München
Im Fieber auf den Zauberberg

Eine Ausstellung im Münchner Literaturhaus führt mitten hinein in die Atmosphäre von Thomas Manns Roman

23.03.2016 | Stand 02.12.2020, 20:02 Uhr

Das reale Vorbild: Das Sanatorium Valbella (Aufnahme um 1915) lieferte Thomas Mann das Erscheinungsbild für sein Sanatorium Berghof im Roman. - Foto: Literaturhaus München

München (DK) Türen öffnen sich geradeaus, eine nach der anderen, und geben den Blick frei auf weitere Zimmer. Zur linken Seite leuchten mächtige Berggipfel im Sonnenlicht, davor ruhen Menschen auf Liegestühlen. Und irgendwo hustet jemand - oder ist es nur ein unterdrücktes Hüsteln? Wir sind auf dem Zauberberg, mitten in dem Tausend-Seiten-Roman, den Thomas Mann zwischen 1913 und 1924 zu Papier gebracht hat.

Und wer es nicht versäumt, sich in der Ausstellung des Münchner Literaturhauses mit einem Audio-Guide auszurüsten, der hört den Autor sprechen, aber auch Familienmitglieder, die die Entstehung und die Erzählstränge dieses Meisterwerkes, das in einem Lungensanatorium spielt, erhellen.

In vier unterschiedlich gestaltete Räume gliedert sich die Ausstellung, und jedes dieser Zimmer mit Tür und Fenster gibt Blicke frei auf wichtige Facetten des Romans. Initialzündung für das Schreiben war ein Aufenthalt von Katja Mann, der Ehefrau des Schriftstellers, die 1912 in Davos zum Auskurieren eines Lungenspitzkatarrhs weilte. Katja war fasziniert vom Alltag und der Atmosphäre auf 1600 Metern Höhe. Minutiös hat sie ihrem Mann Charaktere beschrieben, wie sie es selbst in einem Interview erzählt. Ihre Milieuschilderungen sind in den Roman eingeflossen - leider gingen sie mit dem Manuskript von Thomas Mann verloren.

Sieben Uhr Aufstehen, erstes Frühstück und Dusche, danach ein Wechsel aus Bewegung, Liegekur und Mahlzeiten bis zur Nachtruhe um 22 Uhr - der Tag der Kranken war streng strukturiert. Doch es sind die Menschen und ihre Emotionen, es sind die Tuberkulose-Kranken aus aller Welt, die schließlich den ganzen Mikrokosmos der Kurklinik in Bewegung bringen und immer wieder zu großen und kleinen Katastrophen führen. Die Ausstellung mit dem Untertitel "Tod und Amüsement" zeigt originale Gegenstände wie etwa die Bambus-Liegesessel, das blau-silberne Spuckgefäß "Blauer Heinrich", ein altertümliches Fieberthermometer und das wuchtige Röntgengerät mit Lungen-Aufnahmen, die zugleich Neugierde wecken und Schrecken erzeugen.

Und ja, auch der silberne "Crayon" liegt hier, der Bleistift, der im Roman zum Liebespfand wird zwischen dem Hamburger Hans Castorp und der Russin Clawdia Chauchat in jener unvergleichlichen Szene, als allein der Wechsel der Sprache ins Französische einen erotischen Schub bewirkt. Denn "es ist in gewisser Weise ein Sprechen ohne zu sprechen - ohne Verantwortlichkeit, oder wie wir im Traum sprechen", so fließt es plötzlich in der fremden Sprache aus dem Mund des Romanhelden heraus.

Eigentlich wollte Castorp nur für drei Wochen seinen Vetter besuchen - daraus werden schließlich sieben Jahre. Denn der Zauberberg ist der Ort, wo die eigene Befindlichkeit in Frage gestellt wird: "So überaus gesund war er doch eben auch nicht." Und es wird die Zeit außer Kraft gesetzt - vor allem bei jenem orientierungslosen Schneespaziergang, an den ein projiziertes Flocken-Gestöber auf einem weißen Vorhang am Ende der Ausstellung erinnert. Wer diese Ausstellung besucht, läuft Gefahr, diesen Roman (wieder) lesen zu wollen, einzutauchen in die Sprachmagie des "Zauberers" Thomas Mann, sich seitenweise dem schleichenden Krankheitsprozess der Romanfiguren auszusetzen und sich fieberkrank im Schneesturms zu verirren wie jener Hans Castorp, der in den Bergen alle Orientierung verliert, um doch auf gewisse Weise zu sich selbst zu finden.

Selten war eine Literaturausstellung, die zugleich Informationen vermittelt und in die Atmosphäre des Romans eintaucht, schöner inszeniert. "Wer die Ausstellung betritt, betritt den ,Zauberberg'." Dieser Anspruch von Reinhard G. Wittmann, dem scheidenden Direktor des Münchner Literaturhauses, wird eingelöst.

Die Ausstellung ist bis zum 26. Juni im Münchner Literaturhaus zu sehen, sie ist von Mo bis Fr von 10 bis 19 Uhr, Sa und So sowie an Feiertagen von 10 bis 18 Uhr geöffnet.