Ingolstadt
"In Ingolstadt ist ein Aufbruch zu spüren"

Fraktionschefin Petra Kleine über den ersten Umweltreferenten der Grünen und das kreativere Klima im Rathaus

07.08.2014 | Stand 02.12.2020, 22:22 Uhr

»Der Stadtrat ist inkonsequent und wirkt dadurch machtlos«: Petra Kleine - hier im Park hinter dem Museum für Konkrete Kunst - fordert eine Rückbesinnung auf das städtische Einzelhandelskonzept - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) Lange haben die Grünen mit sich gerungen, ob sie nach der erfolgreichen Kommunalwahl in eine Koalition mit der CSU gehen sollen. Das wäre eine absolute Premiere für Ingolstadt gewesen. Aber auch einen Stadtreferenten der Grünen hat es vor der – unerwartet knappen – Wahl des Tierarztes Rupert Ebner noch nie gegeben. Auf Fraktionschefin Petra Kleine kommt eine ungewohnte Rolle zu.

Frau Kleine, die Ingolstädter Grünen sind neuerdings ein bisschen Opposition im Rathaus, ein bisschen Stadtregierung. Kann das gutgehen?

Petra Kleine: Ja, klar. Wir waren immer eine Stadtratsfraktion der Ideen und der konstruktiven Kritik. Jetzt hat sich die Umgebung etwas geändert. Das heißt, wir haben vielleicht auch bessere Möglichkeiten, unsere Ideen einzubringen. Wir werden natürlich weiterhin konstruktiv bleiben und die Entwicklung der Stadt kritisch kommentieren. Das haben wir in den letzten Wochen schon durchaus gezeigt.

CSU-Fraktionschef Genosko hat nach der Wahl gesagt: Mit dem eigenen Umweltreferat hat man die Grünen künftig besser unter Kontrolle. Sind Sie ihm auf dem Leim gegangen?

Kleine: Das ist altes Denken. Wir merken, dass in Ingolstadt ein leichter Aufbruch zu spüren ist. Wir haben eine ganz engagierte Bürgerschaft, wir haben Leute, die sich aus ihrer Fachkompetenz engagiert einbringen, zum Beispiel dieses Projekt Donau-Loop mit der Ausstellung hier im Museum. Ich finde auch, dass die Fraktionen im Stadtrat etwas offener, freier und vielfältiger sprechen, auch die CSU. Ich höre kaum Genosko, ich höre ganz viele Stadtratskollegen. Das Ganze ist insgesamt lebendiger, die Diskussionen sind offener und kreativer geworden. Alle – inklusive dem Oberbürgermeister – sind gerade dabei, ihre Rollen neu zu finden und Grenzen aufzubrechen.

Was erhoffen Sie sich konkret vom Wechsel im Umweltreferat von Wolfgang Scheuer zu Rupert Ebner?

Kleine: Wir haben jetzt einen eigenen grünen Referenten für Umwelt und Gesundheit. Das heißt, es sind mehr Ressourcen drin, menschlich, finanziell, von den Ideen her, als wenn zwei große Themen wie Soziales und Umwelt zusammengefasst sind. Das ist auf jeden Fall eine Stärkung des Bereiches Umwelt und Gesundheit. Und weil es ein grüner Referent ist, liegt auch ein ganz starkes Gewicht auf der Idee der Green City in all ihrer bunten Vielfalt, sodass man nach sechs Jahren tatsächlich sagen kann: Wir haben die ökologische Säule der Nachhaltigkeit in Ingolstadt gestärkt.

Was heißt für Sie Green City?

Kleine: Ein wichtiges Moment ist, dass man die Natur wieder näher heranholt an die Wohnungen, also sichtbares Grün direkt vor die Haustür. Dass Kinder und die, die sich draußen im Wohnumfeld aufhalten wollen, einen leichteren Zugang zum unmittelbaren Naturerlebnis haben. Dazu gehört auch der ganze technische Bereich, vom Ressourcen- und Gebäudemanagement bis zum Upcycling, und vor allem die Bürgerbeteiligung. Hier ist der Donau-Loop ein ganz wunderbares Projekt.

Sie setzen sich seit Langem für das Jugendkulturzentrum am Hauptbahnhof ein. Aber seit einigen Wochen redet jeder nur noch von den gestiegenen Kosten der Halle 9, nicht mehr vom Nutzen dieses Umbaus. Was wird jetzt aus dem zweiten Teil, der Halle 8?

Kleine: Es wird über das Geld geredet, das Thema Kosten ist seit zwei Jahren detailliert auf der Agenda. Es wird versucht, die Verantwortung so zu manövrieren, dass letztlich der Architekt schuld ist. Das ist natürlich kein souveränes Verhalten, es dient der Sache nicht und ist auch inhaltlich nicht darstellbar. Wir müssen erst mal darüber sprechen, wie es zu diesem Missmanagement, zu dieser Fehlentwicklung kommen konnte. Da gibt es mehrere Beteiligte, sowohl die IFG als auch das Hochbauamt als auch die Planentwickler. Dass jetzt ausgerechnet die Halle 8 mit den vielen Bandräumen hinten runtergefallen ist, ist fast schon bezeichnend. Man hat mehr als 20 Musikbands verpflichtet, Vormietverträge zu unterzeichnen und selber keinerlei Zusage eingehalten, obwohl man schon wusste, dass die Kosten aus dem genehmigten Rahmen laufen. Seit dem Frühjahr 2013 ist es nur noch ein Verantwortungsmissmanagement, und es geht überhaupt nicht mehr um die Sache. Das halte ich für verfehlt. Das ist eine ganz falsche Haltung, einmal zum Problem der Kostenexplosion und zum anderen zu dem, was die Kulturszene und die Bands benötigt hätten.

