Während
Immer nah dran sein

10.07.2017 | Stand 02.12.2020, 17:48 Uhr

"Vielen Dank für die freundliche Begrüßung in diesem schönen Ort": Köschings Bürgermeisterin Andrea Ernhofer freut sich über Schulz' Eintrag ins Goldene Buch. Bei der Feuerwehr lässt sich der SPD-Kanzlerkandidat immer wieder ablichten. - Fotos: Richter

Während nach den G 20-Krawallen Katerstimmung bei der SPD herrscht, geht ihr Kanzlerkandidat Martin Schulz auf seiner Wahlkampftour in die Offensive. Die Belange der Bürger seien ihm ein wichtiges Anliegen, sagt er in Kösching und lobt die Ehrenamtlichen.

Ingolstadt/Kösching (DK) Es ist nicht einfach für einen wie ihn, der aus Würselen bei Aachen stammt und nun in Bayern Boden gutmachen soll. Noch dazu nach einem Wochenende wie dem vergangenen, wo sein Parteigenosse Olaf Scholz als Bürgermeister von Hamburg nach den Krawallen beim G 20-Gipfel schwer unter Druck steht. Aber Martin Schulz geht es gelassen an, als er sich Montagfrüh aufmacht zu seiner Sommerreise, um als SPD-Kanzlerkandidat auf Stimmenfang zu gehen. Nach knapp 600 Kilometern kommt er bei Audi in Ingolstadt an, erste Station seiner Tour, die ihn am selben Tag noch nach Kösching und München führen wird. Reporter warten. "Was sagen Sie zum Hamburger Bürgermeister Schulz und zu den Rücktrittsforderungen", fragt einer. "Scholz!", verbessert Schulz. Bloß keine Verwechslungen, um Gottes willen.

Dann geht Schulz in die Offensive. Empört sich darüber, dass einige Unions-Politiker versuchen, die Sozialdemokraten in die Ecke linker Krawallos zu rücken. Gleichwohl gibt er sich gelassen: "Dass die dritte Garnitur bei der CDU und CSU jetzt versucht, da so ein Scharmützelchen zu entwickeln, muss man ihnen gönnen, dann kommen sie auch mal ins Fernsehen." Die Gewalttäter von Hamburg seien nicht "links", sondern "Kriminelle", in deren Nähe er seine Partei nicht rücken lasse. "Wir müssen dafür sorgen, dass diese marodierenden Banden in Europa nicht frei rumziehen können." Das habe Züge von Terrorismus. Alle europäischen Sicherheitsorgane brauchten ein Register, um "diese Typen" zu identifizieren, "damit sich das nicht wiederholen kann, was da abgelaufen ist".

 

Aber jetzt ist Martin Schulz erst einmal hier bei Audi in Ingolstadt. Vorstandsmitglied Hubert Waltl begrüßt ihn, daneben Gesamtbetriebsratsvorsitzender Peter Mosch, Werkleiter Albert Mayer und Jörg Schlagbauer vom Betriebsrat. Er punktet, als er sich klar zur Autoindustrie bekennt, als tragende Säule der deutschen Wirtschaft. Was die Diesel-Affäre angeht, wünsche er sich absolute Transparenz, hatte er zuvor bereits zu den wartenden Journalisten gesagt. Er sei auch deshalb hier bei Audi, um zu sagen: "Liebe Leute, ihr müsst, wenn Fehler gemacht wurden, auch zu den Fehlern stehen." Auf der anderen Seite werde der Selbstzünder "noch eine gewisse Zeit gebraucht werden", glaubt Martin Schulz.

Später, als er hinter verschlossener Tür mit Vertrauensleuten und Betriebsratsmitgliedern plaudert, wiederholt er seine Worte. Und ergänzt: Bildung, Forschung, Innovation und Qualifikation voranzutreiben, das seien seine Ziele, erklärt er gestern mehrfach. Die Umkehr von der Rente mit 67 sei nur mit ihm zu erreichen, zu Planungen über die Aufweichung der Arbeitszeitbeschränkung erklärt er: "Dieser Käse kommt mit mir nicht!"

Im Audi-Werk folgt Martin Schulz erst brav dem strengen Protokoll. Doch dann zieht es ihn immer wieder nach rechts und links, ein Wort mit Beschäftigten hier, eines dort. Es ist die Karte, auf die er in diesem Wahlkampf setzt: Ich bin einer von euch, ich verstehe die Sorgen und Nöte der Bürger, das Volk trägt dieses Land, nicht die "Großkopferten" da oben, will er sinngemäß sagen. Eine Werkstudentin sieht sich unvermutet im Rampenlicht, als Schulz auf sie zugeht und mit ihr spricht - rasch wischt sie sich den Schweiß von der Stirn, bevor die Kameras sich auf sie richten.

Schauplatzwechsel, wir sind am Köschinger Marktplatz. Hier, in dieser SPD-Hochburg, warten die Leute gespannt auf "ihren" Martin Schulz. Ob er gegen "die Merkel" noch eine Chance hat? "Der Wahlkampf wird erst auf den letzten Metern entschieden", findet Bayerns SPD-Generalsekretär Uli Grötsch. Großer Applaus, als der Kandidat schließlich auftaucht. "Ingolstadt, München, Kösching" - Bürgermeisterin Andrea Ernhofer wirkt sichtlich stolz, dass Schulz die Marktgemeinde besucht. Oder ist vielleicht auch ein wenig Aberglaube dabei? "Es ist noch kein SPD-Mann Kanzler geworden, der nicht zuvor in Kösching war", sagt sie. Im Goldenen Buch findet Schulz den Eintrag eines Politikers, auf dessen Spuren er nun wandelt: Gerd Schröder. Schulz trägt sich hinter dem Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer ein, obwohl: "Da kann ich natürlich nicht mithalten", kokettiert er.


Dann legt er los: Er spricht von "Würde und Respekt" für Menschen, die in Feuerwehren, Flüchtlingshilfen oder Sportvereinen tätig sind. "Das sind diejenigen, die den Laden in unserem Land am Laufen halten." Nach seiner Rede signiert er Parteibücher, übergibt einen Spendenziegel an Pfarrer Christoph Schürmann und Kirchenvorstandsmitglied Anja Schilling für den Bau eines neuen Gemeindezentrums in der Kirchengemeinde St. Paulus und spricht mit Alexander Exner vom Gehörlosenverein Ingolstadt über Integration. Mit der Hand formt er das Zeichen für "Ich liebe dich" in der Gebärdensprache. "Woher ich das weiß, verrate ich nicht", lacht er.

Weiter geht's zur Feuerwehr, wo Kommandant Jürgen Meier, Gruppenführer Stefan Armbruster und viele Freiwillige demonstrieren, wie sie einen "Verletzten" aus einem Unfallauto befreien. Schulz zeigt sich mit Feuerwehrangelegenheiten vertraut, "das kenne ich noch aus meiner Bürgermeisterzeit". Am Ende bekommt er seine bayerische Brotzeit, auf die er sich schon gefreut hat: Leberkäse mit Kartoffelsalat. "Super lecker", bedankt er sich anschließend bei den Frauen an der Essensausgabe. Er weiß eben, was sich gehört.