Ingolstadt
"Ja, das G8 ist belastend"

09.06.2011 | Stand 03.12.2020, 2:44 Uhr

Doppelabitur in der Familie: Die Zwillinge Veronika und Vinzenz Bergmann haben heuer ihr Abitur am Ingolstädter Reuchlin-Gymnasium geschafft – sie im G8, er im G9. Die Unterschiede waren zum Teil gewaltig, berichten die 18-Jährigen, „und auch irgendwie unfair“ - Foto: Strisch

Ingolstadt (DK) Schon vor der Einführung des achtstufigen Gymnasiums hat die Reform für Kritik gesorgt. Zu überhastet, zu unausgegoren, zu viel Lernstoff in kurzer Zeit waren nur einige der Vorwürfe.

Nun haben die Abiturprüfungen nochmals für Aufregung und Druck auf Kultusminister Ludwig Spaenle gesorgt, der während der Korrekturphase die Anforderungen leicht gesenkt hat. Gestern musste sich Spaenle im Landtag den Vorwürfen der Grünen stellen. Außerdem haben wir uns mit der stellvertretenden Vorsitzenden der Landes-Eltern-Vereinigung, Ute-Christine Geiler, und mit einem Zwillingspaar, das zeitgleich die G8- und die G9-Prüfungen absolviert hat, unterhalten.
 
Veronika Bergmann ist zwei Minuten älter als ihr Bruder Vinzenz, aber weil sie nach der fünften Klasse der Hauptschule aufs Gymnasium wechselte, war sie immer eine Klasse unter ihm. Jetzt sind sie wieder gleichauf. Veronika hat im ersten Jahrgang des G8 Abitur gemacht, Vinzenz im letzten des G9. Im Gespräch mit unserem Redakteur Christian Silvester nennen die 18-Jährigen die Unterschiede und erklären, wieso die Diskussion irgendwann genervt hat.
 
Die viele Kritik hat dem G8 einen fast bedrohlichen Beiklang verliehen. Veronika, wie schlimm war’s wirklich?
 
Veronika Bergmann: Ich habe es ja gar nicht mehr anders gekannt. In der fünften Klasse war ich noch G9, dann sind wir ins G8 reingerutscht, doch das haben wir noch gar nicht richtig realisiert. Aber ich hatte den direkten Vergleich mit meinem Bruder. Der hatte bis zur Zehnten keinen Nachmittagsunterricht, und bei mir ging’s damit schon in der sechsten Klasse los. Das war irgendwie unfair.
 
Vinzenz Bergmann: Sie hatte auch einige Fächer früher als ich. Zum Beispiel Chemie. Das hatte ich erst in der Elften, sie schon in der Achten. Veronika: Oder das ganze Stochastik-Zeug – das hatte der Vinzenz erst in der Zwölften und ich schon in der Sechsten.
 
Das ist echt ein Unterschied!
 
Vinzenz: Bei uns war auffällig, dass es in der Siebten zum ersten Mal Förderunterricht für Leute gab, die gefährdet waren. Man hat halt geschaut, dass die gerade noch so durchkommen. Das war dann jedes Jahr so.
 
Glaubst du, dass es deine Schwester schwerer hatte?
 
Vinzenz: Ja. Der Stoff, den sie bewältigt hat, wäre mir sicher schwerer gefallen. Aber sie hat ja alles gut gemeistert.
 
Wie habt ihr die Diskussion über die G8-Reform erlebt?
 
Vinzenz: Wir haben in der Siebten einen Aufsatz geschrieben: „Pro und Contra G9“. Ich war auch auf Veranstaltungen, da ging es darum, wie man das mit den Ausbildungs- und Studienplätzen regelt. Naja, und irgendwann war es dann aber immer dasselbe.
 
Veronika: Am Anfang war das bei uns ein ganz großes Kuddelmuddel. Plötzlich hat es geheißen: „Wir sind jetzt das G8!“ Dann sind wir erst mal dagestanden und haben uns gefragt: Was ist das eigentlich genau? Ich erinnere mich daran, wie sich die Leute am Anfang aufgeregt haben, wie viel Wut da war. Aber wir Schüler hatten lange keine Ahnung. Es hieß dauernd: „Ihr bekommt neue Bücher und einen neuen Lehrplan“, doch der war oft nicht rechtzeitig fertig. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, man wächst halt so damit auf . . . Später hatten wir schon unzählige Gespräche darüber, wie belastend das G8 ist, und wie wenig Peilung die im Kultusministerium haben.
 
Für das G9 begann das Abitur schon im März. Habt ihr euch benachteiligt gefühlt?
 
Vinzenz: Ich bin gut durchgekommen. Benachteiligt würde ich nicht sagen. Aber es war schon knapp. Wir haben gerade mit den Schulaufgaben aufgehört, dann waren Faschingsferien, und danach fing sofort das Abitur an. Die vor uns hatten mehr Zeit, sich vorzubereiten. Wir mussten zu dem Zeitpunkt noch in die Schule gehen. Das hat schon genervt!
 
Regelmäßig wurde beklagt, dass das G8 massiv die Freizeit einschränke. Wie habt ihr das erlebt?
 
Vinzenz: Wie gesagt, bis zur Zehnten hatte ich so gut wie keinen Nachmittagsunterricht. Ich habe meine Freizeit gehabt.
 
Veronika: Ich war in der Schule in allen Musikensembles dabei und in der SMV, weil mir das viel Spaß gemacht hat. Aber ich fand es nicht schön, lang in der Schule zu sitzen. Ja es stimmt: Es ist belastend. Ich habe oft zum Vinzenz gesagt, dass ich das unfair finde, wenn ich daheim ewig Hausaufgaben gemacht habe, und er lag im Bett und hat Comics gelesen.
 
Ihr habt acht Geschwister. Was haben die euch gefragt?
 
Veronika: Die Älteren hat es schon interessiert, wie genau es bei mir im G8 läuft. Das G9 kannten sie ja bereits. 
 
Was rätst du besorgten Eltern von G8-Schülern?
 
Veronika: Den Kindern auf keinen Fall schulischen Druck machen! Sie müssen das Gefühl haben, noch Zeit für sich zu haben, wenn sie nach Hause kommen. Daher sollten die Eltern den Kindern auch helfen, ihre Hobbys zu pflegen.