Regensburg
Im Township grassiert das Virus

Regensburger Verein unterstützt sein Hilfsprojekt in Namibias Hauptstadt auch in Zeiten der Pandemie

29.05.2020 | Stand 23.09.2023, 12:10 Uhr
Andrea Rössler
Barbara Bitschnau
Patricia Gscheidlinger
Ideale Bedingungen für die Verbreitung des Coronavirus herrschen im Township Katutura in der namibischen Hauptstadt Windhuk. Hier leben Zehntausende Menschen auf engstem Raum zusammen, die hygienischen Verhältnisse sind verheerend. −Foto: Rössler

Regensburg - Der Regensburger Verein Friends 4 Friends unterstützt im Township Katutura auch in der Coronakrise die Bedürftigen. Vorsitzende und Projektmanagerin ist die Regensburgerin Andrea Rössler (52). Sie und die Vize-Vorsitzende Barbara Bitschnau (34) sowie die Schriftführerin Patricia Gscheidlinger (35) haben das Elendsviertel in Namibias Hauptstadt Windhuk viele Male besucht.

 

Andrea Rössler hält daheim Vorträge über die Situation dort. Im folgenden Bericht schildern die drei ehrenamtlichen Helferinnen anhand persönlicher Eindrücke, welche fatalen Folgen das Coronavirus auf das Leben auf dem afrikanischen Kontinent hat.

 

"Die Pandemie hat in Afrika völlig andere Auswirkungen als Deutschland. Hier in Regensburg sitzen wir nun im Homeoffice, gehen nur noch raus, wenn es sein muss. Viele von uns haben finanzielle Einbußen. Wir sorgen uns, dass wir nicht genügend Intensivbetten haben. Wir streiten im Supermarkt um die letzte Rolle Toilettenpapier. Es werden Atemmasken zu irrwitzigen Preisen verkauft. Wir kaufen aber auch gerne für die 70-jährige Nachbarin mit ein. Wir solidarisieren uns mit den Schwächeren unserer Gesellschaft und zeigen das gerne nach außen. Das ist gut so.

Aber wir sind keine Insel - es gibt auch sehr viele Schwächere außerhalb unserer eigenen Gesellschaft, zum Beispiel in Namibia im Township Katutura. Wie soll dort Social Distancing funktionieren, wenn in einer Hütte - in der Größe vergleichbar mit einer deutschen Garage - acht Personen leben? Vom Säugling bis zum Greis versteht sich. Die Auswirkungen der auch in der früheren deutschen Kolonie verordneten Ausgangssperren sind fatal. Ausgangssperre in Afrika bedeutet, dass die Menschen, die oft sowieso schon kein geregeltes Einkommen haben, nun gar nichts mehr verdienen. Die wenigsten Menschen können ihren Arbeitsplatz nach Hause verlegen. Sie arbeiten als Tagelöhner, Autowäscher oder als Verkäufer auf dem Markt. Können diese Tätigkeiten nicht mehr ausgeübt werden, gibt es kein Geld. Wir sprechen hier von Menschen ohne Ersparnissen, ohne Bankkonten. Ist Geld da, wird eingekauft, ist keines da, wird gehungert. Wenn die finanziellen Mittel ohnehin ausgeschöpft sind, kann nicht vorausschauend eingekauft werden, wie wir es hierzulande während der Krise tun. Die Bevorratung von Lebensmitteln wird aber auch durch fehlende Stromanschlüsse in den Haushalten erschwert und ist somit nur sehr eingeschränkt möglich. Ausgangssperre in Namibia bedeutet, dass viele lokale Märkte geschlossen haben. Unsere Medien berichten oft, dass sich die durch das Coronavirus verursachten Todesfälle in Afrika in Grenzen halten würden. Die Begründung lautet: Die Bevölkerung ist jung und daraus wird geschlossen, dass die Mehrheit nicht zur deklarierten Risikogruppe zählt. Das ist viel zu kurz gedacht. Auch die jüngere Generation hat Vorerkrankungen. Im Township Katutura ist die HIV-Rate hoch, dazu kommen TBC, Hepatitis und Malaria.

