Im Reich der Stummfilm-Ästhetik

04.10.2009 | Stand 03.12.2020, 4:36 Uhr

Hier funkt es nicht: Siroe (Gerda Lischka, rechts) fühlt sich von Laodice (Diana-Marina Fischer) bedrängt. - Foto: oh

Neuburg (DK) Man benötigt einige Minuten, bevor man herausfindet, was einem bei dieser Produktion fehlt. Es sind die Obertitel. Längst hat man sich so an diese Texte gewöhnt, dass man glaubt, Opern ohne die Übersetzungshilfe nicht mehr folgen zu können.

Die Anfangssituation etwa müsste jedem Opernbesucher sofort völlig klar sein: Man sieht einen Mann mit goldener Krone in einem Boot stehen, auf dem unten der Name Cosroe angebracht ist. Dann zieht er zwei Schilder hervor mit den Namen seiner Söhne, Siroe und Medarse, und deutet damit auf die beiden. Und so geht es weiter: Wenn ein Prinz unglücklich ist, dann illustriert er sein Leiden mit großen Gebärden, freut er sich, tanzt er über die Bühne. Wenn die Zeichensprache nicht mehr weiterhilft, die verwickelte Dramaturgie des Librettisten Metastasio zu entwirren, ziehen die Darsteller eine große Tafel aus dem Bühnenhimmel und verdolmetschen dem Publikum die komplexen Zusammenhänge mit weißer Kreide auf schwarzem Schiefer.

Plump didaktisch wirkt diese überdeutliche Zeichensprache allerdings niemals. Dazu inszeniert Konold mit zu leichter Hand, zu humorig, zu selbstironisch. Man merkt den Darstellern an, dass sie sich geradezu augenzwinkernd durch die wenigen von Bühnenbildnerin Dietlinde Konold zur Verfügung gestellten Requisiten des Stücks hindurchbewegen: da sieht man vieldeutig Mediterranes, ein Boot, eine Schiffsanlegestelle, einen Rettungsring, der natürlich im genau richtigen Moment eine metaphorische Bedeutung annimmt, und eine weiße Leinwand als Himmel.

Konold hat für die Händel-Oper auf junge, schauspielerisch agile und fähige Sänger gesetzt. Das hat natürlich auch Nachteile. Denn die Stimmen wirken unausgereift, es fehlt ihnen an dramatischer Schwere und Metall. Kaum ein Sänger wirkt so wirklich herausragend – mit einer Ausnahme: Melanie Hirsch als die indische Prinzessin Emira. Ihre Stimme ist feurig und klar, Hirsch meistert selbst verwegene Oktavsprünge mühelos und schlängelt sich lustvoll durch die kompliziertesten Koloraturen. Und vor allem: Sie hat genügend Reserven, das kleine Theater auch einmal mit glühendem Fortissimo erbeben zu lassen. Da können die anderen Darsteller nicht mithalten: Gerda Lischka als Siroe punktet zwar mit einem sehr weichtimbrierten Alt, dem es allerdings immer wieder an Strahlkraft mangelt. Susanne Graf als Medarse ist an dem Abend indisponiert. Diana-Marina Fischer, die die Königstochter Laodice verkörpert, verfügt zwar über eine schöne Sopranstimme, kämpft allerdings noch mit vielen technischen Problemen. Sebastian Myrus als König Cosroe hat einen leichtgängigen, natürlich klingenden Tenor, und Thomas Lackinger als Arasse einen mächtig grollenden Bass.

Schwierigkeiten mit der Stimme über das Orchester hinwegzukommen, hat natürlich kein Sänger. Dafür ist der Klangkörper viel zu sparsam besetzt. Das eigentlich renommierte Ensemble affetti strumentali, das am kraftvoll gespielten Cembalo von Anne Isenberg geleitet wird, macht diesmal allerdings seinem guten Ruf keine Ehre. Die vier Geiger kämpfen an dem fast vierstündigen Abend um einheitliche Intonation und Phrasierung. Von den Idealen einer lebhaften barocken Klangrede, wie man sie von Originalklang-Ensembles erwarten kann, ist ziemlich wenig zu spüren. Aber Händels Musik ist so süffig und vital, dass ihr auch ein schwächelndes Orchester letztlich kaum etwas anhaben kann. Als am Ende auf der Bühne die Sektkorken für das Happy End knallen, kommt auch Jubelstimmung im Publikum auf. Die Künstler werden mit Bravorufen gefeiert.