Eichstätt
Im Schnelldurchgang zum Abitur

In der Grundschule zwei Klassen übersprungen: Sophia Bracher hat in Eichstätt mit 15 Jahren die Hochschulreife erlangt

03.07.2015 | Stand 02.12.2020, 21:06 Uhr

Foto: - kx

Eichstätt (DK) Sie ist 15 Jahre jung und hat seit einer Woche ihr Abiturzeugnis in der Tasche: Sophia Bracher aus der Nähe von Landshut hat ihre Reifeprüfung am Eichstätter Gabrieli-Gymnasium (GG) abgelegt. Für ihre gesamte Schullaufbahn hat sie genau ein Jahrzehnt gebraucht.

Barbara Bracher schiebt ein kleines Foto über den Tisch. Es zeigt ihre knapp sechsjährige Tochter Sophia am Tag der Einschulung – Dienstag, 13. September 2005. Eigentlich ein normales Foto einer Abc-Schützin. Neben dem blonden Mädchen die obligatorische Schultüte. Wenn da nicht der Pullover wäre: Abitur 2017. Den hatte die Mutter damals im Urlaub in der Lüneburger Heide entdeckt und gekauft. „Das war wohl nichts“, wirft Sophia lachend ein und schiebt den Ouzo, den der Kellner gerade reicht, zur Seite. Das Glas bleibt an diesem Abend voll. Sophia ist 15. Und hat soeben ihr Abiturzeugnis in die Hand bekommen.

Sophia Bracher ist eine von vier Schülern in Bayern, die heuer mit 15 Jahren an einem Gymnasium zum Abitur angetreten sind, wie aus dem Kultusministerium zu erfahren ist. „Dass eine Schülerin an einem bayerischen Gymnasium mit 15 Jahren Abitur machen kann, ist natürlich eine Ausnahme und ein Indiz für ein begabungsgerechtes Schulsystem“, erklärt eine Sprecherin von Schulminister Ludwig Spaenle.

Wie kam es zu dieser besonderen Schullaufbahn? Die beiden älteren Töchter (heute 18 und 20 Jahre alt) von Barbara und Johannes Bracher gehen ihren Weg. Kindergarten, Schule – der jüngere Sohn (12) übrigens auch. „Wir dachten, wir wüssten alles“, sagt Barbara Bracher. „Dann kam Sophia“, setzt sie trocken nach. Ein toughes Mädel, um keine Antwort verlegen. Und sie gibt auch der Mutter Kontra, wenn die im Gespräch etwas zu deutlich wird. 1,72 Meter groß, schlank und mit einem bestechenden Blick. „Es fiel nicht auf, dass sie weit jünger ist, sie ist eloquent und flink“, beschreibt GG-Schulleiter Adalhard Biederer seine ehemalige Schülerin. Eine Lehrerin wollte dem Schulsekretariat gar einmal den Schwarzen Peter zuschieben, weil sie das Geburtsdatum (1999) inmitten der anderen (1997 und 1996) als Fehler interpretierte.

Es war einige Tage vor Weihnachten 2005, Sophia ist noch keine drei Monate in der Schule. „Ihre Tochter ist hier fehl am Platz“, erklärt die Grundschullehrerin damals den Eltern. Zweite, wenn nicht dritte Klasse empfiehlt die Lehrerin in der kleinen Dorfschule in der Nähe von Landshut. Die Eltern suchen Rat in einer Erziehungsberatungsstelle. Bei einem Test wird Hochbegabung festgestellt. Sophia kommt Anfang 2006 in die zweite Klasse.

„Bis dahin war sie völlig unterfordert“, weiß die Mutter noch. Sie war immer anders, erinnert sich Barbara Bracher. Wenn Sophias Augen woanders sind und waren – die Ohren sind immer und überall mit dabei. Aber eine Streberin – nein, das wollte Sophia nie sein. „Wenn mich etwas interessiert, dann bin ich wahnsinnig aufnahmebereit“, sagt sie. Bleibt da, gerade in einem Dorf, der Neid nicht aus? „Für uns wirkte sich das Überspringen positiv aus“, sagt Barbara Bracher. „Von außen gab es eher negative Reaktionen.“ Oder gar keine. Spätestens, als Sophia ein Jahr danach erneut den Klassenverband verlässt und in die vierte Jahrgangsstufe einsteigt, stehen die Fragen im Raum. Warum darf die das? Was braucht’s das?

Mit knapp acht Jahren kommt Sophia ins Gymnasium nach Furth. Und kämpft ein wenig. Die Mitschüler allesamt schon in der Pubertät. Auch den Lehrern fällt es offenbar schwer, sich auf die Situation einzustellen. „Ich habe ein Referat über Marihuana gehalten“, erinnert sich Sophia. Glücklich wird sie – obwohl auch die beiden älteren Schwestern das Maristengymnasium besuchen – nicht.

In der achten Klasse wechselt Sophia ans Eichstätter Gabrieli-Gymnasium. Eine Internatsschule, musischer Zweig. Sophia lernt Geige, Orgel, spielt seit vielen Jahren Klavier – „meine Leidenschaft“. Und sie kann die Freizeit im Internat mit Gleichaltrigen gestalten. Geht Klettern, findet bald auch Anschluss an die Kameraden in ihrem Jahrgang. Und als wäre es selbstverständlich, schiebt sie 2013 noch ein halbes Jahr in der Nähe von Boston (USA) ein.

„Wir haben uns schon immer wieder die Frage gestellt, ob das alles richtig ist.“ GG-Schulleiter Adalhard Biederer gibt für die Mutter die Antwort: „Das Abiturzeugnis zeigt, dass es der richtige Weg war.“ Im Nachhinein überwiegt bei den Eltern allerdings der Stolz – den sie gegenüber ihren beiden älteren Töchtern, die die Schule ebenfalls bereits hinter sich haben, nicht minder hegen: „Deren Abitur zählt nicht weniger“, unterstreicht die Mutter.

Und wie geht’s für Sophia jetzt weiter? „Ich will Tierwissenschaften studieren.“ Im niederländischen Wageningen. Dazu soll sie aber erst einmal die Sprache lernen. Und zur Überbrückung will sie eine Ausbildung zur Tierpflegerin machen. „Es ist mein Traum, mit Tieren zu arbeiten.“ Der Tierpark Hellabrunn, in dem sie schon ein Praktikum absolviert hat, hat zwar abgesagt. Aber die junge Abiturientin gibt nicht auf. Im März gibt’s nen neuen Anlauf. Und bis dahin, außer Ausruhen? „Ich möchte Küken im Garten großziehen.“ Wie einst ihr Biologielehrer in seinem Studium. Dem hat sie übrigens im Unterricht nebenbei die neuesten Forschungsergebnisse über Wölfe nähergebracht.