 

Übersehen wird das dort vorherrschende Prinzip der Großfamilien, es leben viele Verwandte unter einem Dach. Distanz zu wahren ist unter solchen Umständen nicht möglich. Seniorenheime sind in Namibia unbekannt. Dadurch ist die Ansteckungsgefahr für ältere Personen viel höher als bei uns. Zumal es in vielen Haushalten an den einfachsten Dingen wie Seife und Wasser, Teller und Löffel für jede Person im Haushalt fehlt. Die Wellblechhütten in Katutura verfügen in der Mehrzahl weder über Strom noch über fließendes Wasser. Selbst wenn es einen Wasserhahn in der Nähe gibt, bedeutet das noch lange nicht, dass dieser funktionstüchtig ist. Wenn Wasser verfügbar ist, muss man genügend Geld haben, um es zu bezahlen. Desinfektionsmittel waren schon früher teuer.

Ein privates Auto besitzt kaum jemand in Katutura. Die meisten Einwohner des Townships sind auf Sammeltaxis angewiesen. Für die Fahrer lohnt sich die Fahrt nur, wenn die Autos komplett besetzt sind. Das bedeutet in Afrika mindestens vier Passagiere plus Fahrer - eine fahrende Sardinenbüchse. Dazu kommt, dass die Fahrgäste ständig wechseln. Steigt ein Fahrgast aus, steigt bestimmt 100 Meter später wieder jemand zu. Ein Mindestabstand ist hier nicht möglich.

Die Gesundheitssysteme drohen unter der Last der Corona-Pandemie sogar in unseren Breitengraden zusammenzubrechen. Die Systeme in den meisten Ländern Afrikas sind auf eine derartige Krise gar nicht ausgelegt. Außerdem wachsen die Überlebenschancen in vielen Ländern des globalen Südens mit dem Kontostand. Auf der einen Seite gibt es irrwitzig teure Privatkliniken für diejenigen mit einem dicken Bankkonto, auf der anderen Seite ist selbst eine Versorgung im öffentlichen Krankenhaus für viele Menschen unerschwinglich, genauso wenig wie Krankenversicherungen.

Momentan sind wir in Europa mit unseren eigenen Problemen beschäftigt und denken nicht an die weitreichenden Konsequenzen, die eine solche Pandemie auf dem afrikanischen Kontinent mit sich bringt. Die dortige Krise wird den globalen Norden langfristig beschäftigen. Die Pandemie treibt die bereits verarmten Gesellschaften noch weiter in die Armut, weshalb sich der Migrationsdruck aus Afrika verstärkt. Menschen in prekären Verhältnissen in dieser Not zu unterstützen, ist unsere Pflicht - nicht nur aus menschlicher, sondern aus weltpolitischer Sicht. Viren kennen keine Grenzen. Das Virus ist erst dann wirklich besiegt, wenn es überall auf der Welt verschwunden ist."

DKDer Regensburger Verein Friends 4 Friends blickt auch in der Coronakrise über den eigenen Tellerrand. Denn Solidarität geht weit über die Grenzen unsere Gesellschafts und unseres Landes hinaus. Seit Jahren unterstützt der Verein im Township Katutura das "Home of Good Hope", in dem vor der Coronakrise jeden Tag mindestens 500 Kinder eine warme Mahlzeit bekommen haben. Die Suppenküche ist vorerst geschlossen. Aber die Leiterin Monica Imanga fährt trotzdem jeden Tag - unter Einhaltung der von der Regierung vorgegebenen Sicherheitsmaßnahmen - zum Projekt und händigt dort Hilfspakete an besonders bedürftige Familien aus. Inhalt: haltbare Nahrungsmittel, Obst, sauberes Wasser, Seife und Desinfektionsmittel. Monica Imanga weiß genau, welche Familien am dringendsten Unterstützung benötigen. Die ersten Pakete wurden bereits im April ausgegeben. Aber die Not ist nach wie vor sehr groß. Für weitere Pakete werden Spenden benötigt: Friends 4 Friends e.V., Holzschnitzerstraße 10, 93059 Regensburg. Internet: www.friends-4-friends.org Das Spendenkonto lautet:VR-Bank Donau-Mindel eGIban: DE14 7206 9043 0107 128029, BIC: GENODEF1GZ2DK

Andrea Rössler, Barbara Bitschnau, Patricia Gscheidlinger