Manching
Im Sinkflug

27.05.2011 | Stand 03.12.2020, 2:46 Uhr

 

Manching (hl) Früher war alles so einfach. Der Staat hat es gerichtet. Er brauchte beständig neue Panzer und Flugzeuge für eine große Armee, die im Bündnis einem anderen Bündnis gegenüberstand. Geld spielte kaum eine Rolle. Die Auftragsbücher der Rüstungsindustrie waren voll, Perspektiven für die Unternehmen und ihre Belegschaft vorhanden.

Vielleicht wäre Thomas Pretzl lieber in jenen märchenhaften, aber eben längst vergangenen Zeiten Betriebsratschef des Manchinger Flugzeugwerks gewesen, als es in den Gesprächen mit der Geschäftsleitung vorwiegend um Überstundenkontingente, Arbeitsbedingungen und Tarifrechtliches ging. Doch Pretzl hat eine andere Ära erwischt. Er muss ab dieser Woche mit der Konzernspitze von Cassidian über die Einführung von Kurzarbeit verhandeln. Vielleicht schon im Laufe des Sommers werden dann zumindest Teile der Wartungsmannschaften mehr Zeit für Familie und Hobby haben, als ihnen lieb ist. Viel Zeit – und weniger im Portemonnaie.Um diesen Einschnitt so lange wie möglich hinauszuzögern, glühen gegenwärtig bei Cassidian mehr denn je die Telefone, werden auf Management- und Betriebsratsebene alle politischen Kanäle und persönlichen Netzwerke strapaziert. Betriebsratschef Pretzl: "Wir kämpfen hier um jedes Flugzeug, das wir noch für die Wartung bekommen können."
 

Die Stimmung ist schon länger gedrückt bei vielen Beschäftigten der EADS-Tochter Cassidian, die ihr Werk am Manchinger Flugplatz für über 100 Millionen Euro zum militärischen Luftfahrtzentrum ausgebaut hat. Und dies nicht zuletzt auf Wunsch eines Großkunden, der sich allerdings derzeit eine weitere Schlankheitskur mit noch ungewissem Ausgang auferlegt hat: Die neuerliche Strukturreform der Streitkräfte lähmt den gesamten militärisch-industriellen Komplex.

Bis die Bundeswehrführung im Herbst endlich weiß, welches Rüstungsbudget künftig für welche Großprojekte verwendet werden kann, darf in Manching noch kräftig gegrübelt werden – über die künftige Auslastung der Wartungskapazitäten, über die Chancen für die letzte Tranche der Eurofighter-Fertigung für die Luftwaffe und über die Akzeptanz des Drohnenprojekts Talarion. An dem macht manch einer die Zukunftsfähigkeit der militärischen Luftfahrtindustrie in Deutschland und letztlich in Europa fest.

Wer zu all diesen Sorgen Stimmen in der einfachen Belegschaft einfangen will, der tut sich schwer. Nur hinter vorgehaltener Hand wird gegenüber Außenstehenden über die immer spärlichere Belegung der Manchinger Werfthallen geredet, in denen sich die neuen Wartungsregeln des bisherigen Hauptauftraggebers Bundeswehr widerspiegeln: Immer häufiger wird in den Geschwadern selbst an den Maschinen geschraubt, obwohl Kompetenzen und Gerätschaften in der Truppe – so jedenfalls die Auffassung von Cassidian – nicht mit denen im Werk Schritt halten.

Hart ins Kontor schlägt für die Manchinger Fluggerätemechaniker, dass die bereits stark ausgedünnte Transall-Flotte nicht mehr für beständigen Auftragszulauf sorgt. "Da fehlen große Pakete", sagt ein Insider. Auch die Tornados von Luftwaffe und Marine werden längst seltener in den Hallen gesichtet als vormals. Mit direkten Konsequenzen für die Mechaniker, die nun immer häufiger von ihren Meistern gefragt werden, ob sie nicht noch ein paar Überstunden abbauen wollen. Doch die früher gut gefüllten Zeitkonten sind vielfach bereits leer.

Durch den erhöhten Leerlauf sehen Fachleute mittelfristig bereits die Qualifizierung der technischen Spezialisten in Gefahr. Es sei sicher nicht gut, wenn ein Mechaniker hochkomplexe Aufgaben nur noch sehr selten erledigen könne und so seine Zertifizierung gefährde, heißt es.

Auf das Auslaufmodell Phantom II, das bei der Luftwaffe immer seltener geflogen wird, braucht die Instandhaltung des Werks beim Blick in spärlich gefüllte Auftragsbücher erst recht keine Hoffnungen zu setzen. Und der moderne Eurofighter ist ein Flugzeug, bei dem erstens die Wartungsintervalle länger gestreckt sind und das zweitens längst nicht die hohen Stückzahlen erreicht wie frühere Beschaffungsprogramme.

