Hohenwart
Ist der Druck zu groß?

Hohenwarter Eltern Angstzustände bei ihren Kindern fest - und sehen die Schuld bei der Schulleitung

25.02.2018 | Stand 02.12.2020, 16:46 Uhr
Hinter den dicken Mauern der Hohenwarter Grund- und Mittelschule kochen seit einer Weile schon die Emotionen hoch. Eltern berichten, dass ihre Kinder Essstörungen und Neurodermitis haben, dass sie vor dem Unterricht weinen oder sich gar übergeben - ist der Druck wegen des Übertritts zu hoch? Eltern fürchten es, Schulleitung und Schulamt winken ab. −Foto: Haßfurter

Hohenwart (SZ) Die nackten Zahlen geben es nicht her, aber das Gefühl ist da - und das hat Gründe: Eltern an der Hohenwarter Grund- und Hauptschule klagen über zu großen Druck, wenn es um den Übertritt an eine weiterführende Schule geht.

Es sind heftige Vorwürfe, die im Raum stehen. Setzt Schulleiter Ralph Lanz Kinder und Eltern zu sehr unter Druck, um sie an Hohenwart zu binden? "Er verbaut den Kindern den Weg in die Zukunft", sagt die Mutter eines Hohenwarter Schülers. Da ist von ursprünglich zu guten Tests die Rede, die nachkorrigiert wurden - da war wohl Tipp-Ex im Einsatz, das kam Eltern komisch vor. Bei einer Probe wurden Dinge abgefragt, die zwar im Schulbuch standen, aber im Unterricht nicht behandelt wurden.

Klassen, die zuvor Zweier-Schnitte hatten, schreiben, wie Eltern berichten, plötzlich in Tests Vierer und Fünfer. Und Tests gibt es reichlich: über 20 allein in den Vorrückungsfächern der vierten Klasse. "Mein Sohn liegt sonntags daheim auf der Couch und sagt: ,Mama, das fühlt sich an wie ein Stein auf meiner Brust'", erzählt eine Mutter. "Manche Kinder essen fast nichts mehr, andere essen zu viel", lautet die Empfindung einer anderen. Neuerdings gebe es Fälle von Neurodermitis. "Die Kinder weinen, bevor sie in die Schule müssen", sagt eine Mutter. "Manche müssen sich morgens übergeben."

Der Druck auf die Schüler sei immens hoch, das sagen etliche Mamas und Papas, rund zwei Dutzend Gesprächspartner aus fast allen Jahrgangsstufen. Nur ihre Namen nennen wollen sie nicht, sie fürchten Sanktionen für ihre Kinder und einige auch für Geschwister, die vielleicht noch länger an der Schule sind. Um die Klassenlehrer geht es dabei nicht, die werden durchwegs gelobt.

Eltern von Hohenwarter Viertklässlern haben inzwischen das Gespräch mit Schulleitung und Schulamt gesucht. Wenn Eltern von Kindern höherer Jahrgangsstufen hören, was sie berichten, fühlen sie sich an ihre eigene Zeit vor dem Übertritt erinnert. "Das ist wie ein Déjà-vu!", sagt eine Mutter gegenüber unserer Zeitung, "ich habe damals gedacht, mein Kind hatte vielleicht einen schlechten Tag oder hat die Aufgaben nicht richtig verstanden, aber wenn ich das jetzt höre . . ."

Auch in höheren Klassen ist der Druck ein Thema. Eltern fühlen sich vom Schulleiter bei der Entscheidung, ob die Kinder die Schule nach der neunten Klasse verlassen oder noch einen Mittleren Schulabschluss machen, bedrängt. Unter der Decke ist die Diskussion nicht mehr - die Gerüchteküche brodelt über Hohenwart hinaus.

Kann das sein? Dass eine Schule bewusst den Weg auf eine weiterführende Schule verbaut, um den eigenen Bestand zu retten? Schulleiter Ralph Lanz weist das von sich: "Wir freuen uns über jedes Kind, das weiterkommt", sagt er, als er mit der Situation konfrontiert wird. "Weder bewusst, noch unbewusst" übe er Druck aus. Und er sagt auch: "Meine Tür ist für Gespräche immer offen." Mehr könne er dazu nicht sagen.

Das zuständige Pfaffenhofener Schulamt streitet die Vorwürfe der Eltern strikt ab. Direktorin Karin Olesch hat etliche Gespräche in den vergangen Wochen geführt, sie ist sicher, dass die Eltern die Situation aufbauschen. Für sie gibt es diesen Druck nicht: "Das ist definitiv nicht so!", sagt sie.

Die nackten Zahlen geben ihr Recht: Die Übertrittsquote in Hohenwart liegt im Durchschnitt des Schulamtsbezirks, irgendwo zwischen 65 und 70 Prozent. "Da gibt es keine Auffälligkeiten", sagt Olesch.

Das wissen auch die Eltern. "Es geht ja auch nicht um die sehr guten Schüler, die kommen eh durch", sagt eine Mutter, "aber bei denjenigen, die auf der Kippe stehen, reichen ein, zwei schlechte Tests, um ihnen das Zeugnis zu verhageln." Und wen interessieren Zahlen, wenn Kinder weinen oder sich gar wegen der Schule übergeben müssen?

