Ingolstadt
Im Gestrüpp der Leidenschaft

Umjubelter Saisonauftakt im Jungen Theater Ingolstadt: Julia Mayr inszeniert "Rose und Regen, Schwert und Wunde"

06.10.2019 | Stand 23.09.2023, 8:51 Uhr |
Durchleben einen wilden Sommernachtstraum, den Puck (Olivia Wendt, rechts) angezettelt hat: Helena (Paula Gendrisch), Demetrius (Benjamin Dami), Hermia (Linda Ghandour) und Lysander (Steven Cloos). − Foto: Olah

Ingolstadt (DK) Kein Ehekrieg im Elfenreich von Oberon und Titania.

Keine kunstvoll dilettierende Handwerkertruppe. Keine eselsköpfige Liebelei. Weder Bohnenblüte noch Spinnweb. Und Theseus und Hippolyta nur als Fingerspiel. Als Beat Fäh 1989 Shakespeares "Sommernachtstraum" für junges Publikum bearbeitete, hat er sich auf Hermia, Helena, Demetrius und Lysander konzentriert - und die Irrungen und Wirrungen der Liebe. Die sind heute nicht viel anders als vor 400 Jahren, als die Komödie zum ersten Mal aufgeführt wurde. Einer liebt und wird wiedergeliebt, eine schmachtet, einer wird verschmäht. Es geht um Begehren und Konventionen, um Misstrauen und Neid, um Sehnsucht und Träume, um Macht und Manipulation. Und um Magie. Denn natürlich treibt auch hier Puck sein Unwesen. "Rose und Regen, Schwert und Wunde" hat der Schweizer Theatermacher Beat Fäh seine Fassung genannt, mit der das Junge Theater Ingolstadt am Samstagabend die Saison in der Werkstatt eröffnete.

Helena liebt Demetrius. Demetrius aber liebt Hermia. Diese Verbindung würde auch Hermias Vater gefallen. Allein: Hermia liebt Lysander. Deshalb planen beide ihre Flucht. Und landen ausgerechnet in der magischen Johannisnacht in Pucks Zauberwald. Regisseurin Julia Mayr hat das Liebeschaos, das die geflüchteten Athener Paare durchleben und durchleiden, mit viel Witz und rasantem Tempo in Szene gesetzt, ihre Schauspieler agieren mit intensivem Körpereinsatz und überbordender Spielfreude und der hohe, poetische Ton der Erich-Fried-Übersetzung kommt ihnen federleicht über die Lippen.

Liebe und Eifersucht, wechselseitige Begierden und zerbrechende Beziehungen als zeitlose Thematik: Julia Mayr wählt dafür eine betörende Schwarz-Weiß-Ästhetik und hat sich von Ausstatterin Dietlind Konold eine weiße, quadratische, schräge, drehbare Spielfläche in die Werkstatt bauen lassen. Mit Stefano Di Buduos Videoprojektionen aus Schattenspuk und Sternbildlabyrinthen wird daraus ein magischer Ort, der nicht nur Liebende anzieht, sondern auch den vorwitzigen Puck, der das Chaos schätzt, die Konfusion, die Hysterie der Nacht. Hinreißend gibt Olivia Wendt diesen Kobold. Ein Nachtgeschöpf: schwarze Hose, nackte Füße, Ohrenspitzel über schwarzer Mütze - und ein Blick, der mehr sagt als tausend Worte. Ihr Puck ist das eigentliche Kraftzentrum. Ist Erzähler und Spielleiter. Stellt das Personal vor. Verkürzt schon mal die Handlung: "blablabla". Lässt mit einem Fingerschnippen Dinge geschehen, produziert Theaternebel und Shakespeare-Rap (Musik: Christian Neuburger), zieht und zerrt an diesen Menschlein aus Athen, lockt und verführt sie. Und genießt kichernd das verdreht-verliebte Spektakel, das sie mit dem Extrakt der Wunderblume angerichtet hat.
Das Quartett der Liebenden, ganz in Weiß gekleidet, agiert mit höherer Schlagzahl: Laut, wild, impulsiv wird geliebt, gesehnt, gestritten. Kraftstrotzend, artistisch, mitreißend, auf hohem Energielevel, im schnellen Schlagabtausch. Linda Ghandour macht sich dem Ingolstädter Publikum als spröde Hermia bekannt. Paula Gendrisch bringt - trotz Knieverletzung - die schöne Helena zum Strahlen. Steven Cloos überzeugt als Lysander im Feinripp in Heldenpose. Und Benjamin Dami geriert sich als Dandy Demetrius. Wundersam komisch ist der Reigen des Ver- und Entliebens, den die vier in Annette Taubmanns fantasievoller Choreografie vorführen. Sie flirten, fiebern, zaudern, zweifeln. Hier Show. Da Bangigkeit. Dort Tohuwabohu der Gefühle. Regisseurin Julia Mayr zelebriert den Wahnwitz der Liebe mit meisterhafter Komik. Und tragen zu Beginn die Damen Rock und die Herren Hosen, so ändert sich mit jedem Seufzer, jedem Kuss, jedem Fluch die Kleiderordnung. Bis am Ende alles anders und doch zu aller Zufriedenheit gelöst ist. Die Liebe ist eben ein seltsames Spiel.

Rundum gelungen ist dieser Theaterzauber, der nach einer guten Stunde mit langem Applaus belohnt wird. Ein starker Saisonauftakt, der Lust macht auf mehr. Mehr Shakespeare. Mehr Klassiker. Mehr Junges Theater.

ZUM STÜCK
Theater:
Junges Theater Ingolstadt
Regie:
Julia Mayr
Ausstattung:
Dietlind Konold
Video:
Stefano Di Buduo
Musik:
Christian Neuburger
Termine:
Neben zahlreichen Schülervorstellungen gibt es eine frei verkaufte am 9. November.
Kartentelefon:
(0841) 30547200

Anja Witzke

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