Reichertshofen
Illusion naturnahes Gewerbegebiet?

"Bisher schon", sagen zwei Naturexperten, die das Areal an der A9 "grün" mitgestalten wollen

04.08.2020 | Stand 02.12.2020, 10:50 Uhr
Begehung des naturnahen Gewerbegebietes in Rankweil - ein Pilotprojekt - mit der Wirtschaftskammer Vorarlberg (links). Öffentliche Grünstreifen in diesem Gewerbegebiet in Österreich sind ein Magnet nicht nur für Hummeln, Wildbienen oder auch Schmetterlinge (unten). −Foto: Naturgarten

Reichertshofen/Winden am Aign - Das zwischen A9, B300 und Bahnlinie geplante Gewerbegebiet beschäftigt weiter beide Seiten.

Die Bürgerinitiative "Rettet das Auer Bach-Tal" und die Marktgemeinde Reichertshofen, die dieses Gewerbegebiet realisieren will. Nach der jüngsten Pressemitteilung aus dem Rathaus wird dort ein naturnahes Gewerbegebiet als Pilotprojekt geplant.

"Das geplante Gewerbegebiet an der A9 soll naturnah gestaltet werden und so als Pilotprojekt Impulse für die ganze Region geben. " So formuliert Bürgermeister Michael Franken (JWU) das Ziel. Das Konzept dafür wird, so steht es in einer Pressemitteilung, mit den Naturgartenplanern Katrin Kaltofen und Reinhard Witt entwickelt.

Der Markt Reichertshofen hat die beiden Naturexperten gebeten, die viel gestellte Frage zu beantworten: "Naturnahes Gewerbegebiet - eine Illusion? " Die Antwort der beiden Naturgarten-Spezialisten: "Bisher schon. Es gibt in Deutschland bislang kein einziges Gewerbegebiet, das den Ansätzen einer naturnahen Gestaltung auch nur nahe käme. Die Realität sieht so aus, dass es ein großes Potenzial an Freiflächen gibt, die kaum genutzt werden. Meist sieht man nur armselige Begrünungen mit Schurrasenflächen, vielleicht ein Zierstaudenbeet mit exotischen Arten, ein paar große Sträucher oder Bäume, jede Menge versiegelter Flächen oder - auch nicht besser - nackte Schotterwüsten. " Dabei, so sagen Kaltofen und Witt, gehe es auch anders. Gewerbegrün kann wichtige ökologische Funktionen erfüllen. Im österreichischen Vorarlberg haben die Naturgartenplaner in der Gemeinde Rankweil bereits 2013 ein Modellvorhaben umgesetzt, das viele Anforderungen einer nachhaltigen ökologischen Freiflächengestaltung erfüllt. Und das einen großen Schritt auf dem Weg hin zu mehr Artenschutz und Biodiversität im Siedlungsraum geht.

Die Prinzipien für Kaltofen und Witt werden in der Pressemitteilung des Marktes aufgelistet:

? Kompromiss zwischen wirtschaftlicher Nutzung und Natur zum Nutzen beider Seiten (Lebensräume für Tiere und Pflanzen plus Aufenthaltsqualität plus Klimaschutz).

? Neue Denkansätze im Umgang mit Böden, Standorten, und so weiter (zum Beispiel Magerflächen).

? Standortgerechte Pflanzungen und Ansaaten mit heimischen Arten.

? Robuste Arten, die sich über Aussaat selbst erneuern und damit nachhaltig sind.

? Möglichst große Standortvielfalt.

? Schönheit und Ästhetik.

? Rundherumbegrünung aller Standorte (inklusive Dächer, Fassaden, Stellplätze und Grünstreifen).

? Vernetzungsgedanke (Schaffung von Biotop-Trittsteinen).

? Kreislaufdenken (Recycling von Baustoffen, Wasserhaushalt und Pflege).

? Geringer Pflegeaufwand.

"So wurden in Rankweil erhebliche Verbesserungen im Artenschutz erreicht. " Es konnten zum Beispiel über 100 verschiedene heimische Wildbienenarten auf den nachhaltigen Grünflächen in und rund ums Gewerbegebiet in Rankweil nachgewiesen werden, ein Drittel der Arten, die natürlicherweise in Vorarlberg vorkommen. Außerdem dienen die Erschließungsstraßen im Gewerbegebiet inzwischen als beliebte Ziele für Fuß- und Fahrradtouren. Mittlerweile wurden auch die ersten Firmengelände naturnah begrünt, so dass zu den rund zehn Prozent öffentlicher naturnaher Grünflächen noch weitere Areale dazukommen.

Klar, dass der Markt Reichertshofen meint, es wäre an der Zeit, auch in Deutschland ein Pilotprojekt auf die Beine zu stellen, das zeigt, was trotz Bebauung und Versiegelung möglich ist, wo ein gelungener Kompromiss zwischen Umwelt und Wirtschaft für alle Seiten fruchtbare Ergebnisse bringt. Aber: Kann es das geplante Gewerbegebiet sein?

Bürgermeister Franken ist überzeugt: "Naturnahe Gewerbegebiete sind machbar, wenn alle an einem Strang ziehen. " Nun bleibt abzuwarten, wieviele Unterschriften die BI sammelt und ob die Bürger den Argumenten der Gemeinde oder denen der BI folgen.

ok/DK