Im Laufschritt über den Jakobsweg

3000 Kilometer lang ist sein Weg: Ein junger Pilger macht Station in Mindelstetten

22.11.2016 | Stand 02.12.2020, 18:57 Uhr
Tobiasz Zuchewicz kam auf dem Weg nach Mindelstetten durch Forchheim. Der 31-jährige Pole läuft den 3000 Kilometer langen Weg von Tarnow bei Krakau nach Santjago de Compostela. −Foto: Kügel

Mindelstetten (DK) Im Laufschritt will Tobiasz Zuchewicz aus Polen den 3000 Kilometer langen Jakobsweg von Tarnow bei Krakau nach Santjago de Compostela bewältigen. Trotz dieses Ultra-Marathonlaufs fand er Zeit für einen Besuch am Grab der heiligen Anna Schäffer in Mindelstetten.

„Live starts at 40 – das Leben beginnt mit 40“, sagt Tobiasz Zuchewicz. Doch er meint damit nicht Jahre, sondern Kilometer. „Nach 40 Kilometern bete ich zu Gott ,Hilf mir, ich habe keine Kraft mehr‘ – und es klappt.“ Früher sei er für seinen Körper gelaufen, für die Fitness. Früher, das war noch vor zwei Jahren. Als Banker verdiente der 31-Jährige viel Geld. So viel, dass seine Bank ihm als Erfolgsprämie eine Kubareise spendierte. Was er dort erlebte, brachte ihn zu diesem radikalen Schritt. „Wir hatten Geld, schnelle Autos und schöne Mädchen – und die Kubaner mussten Schlange stehen für Brot und Milch. Aber die armen Kubaner waren glücklicher als wir“, staunt der Finanzfachmann noch heute.

Wieder zu Hause in Sopot, konnte er nicht zur Ruhe kommen und rannte am Ostseestrand entlang. Bei einer Pause an der Mole habe er dann „ein intensives Licht“ gesehen. „Es sah aus, als würde eine Raffinerie brennen und doch nicht verbrennen.“ Zuerst kam ihm das alles seltsam vor. Aber als er weiterlief, hätten ihn die Lichter begleitet.

Heute ist er überzeugt, dass Gott ihm ein Zeichen gesendet habe. Er habe damals zum ersten Mal nach 15 Jahren wieder gebetet und beschlossen, sein Leben zu ändern. Er kündigte seinen Job und suchte sich einen Tätigkeit als medizinische Hilfskraft in einem Krankenhaus. Außerdem fing er an, sich für die Organisation „Cool-awi“ zu engagieren, die sich um behinderte Kinder kümmert. Stolz deutet er auf deren Embleme, die er neben dem polnischen Wappen auf der Brust trägt. „Damit wird man nicht reich in finanzieller Hinsicht, aber es ist ein Weg, um reich in der Seele zu werden“, sagt Zuchewicz.

Vor einem halben Jahr habe er Freunden auf einer Party zum ersten Mal berichtet, dass sein Traum ein Besuch am Grab des heiligen Jakobus in Santiago de Compostela sei. Da habe einer der Gäste, ein Spieler der polnischen Basketball-Nationalmannschaft, gesagt, er lebe dort, und habe ihn eingeladen.

Seine Familie war mit dem Plan nicht einverstanden. Zu Fuß und ohne Geld ans Ende der Welt, das gehe nicht, hätten ihm alle gesagt. Am 30. September ist er dennoch losgelaufen – mit nichts als einem zwölf Kilo schweren Rucksack, 400 Euro und seinem Handy. In Tschechien hätten ihm Priester Unterkünfte vermittelt. Auch in Deutschland erlebte er große Gastfreundschaft: „Eine Familie in Pfaffenhofen hat mich aufgenommen wie einen Bruder“, berichtet er. In allem, was er auf dem Jakobsweg erlebt, sieht der gläubige Katholik ein Zeichen. Das kann ein Apfel sein, den er gerade dann findet, wenn er Hunger hat, der Schmerz im Oberschenkel, nachdem er sich über Gabriel, einen anderen, langsamen Pilger lustig gemacht hat.

Beim Laufen betet der Marathonmann den Rosenkranz. „Es ist Zeit zu beten“, sagt der junge Mann und sein Gesicht bekommt ernste Züge. In Polen spürten das immer mehr Menschen. „Das Gebet gibt uns Kraft“, so seine Erfahrung. Inzwischen bitte ihn nicht nur seine Familie, für sie zu beten, sondern auch viele Freunde und Bekannte. „Jeden Tag bekomme ich neue Gebetsanliegen übers Handy“, sagt er. Sorgen um Unterkunft und Essen macht er sich nicht. „Bisher hat es immer funktioniert“, erzählt er. Und obwohl noch 2000 Kilometer vor ihm liegen, nimmt er sich Zeit für Abstecher zu wichtigen Wallfahrtsorten wie Mindelstetten.

Den Besuch am Grab der heiligen Anna Schäffer habe ihm eine Frau aus Bad Gögging ans Herz gelegt, wo er zuletzt aufgenommen wurde. Die nächste größere Pause plant der sportliche Pilger am berühmten Marienwallfahrtsort Lourdes. Ende November will er ans Ziel seiner Träume kommen, das Grab des Apostels Jakobus. Wie er von dort wieder nach Hause kommt, darum kümmere er sich so wenig wie darum, wo er die nächste Nacht schlafe. „Bei Gott ist nichts unmöglich, es ist seine Entscheidung“, sagt er. Und schon läuft er wieder los. „Wir sehen uns – auf dem Weg oder im Himmel“, ruft Tobiasz Zuchewicz zum Abschied.

Vergangenes Jahr pilgerten 264 000 Menschen nach Santiago de Compostela. Zehn Jahre zuvor waren es nur ein Drittel davon.