Bergheim
"Ihr habt einen Engel im Haus"

Ehrenamtliche Demenzhelfer unterstützen Familien bei der Betreuung von erkrankten Angehörigen

30.03.2016 | Stand 02.12.2020, 20:01 Uhr

Foto: Katrin Poese

Bergheim (DK) Diagnose Demenz: Wenn Mutter oder Vater das Gedächtnis verlieren, kann das für Angehörige eine große Belastung sein. Eigens geschulte Helfer der Caritas unterstützen betroffene Familien.

Ein Osterhase, Tausendschönchen und Palmkätzchen schmücken den Kaffeetisch. Irmgard Schäfer (Name geändert) lächelt. Sie mustert ihre Besucher mit heiterem Interesse. "Und ihr seid's alle vo Neiburg" Die Frauen am Tisch bejahen. "Ja, Neiburg, des kemma guad", sagt die alte Dame zufrieden. Sie hält eine Weile inne. Ihre grau-blauen Augen blicken leicht abwesend. Dann fragt sie: "Und ihr seid's alle vo Neiburg"

"Das ist typisch für die Erkrankung, dass immer wieder das Gleiche gesagt und gefragt wird", erklärt Marianne Schmid-Frank. Die Sozialpädagogin koordiniert beim gerontopsychiatrischen Dienst der Caritas Neuburg-Schrobenhausen den Einsatz der ehrenamtlichen Demenzhelfer. Vor fast zehn Jahren kam Susanne Schäfer (Name geändert) mit ihrer Mutter zu Schmid-Frank in die Gedächtnissprechstunde. "MCI" lautete damals die Diagnose: "Mild cognitive impairment" - eine Vorstufe, die sich zu einer Demenzerkrankung entwickeln kann. Drei Jahre später eine erneute Untersuchung. Seitdem leidet Irmgard Schäfer auch auf dem Papier an einer mittleren Demenz. "Mir war schon klar, da stimmt irgendwas nicht", sagt ihre Tochter heute.

Jede Demenz verlaufe anders, erklärt Marianne Schmid-Frank. "Manchmal bleiben die Alltagsfähigkeiten noch ganz lange erhalten." Als Susanne Schäfers Mutter aufhörte zu kochen und zu waschen und man sie kaum noch für längere Zeit alleine lassen konnte, brauchte die Tochter dringend Hilfe. "Ich habe damals immer ein schlechtes Gewissen gehabt, wenn ich mal weggefahren bin." Im Juli wollte sie in den Urlaub, auch ihre Brüder waren für ein paar Tage nicht da - was tun? An dieser Stelle kam Christine Lach ins Spiel.

Die fröhliche Frau verteilt großzügig an alle am Kaffeetisch Himbeer- und Mohnkuchen. Backen ist ihre Leidenschaft. "Im Sommer sind es zwei Jahre, dass ich hier bin", erzählt sie. Unvermutet klinkt sich Irmgard Schäfer wieder ins Gespräch ein: "Neiburg, des kemma guad." Christine Lach tätschelt die Hand der alten Dame. Alle zwei Wochen kommt die Ehrenamtliche von Dienstag bis Donnerstag für drei Stunden ins Haus. Sie hilft Irmgard Schäfer, ihren Alltag zu bewältigen. "Ich war skeptisch, ob das funktioniert, weil die Mama jetzt inzwischen ein bisschen fremdelt", sagt Susanne Schäfer. Doch ihre Mutter schätzt die gutmütige Frau offensichtlich sehr. Immer wenn Christine Lach kommt, macht Irmgard Schäfer ihr mit einem breiten Lächeln die Tür auf, noch bevor sie klingeln kann. "Sie sagt immer: ,Ich hab' dich schon gesehen'", erzählt die Demenzhelferin. Sie hat früher als Pflegefachkraft gearbeitet. Die Einzelbetreuung sei etwas ganz Anderes. "Das gibt mir schon viel."

Für eine Familie kann es ein großer Schritt sein, sich zu öffnen und eine fremde Person so ins Privatleben zu integrieren. "Das muss bei den Helfern schon gut aufgehoben sein", sagt Marianne Schmid-Frank. Deshalb müssen alle Ehrenamtlichen ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis einreichen und eine Vereinbarung zur Schweigepflicht unterschreiben. "Ich habe gleich das Vertrauen gespürt", erzählt Christine Lach. Zwischen der Demenzhelferin und Susanne Schäfer, die oben im Haus der Mutter wohnt, hat sich inzwischen eine Freundschaft entwickelt. "Die Chemie muss stimmen", sagt Schmid-Frank. Das sei auch ein Grund, warum die Caritas die Helferschulungen selbst mache. Schmid-Frank schaut in Erstgesprächen mit Familien gezielt darauf, welcher Helfer zu ihnen passen könnte.

Christine Lach ist glücklich mit ihrem Einsatzort. "Frau Schäfer ist so lieb, das tut mir gut", erzählt sie. "Ich sag' immer: Ihr habt einen Engel im Haus." Irmgard Schäfer sei schon immer gutmütig und sanft gewesen, erinnert sich ihre Tochter. Das hat sie beibehalten. Oft kommt es anders - manche Erkrankten werden aggressiv oder entwickeln Halluzinationen, weiß die Sozialpädagogin Schmid-Frank.

Wenn Christine Lach bei den Schäfers aushilft, kocht sie gerne zusammen mit der alten Dame. Gemüsesuppe, Nudelsuppe oder Fleischpflanzerl - weiche Dinge, die Irmgard Schäfer gut kauen kann. "Ich finde es wichtig, sie an den Alltag zu erinnern", sagt die Demenzhelferin. Im Sommer gießen sie zusammen die Blumen. Der Garten war immer Irmgard Schäfers Metier. Neben der Natur liebt sie es auch, Wäsche zu falten. Die Kirchenzeitung ist ihr wichtig und sie blättert gerne alte Fotoalben durch. Ein wichtiger Grundsatz der Ehrenamtlichen ist, die Lebenswelt der Betroffenen zu beachten. Die Angehörigen füllen deshalb einen Biografie-Bogen mit Angaben zu Beruf, Ehegatten, Geschwistern, Kindern und Vorlieben aus.

"Einmal hat sie ihren Mann gesucht", erzählt Christine Lach. Obwohl die Demenzhelferin genau wusste, dass Frau Schäfers Ehemann schon verstorben ist, sagte sie: "Gut, dann schauen wir mal da drüben nach." Die Ehrenamtlichen lernen in ihrer Schulung, dass man Demenzkranken nicht widersprechen sollte.

Für die voll berufstätige Susanne Schäfer ist die Hilfe der Caritas eine große Erleichterung. Morgens frühstückt sie mit ihrer Mutter und zieht sie an. "Der Moment, wenn ich dann in die Arbeit gehen muss, ist immer schlimm für mich." Wenn Susanne Schäfer zur Garage geht und ins Auto steigt, läuft ihre Mutter ihr nach. "Wo gehst' denn hin, wann kommst du wieder" Das fragt sie ihre Tochter zehnmal oder öfter. Jeden Tag. Der Bruder, der auch im Haus wohnt, arbeitet Schicht. Wenn er nicht für seine Mutter da sein kann, dann kann sich die Familie auf die Demenzhelferin verlassen. Susanne Schäfer kann es sich in ihrem Job nicht leisten, sich ständig zu fragen, ob es ihrer Mutter gut geht. "Wenn ich weiß, die Christine kommt jetzt, dann kann ich mich auf meine Arbeit konzentrieren."