Pfaffenhofen
"Ich mache jetzt Bühne"

Schon früh ist Daniel Sauer beim Tölzer Knabenchor - jetzt geht der Sänger die nächsten Karriereschritte

04.07.2019 | Stand 23.09.2023, 7:38 Uhr
Auf der Bühne singt Daniel Sauer den Aeneas in der Barockoper "Dido und Aeneas", hier in Valjevo, Serbien. −Foto: privat

Pfaffenhofen (PK) Rauf und runter hat er die CD gehört, die ihm der Großvater an einem Infostand in Bad Tölz gekauft hatte: Es war der Tölzer Knabenchor, der den damals fünfjährigen Daniel Sauer für das Singen begeisterte und nicht - wie vielleicht zu vermuten - das musikalisch geprägte Elternhaus.

Geige, Bratsche und Klavier unterrichtet Christiane Sauer am Schyren-Gymnasium, Dieter Sauer war dort ebenfalls Musiklehrer und Lehrbeauftragter für Violine an der Münchner Hochschule für Musik. Seit 1970 leitet er das Kammerorchester Dieter Sauer. Seinen Eltern sagte Daniel Sauer damals, er wolle bei den Tölzer Chorknaben mitsingen: "Im Nachhinein gesehen ist es fast verrückt, wie sehr mich das damals fasziniert hat."

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Daniel Sauer nur den Eltern und Nachbarn seine Gesangskünste präsentiert: "Die mussten sich dann setzen und ich sagte: Ich mache jetzt Bühne." Die Fahrerei zu den Chorproben, die in München stattfinden, tritt keine Begeisterungsstürme bei den Eltern los, aber Daniel Sauer darf zur Aufnahmeprüfung - und bekommt prompt eine Zusage.

Was folgt, ist ein jahrelanges Engagement für den Knabenchor neben der Schule, bis zum so genannten Chor 1, der Konzertbesetzung. Es ist die Spitze der Tölzer Hierarchie, die beim Chor 4 beginnt. Der Chor 1 führt Daniel Sauer auf Konzertreisen durch Europa, nach Israel oder China, meist in den Ferien, zum Teil auch während der Schulzeit. Es sind unglaubliche Momente, die er erlebt, etwa eine Chorreise durch ganz Europa mit Georg Friedrich Händels "Messias" oder einen Auftritt in der Bremer Staatsoper: "Als einer von drei Knaben in die Welt der Oper hineinzuschnuppern, das war atemberaubend."

Trotzdem gibt es Zeiten, in denen Sauer darüber nachdenkt, aufzuhören. "Ein gewisser Druck war immer da", erzählt der 19-Jährige. Für die Tölzer sei Disziplin nötig gewesen. Mehrmals die Woche - vor Konzerten fast täglich - probte er mit dem Chor in München, dazu kamen Solostunden. Das, was die Zeit so stressig gemacht habe, sei die Schule gewesen, die parallel laufen musste.

Mit einem Stoffplan teilten die Lehrer dem Chor mit, was zu tun ist, erzählt Daniel Sauer. "Auf jeder Busfahrt und auch im Hotel gab es Schulzeiten, in denen wir lernen mussten. Um Punkt neun Uhr war Bettruhe, dann durften wir nicht mehr miteinander sprechen und erst aufstehen, wenn wir geweckt wurden." Die Frau des damaligen Chorleiters und -gründers Gerhard Schmidt-Gaden kümmerte sich zu dieser Zeit als "Chormutti" um die Jungen: "Wir nannten Helga Schmidt-Gaden damals oft ,die Chefin'" erinnert sich Sauer. Die Regeln waren streng, trotzdem hat er beide in positiver Erinnerung. "Ich habe ihnen sehr viel zu verdanken."

In den Phasen, in denen er um 22 Uhr aus der Probe kommt, Abendessen im Schnellrestaurant Standard ist, sitzt Daniel Sauer manchmal niedergeschlagen im Auto der Eltern, die ihn dann immer wieder ermutigen können, weiterzumachen. Das hat sich gelohnt: Daniel Sauer singt immer noch für die Tölzer, inzwischen als Männerstimme, und studiert Gesang am Leopold-Mozart-Zentrum der Universität Augsburg. Seit der Oberstufe ist er dort Jungstudent, nach dem Abitur im vergangenen Jahr studiert er in Vollzeit.

