliber 12 ausgelegt, seltener für Kaliber 20. Der Begriff Kaliber bezieht sich auf den Durchmesser des Laufs. Man nehme ein englisches Pfund Blei, das 453,6 Gramm entspricht, und forme daraus 12 gleich große Kugeln. Der Durchmesser der Kugel entspricht dann dem Durchmesser des Schrotlaufs. Bei Kaliber 20 geht man genauso vor, nur eben mit 20 Kugeln. Der Durchmesser des Laufs ist also kleiner und die Trefferwahrscheinlichkeit etwas geringer. Ein wichtiger Grund, warum hauptsächlich das Kaliber 12 geschossen wird. Die Distanzen beim Wurfscheibenschießen liegen zwischen 20 und 40 Metern. Die Schützen können die Streuwirkung des Schrots beeinflussen. Dazu dient ein Gerät mit der befremdlich klingenden Bezeichnung Würgebohrung. Damit lässt sich der Laufdurchmesser verändern. Ist er groß, streut der Schrot sehr rasch nach dem Austritt aus der Waffe und ist für kurze Distanzen geeignet. Ein enger Lauf verzögert die Streuung und ist die richtige Wahl für weitere Entfernungen. Die englische Bezeichnung klingt übrigens auch in diesem Fall eleganter: Choke. baj