Ingolstadt
"Ich sehe mich als Geschichtenerzählerin"

17.03.2011 | Stand 03.12.2020, 3:03 Uhr

Regisseurin Johanna Schall.

Ingolstadt (DK) "Gehüpft" sei sie, sagt Johanna Schall, als Peter Reins Anfrage kam, ob sie "Der Meister und Margarita" in Ingolstadt inszenieren wolle. "Ich liebe den Roman, seit ich ihn zum ersten Mal gelesen habe, da war ich 16.

Ich fand ihn ganz unglaublich". Diese Mischung "aus sehr harter Realität und Magie", dieses flirrende Zwielicht, in dem sich die Welt ins Unwirkliche öffnet und doch auf dem Boden der Tatsachen bleibt, möge sie sowieso. "Vielleicht, weil ich genauso denke". Am morgigen Samstag bringt die Berliner Regisseurin den in Inhalt und Umfang hochkomplexen Weltroman des russischen Autors Michail Bulgakow als Premiere auf die Bühne des Großen Hauses � und beschert dem Theater damit nicht nur eine Bühnen-Seltenheit, sondern auch interessante Bezüge. Johanna Schall ist die Enkelin von Helene Weigel und Bertolt Brecht; in der Stadt der Ingolstädter Dramatikerin Marieluise Fleißer, deren "Pioniere in Ingolstadt" Brecht in Berlin mit bekannten Folgen inszenierte, legt sie diese Arbeit vor.

Das spielt natürlich keine Rolle für die Inszenierung, ist nur ein wunderlicher, sagen wir ruhig magisch-realistischer Aspekt des neuen Spielplan- Stücks. Eher knapp gibt sich die 52-Jährige � eine vitale, freundliche Person mit dunkler Stimme und einer im besten Sinn des Wortes eloquenten Berliner Schnauze � in Bezug auf den berühmten Großvater, den sie nie kennenlernte: Brecht starb zwei Jahre vor ihrer Geburt. Auch, dass ihre Eltern � die ehemalige Schauspielerin und Bühnenbildnerin Barbara Brecht-Schall verwaltet heute Brechts Erbe, Vater Ekkehard Schall war prägendes Mitglied des Brechtschen Berliner Ensembles � sich ganz dem Theater verschrieben hatten, hängt sie nicht hoch. Zwangsläufige Berufslaufbahn? "Nö!", sagt Schall resolut. "Ich hab noch genug andere Verwandte. Einer war Händler für Alkohol und Tabak, eine war Hausfrau, ich hab einen Zimmermann in der Familie. Aber über die redet keiner." Immerhin: Schwester Jenny, auch sie Enkelin Weigels und Brechts, ist Bühnenbildnerin geworden und besorgt auch die Ausstattung für "Der Meister und Margarita". "Das hat sich vor Jahren ergeben, dass wir zusammen gearbeitet haben, das funktioniert wunderbar, sie ist eine sehr gute Kostümbildnerin, ob Schwester oder nicht", sagt Schall prosaisch dazu.

Wie sie, adrenalingestärkt vom Endprobenstress, intellektuell und pragmatisch zugleich in einer kurzen Beleuchtungspause zum Interview in der Theaterkantine sitzt, ist sie die personifizierte Theaterfrau. Etwas, was sie trotz oder gerade wegen ihrer familiären Herkunft in ihrer Jugend niemals wollte. Postbotin, Krankenschwester war Schall � und wurde doch irgendwann vom Bühnenvirus infiziert. "Das ist so wie mit der Liebe. Oder wie es bei uns im Stück heißt: "Dann kam die Liebe wie ein Mörder in der Nacht. Da kann man sich nicht wehren", sagt Schall unsentimental. Eine Schauspielausbildung in Berlin, lange Jahre in festen Ensembles, zunehmende Arbeit als Regisseurin und die Aufgabe als Schauspielleiterin am Theater Rostock von 2002 bis 2007, ehe sie wieder in die Selbstständigkeit ging, folgten der Überwältigung.

So knapp Schall mit ihrer Herkunft umgeht, so wortkarg gibt sie sich auch, was ihre Ingolstädter Inszenierung betrifft. "Das sollen die Zuschauer sich angucken, das erzähl ich nicht", sagt sie entschlossen. Nur, dass es keine Videoeinspielungen geben wird, um Bulgakows Zwischenzonen von Magie und Realität zu überflimmern. "Die Bühne ist relativ leer, es sind elf Schauspieler und ein Klavier, und wir hoffen dass daraus alles entsteht, was man braucht". Und Licht wird es geben, "sehr sehr schönes Licht". Erst später, als die Arbeit zu eben dieser Beleuchtungsprobe wieder ruft, sagt sie fast schüchtern, sie sehe sich "als Geschichtenerzählerin im archaischen Sinn" mit einem grundlegenden Interesse an der "Geschichte und der Zeit, in der wir leben." Wie beide sich "zusammenraufen", das sei bei "Der Meister und Margarita" hochaktuell und "wirklich sehr erschreckend".