Ist die Halle 8 gestorben?

Kleine: Die wird mit dem Argument der Kostenexplosion verschoben, weil sie eigentlich ein ungeliebtes Projekt ist. Der schöne Effekt von Halle 8 und 9 ist ja gerade, dass die freie Musikszene auf die organisierte Jugendkultur trifft. Daraus erhofft man sich natürlich einiges. Aufgrund einer falschen Haltung liegt ein ganz wichtiges Projekt brach.

Beim kürzlich beschlossenen Museumsneubau liegt die Kostenberechnung mit über 25 Millionen Euro etwa zehnmal so hoch wie bei der Halle 9. Da geht es um richtig viel Geld, wenn die Planung aus dem Ruder laufen sollte. Was haben Sie für ein Gefühl?

Kleine: Insgesamt ist das ein wunderbares Projekt. Die derzeitige Ausstellung zeigt, wie offen die neue Museumsleitung für alle Formen von Gestaltung und Bürgerbeteiligung ist. Im Bezug auf die Kosten hat man sehr frühzeitig ein externes Controlling hereingeholt. Ich denke, das wird sich bewähren. Das ist geradezu das Gegenteil von dem, was man bei der Halle 9 gemacht hat. Da haben immer wieder andere Projekte entwickelt und Aufgaben übernommen, dann die Aufgaben wieder abgegeben. Das war von Anfang an ein sehr unklares Verfahren.

Wie sich zuletzt im Stadtrat gezeigt hat – Stichwort Dehner, Praktiker, Schuh Mücke –, nimmt der Einzelhandel auf der grünen Wiese trotz aller politischen Beteuerungen weiter zu. Der Stadtrat wirkt machtlos.

Kleine: Er ist inkonsequent und wirkt dadurch machtlos. Wir haben eigentlich ein mehrheitlich abgestimmtes Einzelhandelsentwicklungskonzept. Wenn man das immer zugrunde gelegt hätte, hätte man eine Entwicklung wie bei Dehner im Gebiet Weiherfeld gar nicht zulassen können. Die Frage ist jetzt: Wie machtlos sind wir im Gewerbegebiet Manchinger Straße? Da haben wir aktuell noch mal einen Prüfungsantrag an den OB geschickt. Wir wollen eine Expertise darüber, was wir brauchen, um zu verhindern, dass die vielen ausgewiesenen Sondergebiete Stück für Stück mit innenstadtrelevanten Sortimenten ersetzt werden – so wie es jetzt beim Praktiker gelaufen ist. Wir müssen da unseren Gestaltungswillen zeigen, dass wir die Sortimente am Stadtrand begrenzen wollen. Das muss ausdrücklich formulierter politischer Wille sein.

Wie wichtig ist der Einzelhandel noch für die Innenstadt?

Kleine: Der Handel ist in unserer Innenstadt nicht mehr das maßgebliche Element für die Belebung. Der Handel braucht Frequenz, dafür müssen wir sorgen. Und die Bürgerinnen und Bürger brauchen eine vielfältige Handelslandschaft, schöne, inhabergeführte Geschäfte. Aber zur Belebung ist der Handel nicht mehr so wichtig, wie er noch vor zehn, zwölf Jahren war, als es das Bürgerbegehren zum FOC gab.

Zurück zu der von Ihnen propagierten Green City. In einer aktuellen Projektliste des Baureferates sind allein mehr als 50 Millionen Euro für Straßenbau im Umfeld der Audi AG vorgesehen. Wie stehen Sie dazu?

Kleine: Wir schlagen seit vielen Jahren zwei große Projekte vor, den Regionalverbund für den öffentlichen Nahverkehr und den Bahnhalt bei Audi. Das sind zwei grüne Ankerpunkte für ein anderes Verkehrskonzept. Die scheinen sich jetzt umsetzen zu lassen. Das sind eigentlich die richtigen Signale in die Zukunft. Sie kommen aber wahrscheinlich zehn Jahre zu spät, um diese 50 Millionen noch abzufangen. Der Audi-Südring lässt sich nicht in zwei Jahren bauen, das ist ein mittelfristiges Projekt. Wenn ich eh schon mittelfristig 50 Millionen für den Straßenbau in die Hand nehme, ist es doch vernünftiger, mittelfristig eine Alternative zu planen, die nicht mehr die Straßen braucht, sondern die Schiene nutzt. Man müsste dem eine Machbarkeitsstudie für die Stadtbahn gegenüberstellen.

Das Gespräch führte Reimund Herbst.