Oberstdorf
Im Allgäu startet die Viehscheid-Saison

In den nächsten zwei Wochen werden rund 30 000 Rinder ins Tal getrieben

06.09.2012 | Stand 03.12.2020, 1:06 Uhr

Bunt geschmückte Glocken tragen die Kühe beim Alpabtrieb im Allgäu. Hier richten die beiden Hirten Charlie und Werner Gerbeth richten auf der Sorg-Alpe bei Wertach die Schellen her - Foto: Barth/dapd

Oberstdorf/Pfronten (dapd) In 32 Allgäuer Orten zwischen Bodensee und Ammergebirge findet bis zum 22. September ein sogenannter Viehscheid statt. Auftakt ist morgen in Pfronten. Insgesamt werden rund 100 000 Viehscheid-Besucher im Allgäu erwartet.

Alpwirtschaft und Hüttenwirte in den Allgäuer Alpen sind von der Sommersaison bisher hellauf begeistert. „Das Hochgebirge könnte kaum schöner sein als jetzt“, freut sich Jochen Krupinski von der Mindelheimer Hütte (2013 Meter) in den Oberstdorfer Alpen. Wenn wortkarge Alphirten darüber ins Schwärmen geraten, klingt das so: „Ein ausgesprochen guter Sommer. Keine Temperaturstürze, kein Schnee, aber immer genug Trinkwasser“, sagt zum Beispiel Hans Wirth Oberalpmeister in Oberstdorf.

Darüber werden sich auch die vielen Touristen freuen, die regelmäßig im September zwei Wochen lang in großen Festzelten den im Allgäu „Viehscheid“ genannten Alpabtrieb als fünfte Jahreszeit feiern. Nach der Sommerfrische auf den Bergweiden werden in 32 Allgäu-Orten insgesamt rund 30 000 Tiere im Tal zurück erwartet.

Konkrete Zahlen will Bayerns Landwirtschaftsminister Helmut Brunner (CSU) erst am 11. September in Bad Hindelang mitteilen, wo der größte Viehscheid in der Region regelmäßig rund 20 000 Besucher anlockt. „Jedes Jahr das gleiche“, sagt Oberalpmeister Wirth schon jetzt: In Oberstdorf wurden zu Beginn der Saison rund tausend Rinder aufgetrieben zu den Hochweiden von sechs alpwirtschaftlichen Betrieben, die im Allgäu nicht Almen wie in Oberbayern, sondern Alpen genannt werden. Dabei handelt es sich meist um Genossenschaften, die nicht nur eigenes Vieh auftreiben, sondern auch Jungrinder von Landwirten im Voralpenland bis Ravensburg und Ulm. Weil die Besitzer ihre Tiere nach der „Sömmerung“ kaum wiedererkennen, müssen sie vom Hirten aus der Herde ausgeschieden werden. Daher rührt der Name Viehscheid.

Im Allgäu ist daraus längst ein „Event“ geworden. „Sind das die Cowboys“, fragen manche Gäste, wenn die Alpenhirten in ihrer Tracht die Tiere ins Tal treiben. So große Herden kennen die Touristen aus Ballungsräumen sonst meist nur aus Wildwestfilmen. Beim Viehscheid in Oberstdorf, erläutert Wirth, kommen auf jedes „geälpte“ Rind ungefähr zehn Touristen. Kaum ein Besucher steht ohne Kamera am Wegesrand. Beliebtestes Fotomotiv sind die Kranzrinder mit geflochtenem Blumenschmuck zwischen den Hörnern des Leittieres - ein Zeichen dafür, dass die Herde den Sommer ohne Unfall und Ausfall überstanden hat.

In Pfronten, wo am 8. September der erste Viehscheid der Saison stattfindet, werde an dieser Tradition festgehalten, auch wenn die Besucher gerne jede Leitkuh mit Kranz sehen würden, sagt Bernd Mayer, Vorsitzender und Geschäftsführer des Rechtlerverbandes, dem seit dem Jahr 1430 mit 3200 Hektar größten Grundbesitzer in Pfronten. Beim Alpabtrieb werden hier 1050 Stück Jungvieh von sechs Alpen ins Tal zurückkehren – erwartet von rund 7000 Besuchern. „Den Rummel müssen wir schlucken, weil wir alle irgendwie vom Tourismus leben“, sagt sein Kollege Franz Berktold, Vorsitzender des Vereins ehemaliger Rechtler in Oberstdorf, dem auch dort größten Grundbesitzer.