Ingolstadt
Im alten Herd geht bald das Feuer aus

18.01.2010 | Stand 03.12.2020, 4:20 Uhr

Mit einem lachenden und einem weinenden Auge sieht Landwirt Martin Schlagbauer dem Bau des zweiten Güterverkehrszentrums entgegen. Finanziell profitiert er davon, aber sein Hof muss weg.

Ingolstadt (DK) Über der Eckbank in der Küche der Schlagbauers ist das Kruzifix bereits abgehängt. Auch die Bilder, die bis vor kurzem hier hingen, haben nur noch ihre weißen Umrisse und ein paar Spinnweben an der Wand hinterlassen.

Aber der alte Holzherd, Modell Wamsler Dauerbrand, darf noch einige Tage weiterknistern. Dann hat auch er ausgedient. Dann muss die Bauernfamilie raus und ihr erst 35 Jahre altes Haus dem Abrissbagger überlassen. "So einen Kochherd möcht’ ich wieder haben", wünscht sich Franziska Schlagbauer (68), "an den ist man gewöhnt." Sie und ihr Mann Martin (69) haben den zweiten großen Umzug ihres Lebens vor sich. Denn ihr landwirtschaftliches Anwesen an der Gaimersheimer Straße steht den gewaltigen Erweiterungsplänen des Güterverkehrszentrums im Weg. Und dagegen ist kein Kraut gewachsen. Am GVZ II hängt die Zukunft von Audi, sagen alle, das GVZ II ist der Schlüssel zum weiteren Erfolg des Unternehmens, da muss alles andere zurückstehen.

Bis 1975 hatten die Schlagbauers einen Bauernhof in der Innenstadt an der Jesuitenstraße. Ganze 320 Quadratmeter sei das Grundstück groß gewesen, erzählt der Landwirt. "1965 hab ich übernommen."

Zehn Kühe, zwölf Sauen, dazu Hühner, das war der ganze Betrieb. "Der Platz war viel zu eng", sagt Franziska, die aus Böhmfeld stammt. "Wir haben fünf Kinder gehabt und zwei Räume zum Schlafen." Später kamen noch zwei Kinder dazu.

Der Entschluss, den elterlichen Hof abzureißen und draußen an der Gaimersheimer Straße ganz neu anzufangen, wurde zumindest finanziell erleichtert: Die Familie konnte damals eine größere Fläche an Audi verkaufen und so den Umzug teilweise finanzieren. Das Altstadtgrundstück, auf dem heute ein Wohn- und Geschäftshaus steht, gehört der Familie aber heute noch.

Im Dezember 1975 war es so weit. Das erste Weihnachtsfest konnte im nagelneuen Bauernhof gefeiert werden. "Das war so kalt damals", erinnert sich Franziska Schlagbauer, "die Viecher haben im Stall gefroren. Die Decke war weiß vom Frost." Einer der Gründe: Am Anfang standen nur 25 Kühe drin, aber der Stall war auf 75 ausgelegt, da war es mit der Eigenwärme der Tiere nicht weit her. Außerdem: "Hier draußen hat’s gezogen. Da ist ja kein Baum gewesen, gar nix." Ihr Mann stimmt zu: "Der erste Winter war saukalt."

Der neue Hof hatte 8000 Quadratmeter, Wohnhaus, Garagen, Stadel und Maschinenhalle. Jeder Baum wurde selbst gepflanzt, jedes Gemüsebeet selbst angelegt. Hier wuchsen die fünf Mädchen und zwei Buben der Familie auf. Und der Hausherr selbst wurde nebenbei zum Kommunalpolitiker. "Ich bin Spätberufener", kommentiert Martin Schlagbauer seine Wahl zum Stadtrat der CSU-Fraktion 1990.

Gleichzeitig kam in den neunziger Jahren das erste Güterverkehrszentrum immer näher. Halle folgte auf Halle, was rein finanziell gesehen für Familie Schlagbauer ein Segen war, da sie an die städtische Tochter IFG wertvolle Grundstücke verkaufen konnte.

Mittlerweile ist auch der Verkauf des Hofes besiegelt. In der Nähe wird bereits der Boden untersucht, die GVZ-Erbauer haben’s immer besonders eilig. Der Hoferbe, Martin Schlagbauer junior, macht an anderer Stelle weiter, ohne Viehzucht. Seine Eltern ziehen vorübergehend zur Tochter und wollen sich im Nordwestviertel bald ein neues Haus bauen.

"In 14 Tagen ist alles vorbei", sagt die Bäuerin und wirft dabei einen Blick auf ihre halb zerlegten Möbel. "Da sind bei den Kindern und Enkeln schon Tränen geflossen, das war hier ein Paradies für sie."

Der Stall auf dem Anwesen an der Gaimersheimer Straße ist leer. Kurz vor Weihnachten haben die Schlagbauers 60 Stück Vieh verkaufen müssen. "Ich bin da zuletzt gar nimmer rein gegangen", gesteht der Landwirt mit feuchten Augen. "Geld ist nicht alles."

Seine Frau ist sich bewusst, dass nach dem Abriss an dieser Stelle etwas Neues entsteht, das für Audi sehr wichtig ist. "Ich wünsch’ denen bloß, dass es so gut weitergeht. Das hat man ja nie in der Hand."