Bayreuth
Im Liebeslabyrinth

Festspielchefin Katharina Wagner inszeniert "Tristan und Isolde" in Bayreuth – und wird bejubelt

26.07.2015 | Stand 02.12.2020, 20:59 Uhr

Bayreuth (DK) Beinahe wäre es ein Tristan ohne Isolde geworden – doch über die kurzfristige Absage von Anja Kampe im Umfeld dirigentischer Rivalitäten sei nun nicht mehr lamentiert. Bayreuth braucht traditionsgemäß seinen Skandal kurz vor der Premiere, auf dass dann doch noch alles gut geht. Sogar sehr gut. Denn: Einspringerin Evelyn Herlitzius, einst (im Flimm-„Ring“) eine bezaubernde Brünnhilde, doch vor einigen Jahren als Ortrud schon fast ausgesungen, ist zurückgekehrt zur alten Form. Sie singt groß, durchschlagskräftig und mit Metall in der Stimme, aber nie nur laut, sondern nuanciert und klangschön, zielsicher auf Spitzen zusteuernd, dabei sehr spannungsgeladen. Und sie spielt, was das Zeug hält – mit einer bezwingenden Bühnenpräsenz, die einerseits mädchenhaft zart, andererseits willensstark weiblich ist. Sie ist eine wahre Wonne, diese Isolde.

Noch überraschender aber ist am Bayreuther Premierenabend 2015 mit Wagners „Tristan und Isolde“, dass Festspielchefin Katharina Wagner, die sich nur kurz, fast schüchtern mit ihrem Team der Schlussverbeugung stellt, einhellig umjubelt wird. Keine Buhs! Ist da was falsch gelaufen? Nein, gar nichts – nur dass Katharina nicht mehr auf Provokation zielt wie noch vor einigen Jahren mit ihren „Meistersingern“, sondern reifer geworden ist, mehr ins Stück und die Partitur hineinhorcht und eine sehr ruhige, konzentrierte Regiearbeit mit einprägsamen Bildern liefert.

Mit einem beginnt der erste Aufzug: Schon von Beginn an lieben sich Tristan und Isolde in Katharina Wagners Neudeutung, was im Text des Werks durchaus nachvollziehbar ist. Doch ihre Liebe hat keine Chance, sie begegnen sich in einem bühnenfüllenden Labyrinth aus Treppen, aus dem es kein Entrinnen gibt. Immer wieder klappen Treppen hoch, klammert das Paar sich aneinander fest, küsst sich verzweifelt und voller Begierde. Ein Liebestrank? Unnötig. Der Todestrank? Besser. Doch in einer großen Geste leeren die beiden auch diesen nicht getrunken auf den Boden, ihre Arme beschreiben dabei die Form eines Herzens. Todesmutiger werden sie dann im zweiten Aufzug – verfolgt von Überwachungskameras, eingesperrt in eine Art Folterkammer mit Käfigen, die auch die Begleiter Brangäne und Kurwenal in die Ecke drängen, schlitzt man sich gemeinsam die Pulsadern auf. Das ersehnte Todes-Tunnelerlebnis wird auf die Wand projiziert. Doch auch im Tod gibt es kein Zusammenfinden: Marke, der bei Katharina Wagner überraschend Kontur gewinnt und ins Stück eingreift, ist kein „güt’ger König“, sondern ein brutal fordernder, der seine Rechte auf Isolde geltend macht und sie selbst nach dem finalen Liebestod mit sich wegzieht. Im grellen Licht der Realität gibt es hier keine Chance auf Verklärung.

Und dennoch: Gerade im dritten Aufzug ist die Bühnenwirkung (Frank Philipp Schlößmann und Matthias Lippert) besonders stark. Vor allem, weil hier statt eines Krankenbetts oder Endzeitszenarios die Bühne einfach nur mit blauem leuchtendem Licht und Nebel gefüllt wird. Daraus scheinen Dreiecksräume mit vielfachen surrealen Isolde-Fantasien Tristans auf. Mag das dritte Eck dieser Beziehung wohl Marke sein? Eine hoch ästhetische, atmosphärisch dichte Szenerie, die ergänzt wird durch die kleidsamen Kostüme Thomas Kaisers. Sie folgen einer logischen Farbcharakterisierung: Nachtblau fürs Liebespar, Grün für deren Freunde, Senfgelb für alle Feinde. Dass Katharina Wagners Personenregie mit Ausnahme weniger starker Momente in dieser „Tristan“-Neuproduktion sehr in sich gekehrt ist und streckenweise statisch daherkommt, kann man über diesen bezwingenden Bildern schon mal vergessen.

Zudem kommt in diesem optisch ruhigen Umfeld der musikalische Spannungsbogen bestens zur Geltung. Christian Thielemann entlockt dem Bayreuther Festspielorchester jenen „Tristan“-Sog, der einen schon im Vorspiel packt. Ruhig fließend und dennoch mit unerwarteten Tempo- und Dynamiksteigerungen und vielfachen kleinen und großen Explosionen verleiht er diesem „Tristan“ Kontur und eine zum Bersten gespannte Dramatik.

Und: Thielemann lässt die Sänger leben, deckt sie nie mit Orchesterfluten zu. Nicht nur die an diesem Abend grandios alle überstrahlende Herlitzius, sondern auch Stephen Gould, der seinen Tristan sehr poetisch, fast melancholisch-überschattet interpretiert. Schön und sanft die Bögen, besonders im zweiten Aufzug, niemals gepresst auch der mörderische dritte Aufzug. Gould ist seit seinen Bayreuther Siegfrieden, die ihm schon 2008 das Engagement für diesen Tristan einbrachten, reifer und intellektueller geworden. Neben einem etwas verschatteten Iain Paterson (Kurwenal) ist Brangäne Christa Mayer – einst Erda auf dem Grünen Hügel – eine absolute Entdeckung mit riesiger Klangfülle und dunkel gefärbtem Timbre. Nur spielen sollte ihr Katharina Wagner noch besser beibringen. Georg Zeppenfeld als Marke ist nicht zuletzt in stimmlicher Höchstform. Mit diesem „Tristan“ hat Bayreuth sicher keinen Regie-Meilenstein gesetzt, aber eine sehenswerte Produktion neu auf dem Spielplan, die dem Werk Wagners erstmals wieder vertraut.