Karin Olesch bleibt dabei: "Die Schulleitung hat keinerlei Interesse, jemanden unter Druck zu setzen!" Was für einen Grund könnte es dafür geben? Vor allem diesen: Wenn die Klassenbildung oder gar der Bestand der Schule auf der Kippe stünde. "Das ist nicht der Fall", betont die Schulamtsdirektorin. Und selbst wenn tatsächlich mal ein Jahrgang ausfalle, werde deshalb nicht gleich eine ganze Schule geschlossen.

Wie sieht der Weg aus dem Konflikt aus? Olesch setzt auf Kommunikation. "Wir schauen hin, wir kontrollieren, wir führen Gespräche und wir geben Empfehlungen ab. Es ist an vielem nichts dran, was die Eltern aufgebauscht haben."

Was im Raum stehe, seien übliche Vorgänge. Wie sie das mit dem Tipp-Ex in den Korrekturen sieht? "Natürlich kann sich ein Lehrer auch mal vertun." Und die Sache mit dem schwankenden Notenschlüssel, die Schulleiter Lanz zur Last gelegt wird? In einem Test gab es für 5 Prozent Leistungserfüllung eine Vier, in anderen für 60 Prozent. "Da gibt es einen gewissen Spielraum - aus pädagogischen Gründen", sagt Karin Olesch. Grundsätzlich gebe es ein gewisses Anforderungsniveau für vierte Klassen, und es sei Aufgabe der Schulleiter, darauf zu achten, dass das für alle gewahrt bleibt, "sonst wäre eine Schule schwieriger als eine andere".

Genau um diesen Vorwurf geht es aber, und das nicht erst seit heuer. "Das ist nicht neu!", sagt ein Vater, seine Tochter hat inzwischen ihr Abi in der Tasche. An der Hohenwarter Grundschule war ihr einst bescheinigt worden, dass sie die Realschule nicht schaffen wird. Von wegen. Die Eltern meldeten sie dennoch an, und sie packte es spielend. Offenbar kein Einzelfall: "Ich kenne mehrere Kinder, die einen zu schlechten Schnitt für den Übertritt hatten, die Aufnahmeprüfung haben sie alle locker gepackt", sagt ein anderer Hohenwarter Vater. Und eine Mutter sagt gegenüber unserer Zeitung: "Mir kommt das so vor, als ob da höhere Kräfte dahinter stecken."

Das wäre dann der Schulverband, der gerade über Neubau oder Sanierung der Schule entscheidet. Beim Vorsitzenden, dem Hohenwarter Bürgermeister Manfred Russer, war bisher niemand der Eltern, die mit der Zeitung gesprochen haben. Warum nicht? Schulterzucken allerorten. Einer sagt: "Was soll das denn bringen?"

Eines ist ihnen in dieser Situation sowieso herzlich egal: Politik. "Mein Sohn muss nicht aufs Gymnasium, und auch nicht auf die Realschule", sagt eine Mutter, "nach der Mittelschule gibt es weiterhin viele Wege, um weiterzukommen. Aber ich will nicht, dass er weint, wenn er in die Schule muss. Das muss aufhören."

Das sagt der Schulverbandsvorsitzende 

"Dass es Knatsch bei Eltern gibt, habe ich am Rande mitbekommen," sagt Manfred Russer, Bürgermeister und Schulverbandsvorsitzender in Personalunion, zur Lage an der Hohenwarter Grund- und Mittelschule. "Aber ich kenne das nur vom Hörensagen - direkt an mich haben sich Eltern nicht gewandt. Ich würde sagen, da muss man sich gemeinsam zusammensetzen." Er könne sich da aber nicht einmischen. "Als Sachverbandsaufträger haben wir keine Weisungsbefugnis, das ist eine staatliche Aufgabe."

Wie er die Aussagen von Eltern einschätzt, dass der massive Druck auf die Kinder in Hohenwart schon seit Jahren ein Thema sei? "Wenn es den gegeben hat, ist es an mir als Sachaufwandträger relativ vorbeigegangen", erklärt Manfred Russer im Interview mit unserer Zeitung. "Wir haben in der Vergangenheit ab und zu mal Gespräche mit Eltern geführt, wo es um Wechsel an andere Schulen ging." Wenn es ein berichtigtes Interesse gebe, seien die auch zustande gekommen.

Dass Russer als Bürgermeister ein Interesse am Erhalt der Schule hat und haben muss, steht außer Frage. "Die ist lebensnotwendig für unsere Gemeinde", sagt er. Im April solle ja auch nach vielen Jahren der Vorbereitung die Frage Neubau oder Sanierung entschieden werden. Die Daten, die im Vorfeld erhoben worden seien, sagen, dass die Schule langfristig erhalten werden könne, so der Bürgermeister. "Die Frage ist, ob der Übertritt auf eine weiterführende Schule richtig ist, aber das muss ich mir als Sachaufwandsträger ja nicht überlegen." Aus seiner Sicht würde eine höhere Übertrittsquote "unsere Schule nicht gefährden". Er könne "die Situation nicht beurteilen, ob und inwieweit eingegriffen wurde in die Möglichkeiten, auf weiterführende Schulen zu gehen. Ich kann das weder verneinen, noch bestätigen".