Ingolstadt
Ingolstädter Clubszene noch immer ohne Perspektive

Seit fast einem halben Jahr wegen Corona geschlossen

01.09.2020 | Stand 23.09.2023, 13:52 Uhr
Julian Meier
"Ich schätze nicht, dass wir dieses Jahr noch aufmachen", sagt Fritz Dippert in seiner Lago Bar neben dem Münster. −Foto: Hauser

Ingolstadt - Auf dem Tresen türmen sich leere Bierflaschen und Gläser, zwei Barhocker stehen umgestürzt an beiden Enden. Die Uhr an der Wand zeigt noch die Winterzeit an. Lange ist es her, dass hier zum letzten Mal gefeiert, getanzt, getrunken wurde. Genau genommen am 14. März war es, seitdem ist das Logo an der Außenseite der Lago Bar dunkel. Und wird es auch bleiben. "Ich schätze nicht, dass wir dieses Jahr noch aufmachen", sagt Fritz Dippert (41) und zuckt mit den Schultern. Seit 17 Jahren betreibt er die Lago Bar im Herzen von Ingolstadt, direkt neben dem Münster. Wegen der Corona-Pandemie bleibt sie geschlossen. Perspektive: Fehlanzeige.

 

"Die Lago Bar war mein erster Laden. Freitag- und Samstagabend rauszugehen und zu sehen, dass die Tür zugeschlossen ist, das ist einfach schwierig", erzählt Dippert, während er Kartoffeln in Würfel schneidet. Mittlerweile gehören ihm auch noch die beiden Restaurants Goldbraun und Sepparee, immerhin die darf er öffnen. Um Personalkosten zu sparen, steht er selbst sieben Tage in der Woche am Zapfhahn oder in der Küche. "Wir arbeiten kostendeckend in den Restaurants. Verdient ist dabei nichts."

Dippert hat Glück: Mit seinem Vermieter konnte er sich darauf einigen, dass die Miete für die Lago Bar im Moment gestundet ist. Wie lange, ist offen. Genauso wie offen bleibt, wann die Lago Bar wieder öffnen darf. "Wie es weitergeht fragen viele. Ich habe keine Ahnung. Wir hängen in der Luft."

 

Derzeit bleiben fast alle Clubs, Bars und Diskotheken in Ingolstadt dunkel. Wegen der Corona-Pandemie beschloss die bayerische Staatsregierung am 16. März, dass alle Freizeiteinrichtungen schließen müssen. Doch während in Biergärten wieder Bier getrunken werden darf, in Fitnessstudios Gewichte gestemmt und in Hallen Konzerte vor Zuschauern stattfinden dürfen, bleiben Bars und Discos zu. Die sechste Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung legt fest, dass Clubs und Diskotheken generell geschlossen bleiben müssen. Auch der Betrieb von reinen Schankwirtschaften in geschlossenen Räumen ist untersagt. Wird Essen verkauft, darf geöffnet werden.

Die Regelung der Staatsregierung stößt bei vielen auf Unverständnis. Auch bei Thomas Geppert, Landesgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga Bayern. "Bei Clubs und Diskotheken ist es noch zu früh für den herkömmlichen Betrieb. Dass Schankwirtschaften nicht vollständig öffnen dürfen, ist nicht nachvollziehbar, da sie die Hygienekonzepte genauso umsetzen können wie Restaurantbetriebe. Das sind keine Ischgl-Bars", erklärt er. Laut dem Bayerischen Landesamt für Statistik gab es im Jahr 2018 rund 5000 getränkegeprägte Betriebe. Allein in Ingolstadt sind es über 50, wie Stadtsprecherin Ingrid Schmutzler auf Anfrage mitteilt. Wie viele davon die Corona-Krise überleben werden, steht in den Sternen.

 

Bitter kam die Corona-Pandemie auch für das Forty Nine. Erst seit Ende Februar vergangenen Jahres gibt es den Club in der Jesuitenstraße. Nachdem das selbsternannte "Partywohnzimmer" mit Startschwierigkeiten zu kämpfen hatte, wurde laut eigener Aussage der Besucherzuspruch nach einem Jahr immer besser. Dann kam Corona. "Wir haben ein Jahr lang Geld investiert und nichts verdient, haben dann Licht am Ende des Tunnels gesehen und dann wurde das Licht auch ganz schnell wieder ausgeknipst", beschreibt Betreiber Manfred Feimer (35). Wie alle anderen muss auch er seinen Club schließen, verdient nichts mehr. Da helfen auch 5000 Euro Corona-Soforthilfe vom Freistaat nicht. "Das deckt bei Weitem nicht die Ausgaben, die ein Club hat. Wenn man allein schon knapp 4000 Euro Monatspacht hat, dann ist das ein Tropfen auf den heißen Stein." Seine Sorgen werden immer größer, wie lange er die Einnahmeausfälle noch überbrücken kann, weiß auch er nicht. "Das kommt ganz darauf an, wie ich mich selbst einschränken kann. Ich habe auch eine Tochter, der ist es prinzipiell egal, ob Papa Geld verdient oder nicht." Wahrscheinlich wird er seinen Club nie mehr öffnen.

