Abensberg
"In meinem Revier"

Ministerpräsident Markus Söder sieht Gillamoos als Heimspiel

03.09.2018 | Stand 02.12.2020, 15:45 Uhr
Sieht den Gillamoos als Heimspiel: Ministerpräsident Markus Söder legte schon nach kurzer Zeit die Krawatte ab, animiert auch vom zuvor gespielten Song "Freiheit" von Marius Müller-Westernhagen. Später sagt er: "Freiheit und Sicherheit sind ein Geschwisterpaar." −Foto: Auer

Abensberg (DK) Ministerpräsident Markus Söder setzt sechs Wochen vor der Landtagswahl auf seine bekannten Argumente: In Bayern ist die Welt noch in Ordnung. Dass die CSU in Umfragen auf 36 Prozent abgesackt ist, ist für ihn ein Tabu-Thema.

Obacht, dieses Geschenk ist vergiftet! Markus Söder (CSU), Bayerns Ministerpräsident, bahnt sich mit einem gewaltigen Medien- und Politikertross einen Weg durch die Budenstraßen des Gillamoos in Abensberg. Er will zum größten Zelt dieses Traditionsvolksfestes, zum Hofbräuzelt: Doch da wanzt sich von der Seite ein Anzugträger heran. In den Händen trägt er einen liebevoll gebastelten Styropor-Schriftzug. In goldenen Letter steht da: "36 Prozent".

Das Geschenk ist eine Provokation, der Anzugmann heißt Tobias Schlegl und ist Reporter des ARD-Magazins "Extra 3". 36 Prozent sind die aktuelle Prognose für das Ergebnis der CSU für die Landtagswahl in sechs Wochen. Diese Zahl, wenn sie denn wahr würde, bedeutete ein nie gesehenes Debakel für die Christsozialen und ihren amtierenden Ministerpräsidenten. Söder sagt nicht viel dazu, nicht jetzt - und überraschenderweise auch nicht später bei seiner Rede. Der Tross zieht weiter, zieht ins voll besetzte Hofbräu-Zelt ein zu den Klängen des Defiliermarsches und tatsächlich des Frankenlieds ("Wohlauf, die Luft geht frisch und rein"). Von frischer Luft kann keine Rede sein, das Zelt ist schon vormittags zum zehn Uhr schwülheiß wie ein Treibhaus, von der Decke tropft das Kondenswasser. Und - unsichtbar - hängt wohl da oben auch das Damokles-Schwert der 36 Prozent, der drohende Verlust der absoluten Mehrheit.

Der Kelheimer Landrat Martin Neumeyer geht in seinem extralangen Grußwort ganz kurz darauf ein: "Wer glaubt schon Demoskopen?", fragt er. "Glauben wir an uns selbst! Vertrauen wir auf uns selbst!" Nach 20 Minuten Grußwort sagt Markus Söder grinsend: "Ich bin froh, dass ich auch noch dran komme zum Reden."

Neumeyer hatte zum Auftakt die Hymne "Freiheit" von Marius Müller Westernhagen vom Band abspielen lassen. Er wisse da auch einen guten Westernhagen-Song, sagte Söder: "Ich bin wieder hier in meinem Revier." Ein Heimspiel also für den Franken auf diesem legendären niederbayerischen Volksfest - und an starken Begleitern fehlt es ihm auch nicht. Unter anderem ist Kultusminister Bernd Sibler dabei, der Europaabgeordnete Manfred Weber ebenso, der möglicherweise bald EU-Kommissionspräsidend werden könnte. Söders Gattin Karin ist gleichfalls mit nach Abensberg gekommen. Jetzt ist die heißeste Phase des Landtagswahlkampfs, da darf sich niemand in Zurückhaltung üben. Doch einer tut es: Markus Söder. Wer geglaubt hätte, dass der Ministerpräsident sechs Wochen vor der Wahl neue, noch unbekannte Signale an Freund und Feind aussenden würde, der wurde überrascht. Zu hören waren allseits bekannte Töne, seit Monaten in zahllosen Interviews verbreitet.

Schlanke 50 Minuten nimmt er sich Zeit für seine Rede. Söder feiert den Freistaat Bayern als das Erfolgsland schlechthin. "Bayern ist das stärkste Land, Bayern funktioniert." Und natürlich: "Deutschland ist so erfolgreich, weil's uns Bayern gibt." Im Gegenzug erwarteten die Bayern nur "die Freiheit, unser Land zu führen, wie wir uns das vorstellen und unser Leben zu führen, wie wir es wollen".

Dann gibt es Balsam für die Seele des Publikums. Immer sei in Deutschland nur die Rede von den Superreichen oder von den ganz Armen. "Aber keiner redet von Ihnen, von der Mitte der Gesellschaft. Die Helden unseres Landes sind Sie, die dafür sorgen, dass unser Land stark bleibt." Riesenapplaus gibt es, als Söder dazu auffordert, über all der Hilfe für Migranten "die eigenen Leute nicht zu vergessen". Deswegen gebe Bayern jetzt Gelder für die Pflege von Angehörigen und Finanzhilfen für die Familien. Und den Bauern würde Söder auch gerne helfen, wenn sie "mit Bürokratie gequält werden wie keine andere Berufsgruppe". Da braust Beifall auf, als er erklärt: "Wir wissen nicht, wer bei uns im Land lebt, aber wir wissen genau, welches Tier wann auf welcher Weide steht. Das ist doch absurd!" Und absurd sei es auch, dass sich die SPD - in Gestalt von Bundessozialminister Hubertus Heil - gegen Bayerns Familiengeld für Hartz-IV-Empfänger stelle. In diesem Zusammenhang fordert Söder denn auch, den Transfer von Kindergeld ins Ausland "an irgendwelche Kriminellen" zu beeenden. "Zahlen wir es an unsere eigenen Leute aus!"

Das gibt ziemlich den größten Beifall der ganzen Rede - aber dann bemüht sich Söder rasch, Bayern als weltoffenes, gastfreundliches Land zu präsentieren. Der Freistaat habe bei der Flüchtlingskrise ab 2015 "von seiner humanen Seite gezeigt". Aber: "Wir wollen eine Balance zwischen Humanität und Ordnung".

Den anderen Parteien traut Söder nichts zu. "Die anderen sind destruktiv oder anbiedernd. Das einzige, was die wollen, sind Dienstwägen und Ministerämter." Spannend wird die Frage, wie Söder sich nach den Vorfällen von Chemnitz zur AfD positioniert - eigentlich wäre das eine willkommene Steilvorlage. Aber Söder hält sich erstaunlich zurück: Immerhin so viel: "Meine feste Überzeugung ist: Der heimliche Führer der AfD ist Herr Höcke. Er beginnt diese Partei systematisch umzuentwickeln. Es gibt eine versteckte Agenda." Er fügt dann noch hinzu, diese "Marschiererei von rechten Gruppen" gebe im Ausland "ein Bild von Deutschland, das wir nicht haben wollen". Söders hoffnungsvoller Appell an die Wähler lautet jedenfalls: "Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah - die CSU."

Danach singt man Deutschlandlied und Bayernhymne, es gibt einen glitzernd-weiß-blauen Konfetti-Regen. Landrat Neumeyer überreicht schließlich als Geschenk an Söder und CSU-Generalsekretär Markus Blume Hosenträger mit CSU-Aufschrift. Rutscht der auf 36 Prozent abgemagerten CSU etwa die Hose? So meint Neumeyer das natürlich nicht. So etwas würde nur Tobias Schlegel, dem "Extra 3"-Frechdachs, einfallen.