Im Studium fühlt sich der Sänger wohl: "Inzwischen habe ich gemerkt, wie viel man durch Gesang ausdrücken kann." Es gehe beim Singen vor allem um Emotion, sagt der 19-Jährige. Er habe teilweise sehr extreme Erfahrungen gemacht, etwa, wenn man beim Singen anfängt, zu weinen. "Wenn man nicht nur Emotionen vortäuscht, sondern selbst berührt ist, dann hat man's geschafft, glaube ich." Dass man sich so öffnet, müsse man sich allerdings trauen.

Dabei hilft der Schauspielunterricht, den die Gesangsschüler ebenfalls durchlaufen. "Das macht mir sehr viel Spaß", sagt Daniel Sauer. Für den Aeneas in der Barockoper "Dido und Aeneas", ein Schulprojekt des Schyren-Gymnasiums Pfaffenhofen und der Musikschule Zivorad Grbic in Valjevo, das 2018 unter anderem in Serbien aufgeführt und gefilmt wurde, bekommt Daniel Sauer den Internationalen Jugendtheaterpreis, den Papageno Award.

Theater und Oper kann sich Sauer beruflich auch vorstellen, momentan gehe seine Tendenz jedoch eher zu Oratorien. Am liebsten wäre ihm, Teil eines Rundfunkchors zu werden. Dort eine feste Anstellung zu bekommen, ist aber schwierig.

Am besten seien die Chancen als Tenor, erzählt Sauer. Denn in fast jedem Chor herrsche Tenormangel. Aus diesem Grund hat er jahrelang in dieser Stimmlage gesungen. Nur ein halbes Jahr pausierte er bei den Tölzern wegen seines Stimmbruchs. Mit 15 auf den Konzertreisen merkte er bald: "Es geht zwar, aber die Anstrengung bei den großen Werken war enorm. Nach den Konzerten war ich oft angeschlagen."

Als Sechzehnjähriger wird er Jungstudent in Augsburg - ebenfalls als Tenor - sein Professor Dominik Wortig stellt in Gesangsstunden fest, dass Sauer die Tiefe des Baritons viel eher liegt: "Das war eine andere Welt. Ich konnte auf einmal ein ganz anderes Repertoire angehen." Bei Wortig lernt er, mit dem ganzen Körper zu singen, die Bruststimme mehr einzusetzen als die - so oft belastende - Kopfstimme. "Für meinen Professor ist es wichtig, keine Form vorzugeben, meiner Stimme Zeit zu lassen, die Kraft nach und nach aufzubauen, und die höhere Stimmlage nicht zu erzwingen."

Neben dem Singen spielt Daniel Sauer Klavier und Trompete. Mittlerweile sei er ambitioniert, die Instrumente zu beherrschen, "aber bis zum Abitur haben es meine Eltern nicht geschafft, mich an das Klavier zu bringen", erzählt Sauer. "Zuhause wurde andauernd Geige und Klavier geübt, für mich kam das damals nicht in Frage."

Es sei immer klar gewesen, dass er singt: "Aber manchmal überlege ich schon, was gewesen wäre, wenn alles anders gelaufen wäre." Von den Mitschülern kamen auch mal Kommentare oder Witze. Die haben oft nur die Unterrichtsbefreiungen für die Konzertreise gesehen, nicht aber den Stress. Vor allem ab der siebten Klasse sei Daniel Sauers Begeisterung für die Klassik vielen fremd gewesen. Zur Abwechslung hört er ab und an Bands wie Coldplay, trotzdem ist es vor allem die Klassik, die ihn begeistert: "Ich finde, dass klassische Musik in der Regel viel komplexer, interessanter ist. Das ist sicher ungewöhnlich." Durch seine Laufbahn hat Daniel Sauer viele gleichgesinnte, junge Klassikliebhaber kennengelernt. Blickt er allerdings bei seinen Auftritten ins Publikum, sieht er vorwiegend Ältere: "Da frage ich mich schon: Wer wird einmal mein künftiges Publikum?"

Im Moment muss sich Daniel Sauer darüber keine Sorgen machen. Wann immer es geht, ist er noch dabei auf den Konzertreisen des Tölzer Knabenchors: "Das ist jedes Mal wieder toll."
 

Laura Csapó