Denn eines ist auch klar: Eine wirkliche Perspektive gibt es für die Clubs und Bars nicht. Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger hatte zwar Mitte Juni angekündigt, für reine Schankwirtschaften bis Anfang Juli eine Lösung finden zu wollen. Gekommen ist seitdem nichts. "Minister Aiwanger hat diese Aussage vor dem Hintergrund der damals relativ geringen Corona-Fallzahlen getätigt. Bedauerlicherweise hat sich die Pandemiesituation in der Zwischenzeit wieder erheblich verschärft, sodass eine konkrete uneingeschränkte Öffnungsmöglichkeit derzeit nicht im Raum steht", erklärt ein Sprecher des Ministeriums auf Anfrage.

 

Die Situation für die betroffenen Betriebe wird derweil immer brenzliger. "Die Betriebe haben jetzt seit fünf Monaten unverschuldet ein Betriebsverbot. Es braucht dringend weitere Unterstützungen in Form von nicht rückzahlbaren Zuschüssen, damit man die Strukturen langfristig erhält", fordert Geppert von der Dehoga Bayern. Wirtschaftsminister Aiwanger hat sich nach Aussage der Ministeriumssprechers beim Bund schon länger dafür eingesetzt, dass die aktuelle Überbrückungshilfe für kleine und mittelständische Unternehmen bis Jahresende verlängert wird. Vergangene Woche beschloss der Koalitionsausschuss schließlich die Verlängerung.

Dass auch auf kommunaler Ebene etwas für die Clubs und Bars getan werden kann, hat die Stadt Ingolstadt bewiesen. Auf Antrag des Linken-Politikers Christian Pauling hat der Stadtrat einen Beschluss gefasst, der vorsieht, Freiflächen für Open-Air-Partys von Clubbesitzern bereitzustellen. Prinzipiell wird die Idee von allen Seiten gelobt, wären da nur nicht die Probleme mit der Umsetzung. "Die Hilfsmaßnahme wurde von der Verwaltung so stark dezimiert, dass es jetzt sehr viel schwieriger geworden ist, wirtschaftlich auf einen grünen Ast zu kommen", beklagt Pauling. Ursprünglich sah das Konzept vor, dass die Partys samstags und sonntags für jeweils acht Stunden stattfinden können. Beim letzten Termin vor der Platzvergabe wurden die Auflagen nochmal geändert, jetzt finden die Partys Freitag und Samstag von 18 bis 23 Uhr statt. Schon eine Stunde früher muss die Musik aus sein. Damit sich die Veranstaltung finanziell lohnt, ist die Zeit zu kurz. "Ich sehe da mangelnde Empathie für die Betreiber. Das macht sich mit einem relativ festen Beamtenjob relativ einfach alles", kritisiert Pauling. Stadtsprecherin Schmutzler teilt dazu lediglich mit: "Nach Zustimmung des Stadtrats wurden Feinkonzepte im Gewerbe- und Ordnungsamt eingereicht und dann aufgrund gesetzlicher Vorschriften angepasst."

Auch Martin Tomiak (54), Besitzer der Rockdiskothek Amadeus, hat sich für die Open-Air-Partys beworben. Als er die Zusage für das Deck am Hauptbahnhof bekam, lehnte er ab. "Das war vollkommen unbrauchbar." Bei einer Durchfahrtshöhe von 2,20 Meter hätte er weder Toiletten noch Bars nach oben transportieren können. Und durch die gekürzten Öffnungszeiten hätte er am Ende noch Verlust gemacht. "Wenn es eine Hilfe sein soll, muss es auch eine Hilfe sein und keine Steine, die dir in den Weg gelegt werden."

Von den fünf ausgewählten Betreibern sind gerade noch zwei übrig geblieben. Einer davon ist Feimer vom Forty Nine. Er hat die Exerzierhalle im Klenzepark bekommen. Durch die geöffneten Türen der roten Backsteinhalle dröhnt am Freitagabend laut Musik, zwei DJs stehen auf einer Bühne und legen ihre Platten auf. Die Halle ist bis auf zwei Frauen leer. Auf den Wiesen des Klenzeparks tummeln sich dagegen die Menschen. "Wenn wir schönes Wetter haben, ziehen wir den Kürzeren. Die Leute holen sich bei uns am Stand etwas zu essen und zu trinken und gehen dann wieder", meint Feimer. Bis es kühler wird, muss er seine Pforten wieder schließen. "Es kristallisiert sich langsam heraus, dass es eher zu noch mehr Schulden führt."

Wie geht es nun weiter mit den Ingolstädter Clubs und Bars? Droht der endgültige Verfall dieser Szene? "Die hat schon längst Schaden genommen. Das war auch schon vor der Corona-Krise da", meint Feimer. "Ich denke schon, dass einige pleitegehen werden", sagt Tomiak vom Amadeus. Dippert von der Lago Bar sagt: "Wie es weitergeht, weiß keiner. Jeder schätzt irgendetwas. Ich habe früher auch immer geschätzt, ich schätze gar nichts mehr. Ich lasse mich überraschen."

DK

Julian Meier