Ingolstadt
In den Topf, nicht in die Tonne

Die Ingolstädter Tafel unterstützt 1500 Menschen mit elf Tonnen Lebensmitteln in der Woche

28.11.2014 | Stand 02.12.2020, 21:55 Uhr

Fleißig packen die ehrenamtlichen Helfer der Tafel Tüten und Taschen. Um die 400 Kunden holen jeden Mittwoch Lebensmittel für insgesamt 1500 Bedürftige ab. - Foto: Rössle

Ingolstadt (DK) „Am liebsten esse ich Joghurt, aber auch alles andere, was ich bekomme. Die Rente ist so klein.“ Die Frau ist 76, trägt ihre schönste Jacke und einen beigen Hut, wenn sie mittwochs zur Tafel geht. Sie ist eine von 1500 Bedürftigen, die dort mit Essen unterstützt werden.

Elf Tonnen Lebensmittel geben die ehrenamtlichen Helfer wöchentlich an ihre Tafelkunden aus. Dahinter steckt eine ganze Menge Arbeit, denn das Essen kann nicht einfach verteilt werden, so wie es in der Tafel ankommt. „Wir haben jeden Joghurt, jede Milch, jeden Klotz Butter einmal in der Hand, schauen das Mindesthaltbarkeitsdatum an und sortieren die Sachen in Kisten, die in den Kühlraum kommen“, erzählt Schatzmeisterin Petra Willner. Der Müllberg wächst schon wieder bis unter die Decke. „Und das sind nur die Kartons von heute.“

Im Lager sind Helfer damit beschäftigt, Salat aus Plastiktüten zu nehmen, welke Blätter abzureißen und die guten Teile in Kisten zu sammeln. Mit Paprikas ist es dasselbe: „Die grüne ist vielleicht weich, aber die rote und die gelbe sind noch gut“, sagt Petra Willner. „Wäre doch schade darum.“

Die Lebensmittel kommen alle aus Supermärkten, denen die Tafelhelfer wöchentlich mit Kühlwagen einen Besuch abstatten. „Wir fahren die Woche über jeden Supermarkt in 30 Kilometern Umkreis an“, erzählt Petra Willner. Anders würde es nicht gehen, denn Ingolstadt habe keine Lebensmittel produzierenden Betriebe, von denen etwas abfallen könnte. „Wir lassen viel Reifenprofil auf der Straße, doch die Ware ist reichhaltig, und wir können unsere Kunden gut versorgen“, fügt die Logistikbeauftragte für den Warenbetrieb, Angelika Wedler-Heinrich, hinzu. Natürlich bietet die Tafel keine Vollversorgung, sondern unterstützt Menschen, die wegen Arbeitslosigkeit oder niedriger Rente auf sie angewiesen sind, mit den Lebensmitteln, die sie gerade zur Verfügung hat.

Mittwochmorgen, 9.30 Uhr: Um die 200 Menschen drängen sich vor dem Depot der Tafel in der Proviantstraße. Es wird geredet und gelacht. Viele kennen sich schon lange, treffen sich wöchentlich hier. Mittwoch ist ein guter Tag für sie, der Tafeltag. In der Hand halten sie leere Tüten oder Ziehwägelchen. Draußen ist es kalt, doch das schreckt hier keinen ab. Wer Glück hat, zieht eine niedrige Nummer, wer Pech hat, die 200. Das Los bestimmt, wer zuerst in die Ausgabe darf.

Wer dran ist, gibt zuerst seinen Berechtigungsausweis ab. Eine laminierte Karte, auf der steht, wie viele Erwachsene und Kinder zur Familie gehören. Auf der Karte einer jungen Frau klebt ein roter Marienkäfer. „Den bekommen Kundinnen mit ganz kleinen Kindern, dann wissen wir, hier können wir Windeln mitgeben – oder wir stecken halt mal ein Überraschungsei mit in die Tüte“, erklärt Petra Willner. Der persönliche Bezug zu den Tafelkunden ist ihr ganz wichtig. „Wir kennen jeden Einzelnen, wissen, ob er Muslim ist oder Diabetes hat, was er besonders gerne isst.“

Jede Karte wird gelocht, damit niemand doppelt kommen kann, dann darf die Kundin mit dem kleinen Kind an der Hand und dem Käfer auf der Karte zur Essensausgabe hinübergehen. Um die zwölf Helferinnen packen hier emsig Lebensmittel in die Taschen, die die Kunden ihnen reichen. „Dürfen es Tomaten sein“ „Mögen Sie Wurst“ „Vielleicht ein Stück Gebäck“ Jede Helferin bedient einen Kunden von Anfang bis Ende, so wird nichts vergessen oder doppelt eingepackt.

In die erste Tüte kommt Gemüse. „Die schweren Sachen wie Kartoffeln sind in den unteren Kisten, damit sie auch nach unten gepackt werden und die leichteren nicht zerdrücken“, erklärt Angelika Wedler-Heinrich, während sie Salat in den Beutel der jungen Frau legt und dann mit fragendem Blick eine Aubergine hochhebt. Die Frau nickt. „Manchmal geben wir auch eine Rezeptempfehlung dazu, gerade haben wir spezielle Esskürbisse bekommen, da mussten wir erst mal beim Lieferanten anrufen, wie man die zubereitet.“

Senf, Cornflakes und Limonade sind schon in der zweiten Tasche. Und natürlich Brot – das gibt es für jeden aus einem großen Korb. „Brauchen Sie Mehl, wollen Sie einen Kuchen backen“ Die Frau nickt wieder. „Ihr könnt heute jedem Mehl, Reis und Nudeln mitgeben“, ruft Petra Willner über die Tische hinweg ihren Kolleginnen zu. Das gibt das Lager der Tafel, ihr „Allerheiligstes“, wie Petra Willner es nennt, gerade her.

Und noch etwas haben sie heute für Interessierte: Ein paar Karten für das Georgische Kammerorchester sind noch da. Roswitha Liebenau betreut die kulturellen Angebote für Tafelkunden – in enger Zusammenarbeit mit dem Kulturamt. Sie weiß genau, wem sie mit einem Konzertbesuch oder einer Sportveranstaltung eine Freude machen kann. Vera Rehberg zum Beispiel. „Mich interessiert alles und ich genieße jede Veranstaltung“, sagt sie und nimmt freudig eine Karte entgegen.

„Haben Sie auch Katzenfutter“, fragt eine alte Frau mit Rollköfferchen. Zehn Dosen stehen auf einer Palette. „Das ist alles, was wir heute haben.“ Die Frau bekommt eine davon, denn auch andere Kunden werden an diesem Tag noch Katzenfutter brauchen. Am Nachmittag kommen schließlich noch mehr, insgesamt sind es etwa 400 Abholer in der Tafel.

Petra Willner erlebt auch immer wieder traurige Geschichten in ihrem Tafelalltag: „Manchmal muss man auch hartgesotten sein, zum Beispiel wenn eine alte Frau kommt und sagt, sie brauche jetzt nur noch Essen für eine Person, ihr Mann sei leider verstorben. Dann schauen wir, dass sie wenigstens abends etwas Gutes zu essen hat.“