Idyllische Kernkraftwerke

23.08.2009 | Stand 03.12.2020, 4:43 Uhr

Jürgen Nefzger: Das Atomkraftwerk Nogent sur Seine. ? Repro: oh

München (DK) Greift das Fotomuseum im Münchner Stadtmuseum in den Wahlkampf ein? Die derzeit im Forum gezeigten Aufnahmen von Jürgen Nefzger beschäftigen sich mit einem politisch brisanten Thema: mit Atomkraftwerken.

Denn die zwischen 2003 und 2006 fotografierten Meiler werden in Nefzgers Bildern zu harmlosen, in ihre Umgebung wie selbstverständlich integrierte Elemente. Vor Sellafield spielen drei Männer Golf, ohne sich um die spitz in den Himmel stechenden Schornsteine der skandalumwitterten Wiederaufbereitungsanlage zu scheren. In Nogent sur Seine flegelt ein Hobbygärtner in einer Waldlichtung am Seine-Ufer. Gegenüber ragen aus dem Wald lediglich die Kühlturmspitzen hervor. Ihr dampfender Ausstoß vereinigt sich mit den Schäfchenwolken am blauen Himmel zu einem arglos harmonischen Sommertagsklischee.

"Die Darstellung eines Atomkraftwerks unter drohend dunklem Himmel interessiert mich nicht, denn das würde man ja erwarten," sagt Nefzger. Seine Bilder sollen über das Sujet hinausgehen, uns etwas über unsere Lebensweise und unseren Umgang mit Risiken vermitteln. "Anstatt theatralische Darstellungen zu schaffen, bevorzuge ich einen ironischen Blick, wie in diesen Imitationen romantischer Kompositionen. Romantische Künstler wollen sich mit der Natur vor ihrem Auge verbinden. Bei einem Atomkraftwerk hat wohl keiner diesen Wunsch."

Dazu passt es auch, dass die meisten der aufgenommenen Menschen keinerlei Notiz von den Kraftwerken in ihrer unmittelbaren Umgebung nehmen. Touristen in einem Freizeitpark bemerken kaum, dass ein lustig angemalter Berg in Wirklichkeit ein Atommeiler ist.

Zum Lachen ist ihm nicht, dem 1968 in Fürth geborenen Nefzger. Aber er sagt: "Humor schafft Aufmerksamkeit, aber auch hilfreiche Distanz zu einem Thema, über das sich zwei Lager spalten. Der amüsierte Blick auf diese Bilder spielt den Ernst des Themas herunter und erlaubt unerwartet neue Blickwinkel."

Die Serie passt gut zu den anderen Themen seines Schaffens. Nefzger setzt sich aus einem dokumentarischen Blickwinkel heraus mit den Veränderungen der Landschaft durch den Menschen auseinander. Kritisch betrachtet er die von Ökonomie und Freizeitkultur geprägte Welt. Die in Frankreich entstandenen Serien "Hexagone", "Fabrizierte Landschaft" und "Konsumierte Landschaft" erzählen von einer Welt, in welcher der Mensch immer deutlichere Spuren hinterlässt. Die Ästhetik dieser Bilder versucht immer auch gesellschaftliche und politische Fragen aufzuwerfen. Vielleicht also doch ein bisschen Wahlkampf ?

Fotomuseum im Münchner Stadtmuseum, bis 27. September.