Ein Rettungsanker könnte allenfalls der künftige Militärtransporter A 400 M sein. Für dessen Wartung ist das Manchinger Werk nach wie vor im Rennen – allerdings im firmeninternen Wettstreit mit dem EADS-Standort Dresden. Der Konzern hätte es hier also quasi selbst in der Hand, seine zuletzt ebenfalls schwächelnden Elbe-Flugzeugwerke oder sein teuer aufgebautes militärisches Luftfahrtzentrum in Bayern zu pushen. In Manching hofft man auf eine positive Entscheidung bis Jahresende – und dann ist der neue Transporter, ohnehin mit jahrelanger Verspätung unterwegs, noch längst nicht bei der Truppe angekommen.

Die Durststrecke im Wartungsbereich könnte also länger andauern. Doch es gibt ja auch noch eine strukturelle Seite des Manchinger "Rüstungskrise". Cassidian hat sich bekanntlich angesichts der heraufziehenden mageren Jahre ein Transformationsprogramm verordnet, bei dem bis zu 15 Prozent der weltweit rund 6000 festen Stellen auf dem Prüfstand stehen – zunächst einmal vorwiegend im Verwaltungsbereich.

Niemand glaubt, dass die hier drohenden Einschnitte am mit Abstand größten Standort der EADS-Verteidigungssparte so einfach vorbei gehen werden. Offiziell zählt Cassidian in Manching etwa 4000 Stellen; der Betriebsrat spricht aber eingedenk aller angedockten Bereiche und auch von Leiharbeitern lieber von rund 5500 Beschäftigten. Durch die weitgehende Übernahme auch der administrativen Bereiche vom vormaligen Standort Ottobrunn hat das Manchinger Werk, vormals fest in der Hand der Blaukittel, inzwischen einen beträchtlichen Verwaltungsapparat.

Keine Frage, dass es hier Potenzial für Abspeckbemühungen gibt, auch wenn Spitzenmanager (CEO) Bernhard Gerwert, inzwischen hauptverantwortlich fürs gesamte operative Geschäft von Cassidian, grundsätzlich "keinen Grund" sieht, "pessimistisch in die Zukunft zu schauen", wie er jetzt auf DK-Anfrage verlauten ließ. Auch Gerwert hat allerdings festgestellt, dass "die Stimmung bei unseren Mitarbeitern natürlich nicht so gut" ist. Für die Sorgen im Betrieb habe man Verständnis, heißt es weiter.

Doch mit den Exportaussichten für den Eurofighter in Indien, der diesen Sommer endlich anstehenden Eurohawk-Ausrüstung in Manching und letztlich auch mit Talarion habe der Konzern noch bedeutende Eisen im Feuer, so Gerwert. Zudem gebe die Neuausrichtung des Unternehmens auf die "Schlüsselmärkte" in außereuropäischen Schwellenländern mit erhofftem starkem Wachstum dem Standort Manching "gute Zukunftsperspektiven".

Stichwort Talarion: Hier ist Cassidian erst vergleichsweise spät auf einen Zug aufgesprungen, der sich speziell in den USA bereits vor vielen Jahren in Bewegung gesetzt hatte. Während die Amerikaner inzwischen mit serienerprobten Kampfdrohnen wie dem "Predator" über Afghanistan längst den Luftkrieg der Zukunft proben, müht sich der EADS-Konzern in Europa eher schlecht als recht um grünes Licht für einen (mit erhofften staatlichen Zuschüssen verbundenen) offiziellen Entwicklungsauftrag.

Ob Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière, der die geplanten Großprojekte der Bundeswehr erst einmal von externen Gutachtern durchleuchten lassen will, im Herbst wirklich auch die Cassidian-Drohne ins Beschaffungsportfolio der deutschen Streitkräfte aufnimmt oder lieber doch für den kurzfristigen Bedarf in USA oder Israel einkauft, ist eine weitere bange Frage, die in Manching viel diskutiert wird. Fachleute aus dem Beschaffungssektor der Bundeswehr haben sich jedenfalls bereits kritisch geäußert, ob die Manchinger Drohne bei den deutschen Streitkräften jemals zum Zuge kommen wird. Das wäre aus Sicht von Cassidian geradezu fatal – und zwar nicht nur fürs eigene Unternehmen. Denn auch wenn sie sich kurzfristig keine Riesenserien und somit auch keine großen Wartungsaufträge im Gefolge versprechen, pochen die Manchinger doch immer wieder auf den Kompetenzgewinn, der mit dem Projekt einhergehen dürfte.

Wenn sich Talarion mit all seinen Vorzügen – die Drohne soll selbst im dicht beflogenen europäischen Luftraum problemlos zwischen den Verkehrskorridoren operieren können – nicht durchsetzen werde, dann sei das Tor zur weiteren unbemannten Luftfahrtentwicklung für die Europäer zu, urteilt auch Arbeitnehmervertreter Thomas Pretzl. Dann gehe das Know-how verloren und sei so schnell nicht wieder zu bekommen. Das sei ganz so, als lasse sich die deutsche Autoindustrie jetzt bei der Entwicklung der neuen Elektromobile abhängen – obwohl denen doch die Zukunft gehört.